GASTBEITRAG

Tesla holt Kapital wie aus einem Geldautomaten

Börsen-Zeitung, 8.9.2020 Der Besuch vergangene Woche von Elon Musk in Deutschland hat in Erinnerung gerufen, womit die USA groß geworden sind: kreatives Unternehmertum. In Deutschland spüren wir Musks Unternehmerinitiative vor allem über den Bau der...

Tesla holt Kapital wie aus einem Geldautomaten

Der Besuch vergangene Woche von Elon Musk in Deutschland hat in Erinnerung gerufen, womit die USA groß geworden sind: kreatives Unternehmertum. In Deutschland spüren wir Musks Unternehmerinitiative vor allem über den Bau der Giga-Fabrik in Grünheide (Brandenburg). Auch die vom Automobilzulieferer unter Musks Führung zur Microfactory für komplexe Impfstoffe unter anderem von Curevac mutierte Tesla Grohmann Automation aus Rheinland-Pfalz, einem der innovativsten Bundesländer, ist Teil von Musks Investitionen in Deutschland. Dann ist er auch noch in der Raumfahrt über SpaceX erfolgreich. China, wo ist dein Stachel, fragt man sich frei nach Johannes Brahms. Flexibles ModellTesla läuft immer noch sein Image nach, sein nachhaltigstes Produkt seien Verluste. Trotzdem hat der Aktienkurs wegen der Chancen für die Zukunft (oder, wie man in solchen Fällen gerne sagt, der höheren Bewertung des künftigen Cash-flow) astronomische Höhen erreicht, 500 % allein in 2020, verbunden mit einem soeben umgesetzten Aktiensplit im Verhältnis 1:5. Die Aktie von Tesla gehört mittlerweile zu den beliebtesten Papieren, mit denen Privatanleger auf der Plattform Robinhood handeln.Gleichzeitig hat Tesla einen enormen Bedarf, zu investieren und Schulden abzubauen. Beide Aspekte sprechen dafür, Kapital zusätzlich zu der bereits bestehenden Liquiditätsreserve in Höhe von 8,6 Mrd. Dollar einzusammeln. Da hat jemand etwas vor.Gesagt, getan. Nach einer über ein Bezugsangebot abgewickelten Zweitplatzierung von Aktien im Februar 2020 über 2 Mrd. Dollar hat Tesla vergangene Woche ein flexibles Modell des US-Kapitalmarktrechts eingesetzt: Es gewährt die Möglichkeit, neue Aktien durch den Verkauf am Markt (at the market) zu platzieren. Tesla nutzt dabei bildlich gesprochen bestehende oder neu einsteigende Aktionäre wie einen Geldautomaten (ATM machine). Man spricht hier auch von Dribble-out-Programmen: Die Aktien werden bei günstigen Kapitalmarktverhältnissen, also hoher Kurs bei solider Nachfrage, kurzfristig, wie bei einem Dribbling, zum Beispiel im Fußball, am Markt verkauft.Solche Programme eignen sich nach bisherigem Verständnis eher für kleinere Emissionen. Um den Kurs nicht zu belasten, neigt man zu kleineren Verkaufstranchen. Nicht so bei Tesla: 5 Mrd. Dollar, mehr als das Doppelte der regulären Emission vom Februar dieses Jahres, sollen über ATM-Verkäufe dem Unternehmen zufließen. Angesichts des robusten Aktienkurses rechnet man bei Tesla wohl mit einem geringen Einfluss des Verkaufs größerer Mengen an Aktien auf den Börsenkurs.Bei einem Bezugsangebot muss dagegen regelmäßig ein – zumindest vorübergehender – Kursabschlag berücksichtigt werden. Auch die Ankündigung des Programms hatte dem Börsenkurs nicht geschadet. Das Volumen des Angebots hätte eigentlich einen Kursabschlag erwarten lassen. Kursrückgänge traten aber erst ein, als Ende der KW 36 am Markt für Aktien von Technologieunternehmen generell Abschläge zu verzeichnen waren.Dribble-out-Programme ermöglichen es, die Form des relativ starr abzuwickelnden Bezugsangebots zu vermeiden. Bei der traditionellen Platzierung werden die aus der