Thyssenkrupp droht das Geld auszugehen
cru Frankfurt – Für Thyssenkrupp-Chef Guido Kerkhoff wird die Zeit knapp. Dem angeschlagenen Indus-triekonzern geht zusehends das Geld aus. Durch die anhaltenden Milliardenabflüsse droht die Eigenkapitaldecke so dünn zu werden, dass die Kreditvertragsbedingungen (Covenants) mit den Gläubigerbanken in Frage stehen. Längst wetten Shortseller wie Arrowstreet, AQR oder Capital Fund ausweislich der Pflichtmeldungen im Bundesanzeiger mit insgesamt rund 10 % ausgeliehenen und leerverkauften Aktien auf einen weiteren Kursverfall.Unter dem Strich macht Thyssenkrupp 2018/19 Verlust, und die Marktkapitalisierung liegt bei nur mehr 8 Mrd. Euro. “Ab sofort werden wir die Baustellen in den Geschäften konsequent abarbeiten. Ohne Ablenkung. Ohne Ausreden”, verspricht Kerkhoff – wieder einmal.Um aus der Sackgasse zu kommen, hat der 51 Jahre alte Manager die Stahlfusion mit Tata und die Aufspaltung des Konzerns, die 1 Mrd. Euro gekostet hätte, abgeblasen. Frisches Geld soll nun über einen Börsengang der Aufzugssparte hereinkommen, deren Unternehmenswert auf bis zu 15 Mrd. Euro geschätzt wird. Auch für andere Bereiche wie den Anlagenbau und das Geschäft mit Autoteilen sucht Kerkhoff Partner. Hier könnten Bankern zufolge Linde, Nexteer, ZF oder Bosch einen Blick auf einzelne Teile werfen – beinahe bahnt sich die lange gefürchtete Zerschlagung an. Am Dienstag (21. Mai) soll der Aufsichtsrat die Strategiewende absegnen. Unter den Aktionären, zu denen neben der Krupp-Stiftung mit 21 % vor allem der schwedische Finanzinvestor Cevian mit 18 % zählt, werden jedoch Stimmen laut, die einen Anteilsverkauf an strategische Investoren oder sogar eine vollständige Fusion mit einem der Konkurrenten Kone, Schindler oder Otis für die bessere Option halten.Auch diese Variante würde schnell Geld hereinbringen – und es wäre mehr Geld als beim Börsengang. Denn Anteile, die zum Zweck einer Fusion in Form eines Gemeinschaftsunternehmens erworben würden, erzielen einen höheren Preis, weil die künftigen Synergien einbezogen würden. Schon lange wirbt Cevian-Chef Lars Förberg für diese Variante, um den jetzt akut werdenden Kapitalmangel zu beheben. “Es ist klar, dass Thyssenkrupp mit seiner bisherigen Strategie gescheitert ist”, betont Förberg. Die Lage spitzt sich zuAnalysten streichen den Ernst der Lage heraus: “Sollte sich die angekündigte Wende zum Positiven beim Cash-flow nicht einstellen oder die Mittelabflüsse sich sogar verschlimmern, könnte sich auch der Erlös aus einem Börsengang der Aufzugssparte als ein nur temporär wirksames Mittel zur Reparatur der Bilanz herausstellen”, warnt Ephrem Ravi von Citi Research. Ähnlich alarmierend äußert sich Kepler Cheuvreux: “Die Eigenkapitalquote könnte vor dem Börsengang der Aufzugssparte im kommenden Geschäftsjahr 2019/20 auf 8 % fallen und das Verhältnis von Eigenkapital zu Schulden auf 200 % steigen – bei einer im Kreditvertrag vereinbarten Schwelle von 150 %”, schreibt Analyst Rochus Brauneiser. Dann sei der Konzern auf einen temporären Verzicht der Gläubigerbanken auf die Einhaltung der Kreditbedingungen angewiesen.Das Problem: Die Synergien einer Fusion der Aufzugssparte, die beispielsweise Barclays-Analyst Lars Brorson auf rund 3 Mrd. bis 4 Mrd. Euro schätzt, würden – nicht nur, aber doch hauptsächlich – durch den Abbau von Arbeitsplätzen erreicht. Kone und Thyssenkrupp unterhalten beide ein Netz für den Service und die Instandhaltung der Aufzüge. Es gibt Überschneidungen in diesem Netz, die sich beseitigen ließen, um die Kosten zu senken. Von den 52 000 Stellen bei Thyssenkrupp Elevators würden im Fall der Fusion mutmaßlich mehrere Tausend wegfallen.Das ist auch der Grund, warum die Gewerkschafter IG Metall lieber auf einen Börsengang setzen. Er soll ohne größeren Personalabbau Geld in die Kasse bringen, mit dem die übrigen Teile des Konzerns auf Vordermann gebracht werden sollen. “Das Geld, das ein möglicher Börsengang der Aufzugssparte in die Kasse von Thyssenkrupp spült, muss für die Stabilisierung des Konzerns eingesetzt werden. Eine Ausschüttung an die Aktionäre darf es nicht geben”, positionierte sich NRW-IG-Metall-Chef Knut Giesler. Ähnlich dürfte das sein Kollege Markus Grolms sehen, der Vize-Aufsichtsratschef des Konzerns ist.Am Markt gilt eine Zustimmung der Wettbewerbsbehörden als bedeutende Hürde für eine Fusion der seit kurzem vom Australier Peter Walker geführten Thyssenkrup-Aufzugssparte – wenngleich eine Fusion mit der finnischen Kone immer noch einfacher durchzusetzen sei als eine mit dem Schweizer Konkurrenten Schindler. Wie es heißt, legt Thyssenkrupp bei seinen Plänen großen Wert darauf, dass es bei der Versilberung der Aufzugssparte – anders als bei der gescheiterten Tata-Fusion – möglichst kleine Stolperfallen gibt.Alan Spence vom Investmenthaus Jefferies sind die Kartellhürden ein Dorn im Auge, weshalb er glaubt, dass ein Börsengang der Aufzugssparte weiterhin der “Plan A” für Thyssenkrupp sei. “Dies würde schnelleres Geld in die Kassen spülen, um die Bilanz zu verbessern.” Die Gesundung der Bilanz sei schon lange eine Sorge der Investoren – sei sie doch eine wichtige Grundlage, um die geplante Restrukturierung finanziell stemmen zu können. Barofferte für Kone zu teuerAnalyst Wasi Rizvi von der kanadischen Bank RBC stellt die Frage, wie Kone eine Übernahme überhaupt finanzieren könnte. Nach ersten Kalkulationen schätzt er den Wert der Thyssen-Sparte auf 14 Mrd. Euro, so dass eine reine Barofferte nicht realisierbar sei. Weil eine Kapitalerhöhung nochmals Unsicherheiten mit sich bringe, hält er ein Angebot mit Barmitteln und Aktien für wahrscheinlicher. Für Thyssenkrupp bringe dies den Vorteil, dann über eine Beteiligung an den Synergien teilhaben zu können. “Es gibt Risiken rund um den vorgeschlagenen Börsengang eines Minderheitenanteils am Aufzuggeschäft”, kommentierte Luke Nelson von der Bank J.P. Morgan. Hierzu zählt der Analyst vor allem die Haltung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Zudem prüft die Ratingagentur Moody’s derzeit die Bonitätsnote für Thyssenkrupp. Hierbei könnte eine Abstufung drohen. Ein schlechteres Kreditrating könnte die Refinanzierungskosten zusätzlich erhöhen. Thyssenkrupp läuft die Zeit davon.