Thyssenkrupp - Konglomerat zum Quadrat
Wenn man sich die Entwicklung des Thyssenkrupp-Konzerns über die letzten zehn Jahre ansieht, dann kann einem diese nicht nur als Aktionär, sondern auch und gerade als Vertreter der sozialen Marktwirtschaft überhaupt nicht gefallen. Seit dem Debakel um die Stahlwerke in den USA und Brasilien geht es bei Thyssenkrupp eigentlich nur in eine Richtung: bergab. Massive WertvernichtungThyssenkrupp hat nach eigenen Berechnungen allein seit September 2011 etwa 10 Mrd. Euro an Wert vernichtet. Dies liegt zu einem wesentlichen Teil an den Investitionsruinen in Brasilien und den USA, die man durch Verkäufe weitgehend hinter sich gelassen hat, aber nicht nur. Mit Ausnahme der Ertragsperle Aufzüge (“Elevator”) haben alle als Kerngeschäfte definierten Geschäftsfelder mehr oder weniger große Probleme. Der Bereich Components Technology vernichtet seit 2011 ebenso Wert wie das margenschwache Rohstoff- und Werkstoffgeschäft (Materials Services). Problematisch ist außerdem der riskante zyklische Großanlagenbau (Industrial Solutions).Zwar kann man in den Geschäftsfeldern durchaus operative Fortschritte erkennen, aber von positiven Wertbeiträgen für den Konzern ist man weit entfernt. Letzteres muss aber der Maßstab für einen börsennotierten Konzern sein. Dies bedeutet, dass man zumindest die Kapitalkosten in jedem Geschäftsfeld erwirtschaftet. Das gelang in den letzten fünf Jahren nur dem Elevator Business. Daher ist es nicht verwunderlich, dass der Unternehmenswert von Thyssenkrupp als Konzern fast dem Wert des Elevator-Geschäftes allein entspricht. Aktienkurs schönt die LageObwohl der Börsenwert sich in den letzten zehn Jahren nahezu halbiert hat, spiegelt die Aktienkursperformance nicht im vollen Umfang die strukturellen Probleme von Thyssenkrupp wider. Dies liegt zum einen an der Spekulation über die künftige Entwicklung von Thyssenkrupp, die seit dem aktiveren Agieren des schwedischen Finanzinvestors Cevian deutlich an Fahrt aufgenommen hat. Zum anderen überlagert der durch die hohe Liquidität anhaltende Boom an den internationalen Aktienmärkten die fundamentalen Schwächen der Thyssenkrupp-Aktie. Bei einer Kurskorrektur an den Märkten dürfte daher die Aktie von Thyssenkrupp überproportional leiden.Thyssenkrupp positioniert sich als diversifizierter Industriekonzern. Bei diesem Begriff sollten sämtliche Alarmglocken schrillen. Ähnliches Vokabular wurde einst im Zusammenhang mit DaimlerChrysler, Preussag oder Mannesmann verwendet, die es alle in dieser Form nicht mehr gibt. Wie unbeliebt Konglomerate bei Investoren sind, zeigt auch die Entwicklung rund um die Metro Group, bei der letztlich ebenfalls eine Zerschlagung in vollem Gange ist.Bei Thyssenkrupp gibt es aber noch eine besondere Problematik, die sich bei einem tieferen Blick in die einzelnen Unternehmensbereiche zeigt. Diese sind in sich so heterogen aufgestellt, dass man diese getrost selbst als Konglomerate im Konglomerat bezeichnen kann. So werden im Bereich Components Technology Komponenten für die Automobilindustrie ebenso gefertigt wie für Baumaschinen- oder Windkraftanlagenbauer. Überspitzt könnte man sagen, Thyssenkrupp stellt ein Konglomerat zum Quadrat dar. Das hat zur Folge, dass es kaum Synergien zwischen den Unternehmensbereichen gibt (z. B. Stahl und Aufzüge), die es rechtfertigen würden, dass man diese unter einer gemeinsamen Holding betreibt. Insgesamt ist die Komplexität im Thyssenkrupp-Konzern so hoch, dass diese dringend reduziert werden muss. Dies erfordert weitere Desinvestments innerhalb der Unternehmensbereiche, aber auch von ganzen Unternehmensbereichen. Überdimensionierte ZentraleDas