Kapitalerhöhung entstehenden Aktien nach einer meist aufwendigen Roadshow in einem Paket nach Festlegung eines Bezugspreises (meist im Rahmen des Bookbuilding) von einer Investmentbank übernommen und am Markt platziert. Bei einem Bezugsangebot löst bereits die Zeichnung (Underwriting) durch die Banken eine Vergütung von 1,5 bis 3,0 % des Platzierungserlöses aus. Ohne MarketingaufwandBeim Dribble-out Equity werden die neuen Aktien ohne Marketingaufwand jeweils durch den Verkauf von Teilbeträgen durch hierzu autorisierte Händler (sog. Broker/Dealer) am Markt verkauft. Die Vergütung des Händlers beläuft sich nur auf ca. 0,5 % des bei jeder Tranche erzielten Verkaufserlöses. Das Bezugsrecht der Altaktionäre wird dabei ausgeschlossen.Für die ATM-Programme bedarf es selbstverständlich eines das ganze Programm umfassenden Börsenzulassungsantrags (Shelf Registration Statement) und eines Prospekts. Mit den die Verkaufstransaktionen durchführenden Investmentbanken wird ein Aktienzuteilungsvertrag (Equity Distribution Agreement) abgeschlossen. Dieser ähnelt in vielerlei Hinsicht dem Zeichnungsvertrag (Underwriting Agreement) bei traditionellen Emissionen. Auch die Due Diligence verläuft ähnlich.Der Preis der Aktienplatzierungen über ATM-Verkäufe wird vollständig vom jeweiligen Marktpreis bestimmt. Daher gibt es weniger kritische Punkte für die Verhandlungen zwischen den Vertragsparteien. ATM-Programme können sogar schon in bis zu 30 Tagen umgesetzt werden. Bestimmte Dokumente der Transaktion, wie zum Beispiel Rechtsgutachten (Legal Opinions) und Bestätigungsschreiben der Wirtschaftsprüfer (Comfort Letter), müssen gegebenenfalls auf den Stichtag von Verkaufstransaktionen aktualisiert werden. Es dürfen zu den einzelnen Verkaufszeitpunkten keine wesentlichen, den Emittenten betreffenden Informationen noch unveröffentlicht sein.Aus Sicht des Emittenten wird eine Chance vergeben, wenn unmittelbar nach der Aktienemission der Kurs stark ansteigt und die Zeichner oder nachfolgende Käufer der Aktie an dem Kursanstieg verdienen. So war es gerade erst im Fall Curevac, als der Schlusskurs am Tage der Erstnotierung (IPO) an der Nasdaq in New York 250 % über dem Ausgabepreis lag. ATM-Verkäufe kommen allerdings im Rahmen von IPOs nicht in Betracht. Sie eignen sich nur für Folgeplatzierungen (Secondary Offerings). Auf Vorrat geschaffenIm deutschen Recht entspricht dem ATM-Programm am ehesten die Ausnutzung sogenannten genehmigten Kapitals zur Platzierung junger Aktien. Es wird sozusagen auf Vorrat geschaffen und kann auch in einzelnen Tranchen genutzt werden. Das deutsche Recht verlangt allerdings stets die Platzierung der Aktien im Rahmen eines traditionellen Bezugsangebots. At-the-market-Verkäufe sind nicht vorgesehen. Damit kann dieses flexible Instrument hierzulande (noch) nicht genutzt werden.Insgesamt können ATM-Programme als attraktive Alternative zu den traditionellen Bezugsangeboten angesehen werden. Die hohe Flexibilität, Kontrolle der emittierenden Gesellschaft über die einzelnen Tranchen (Takedowns), die Möglichkeit, Kapital just in time zuzuführen, sind wesentliche Vorteile gegenüber der häufig festzustellenden Ineffizienz der traditionellen Angebotsverfahren.Zu deren Nachteilen sind insbesondere der aus dem Volumen des Angebots resultierende negative Einfluss auf den Börsenkurs, der Abschlag beim Bezugspreis sowie Kosten und Zeitaufwand für die Vermarktung zu zählen. Hermann Knott, Partner von Andersen Rechtsanwälte in Köln