Corporate Headquarter mit mehreren tausend Mitarbeitern hat nur dann eine Daseinsberechtigung, wenn es nachweislich einen Mehrwert schafft, und nicht durch aufgeblähte Zentralfunktionen die Unternehmensbereiche belastet. Die strategische Positionierung als diversifizierter Industriekonzern, der auf eine Stabilisierung von Cash-flows durch ein Portfolio unterschiedlicher Geschäftsfelder mit divergierenden Zyklen abstellt, sollte seit mindestens 20 Jahren der Vergangenheit angehören.Portfoliodiversifikation sollte auf der Ebene der Anteilseigner erfolgen, aber nicht auf der Unternehmensebene angestrebt werden. Wer das nicht beherzigt, muss einen Konglomerate-Abschlag verkraften und wird schnell zum Ziel einer feindlichen Übernahme. Selbst das Lehrbuchbeispiel GE, das viele Jahre für eine durchaus wertsteigernde Diversifikation herhalten musste, hat längst Kratzer bekommen, verabschiedet sich doch GE seit Jahren von unrentablen Geschäftsbereichen.Die gegenwärtige Aktionärsstruktur mit der Krupp-Stiftung als Ankerinvestor mag zwar eine feindliche Übernahme verhindern, die es sonst schon längst gegeben haben dürfte. Aber perspektivisch erweist die Stiftung dem Gesamtunternehmen einen Bärendienst. Man kann es den Arbeitnehmern nicht verübeln, dass sie eine Zerschlagung von Thyssenkrupp fürchten. Dabei sollten sie vielmehr über den Status quo besorgt sein. Denn die Einbindung in ein Konglomerat ist häufig mit strategischen Fehlentscheidungen aus einer marktfernen Holding, überhöhten Verwaltungskosten und einem hohen Komplexitätsgrad verbunden. Eine Auflösung solcher Strukturen erweist sich meist als positiv für die Entwicklung der jeweiligen Geschäfte, wenn sie sich aus der Umklammerung einer Holding befreit haben. Ein fokussiertes, von Kernkompetenzen getragenes Geschäftsmodell, unterstützt durch einen eigenständigen Zugang zum Kapitalmarkt, erweitert die Wachstumschancen und erhöht die Flexibilität und sorgt für kürzere Entscheidungswege. Dies zeigen in Deutschland Beispiele wie Mannesmann oder Preussag, deren Nachfahren TUI und Salzgitter sich seit der Trennung jeweils gut entwickelt haben.Dass das Festhalten an herkömmlichen Strukturen letztlich zu einer Verringerung des strategischen Spielraums führt, sieht man überdeutlich bei Thyssenkrupp. Die riesigen Fehlinvestitionen in die amerikanischen Stahlmärkte belasten bis heute den Konzern, da der enorme Substanzverlust dazu geführt hat, dass man in die heute als Kerngeschäfte definierten Bereiche nicht ausreichend investieren kann. Die Folge wird ein weiter erodierender Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und letztlich eine Gefährdung von Arbeitsplätzen sein. Völlig neu positionierenDas europäische Stahl-Joint-Venture mit Tata Steel ist dafür ein Paradebeispiel. Denn auf Sicht wird es auch hier eine deutliche Kapazitätsanpassung – sprich Personalabbau – geben müssen. Beschäftigungsgarantien dienen als Beruhigungspillen für die Gewerkschaften, können letztlich das betriebswirtschaftlich Unausweichliche aber nur aufschieben. Ähnliche Entwicklungen können durchaus in anderen Unternehmensbereichen drohen. Daher ist eine komplette strategische Neupositionierung von Thyssenkrupp unerlässlich.Das tradierte Konglomerate-Denken sollte der Vergangenheit angehören. Es dient auf Sicht nicht den Aktionärsinteressen und schon gar nicht dem Erhalt von Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätzen. Daher sollten die Arbeitnehmervertreter sich überlegen, ob sie nicht statt der Krupp-Stiftung den Investor Cevian unterstützen.—-Volker Brühl, Geschäftsführer des Center for Financial Studies an der Goethe-Universität Frankfurt