Thyssenkrupp wartet auf den Aufzug
Der geplante Börsengang der Kernsparte für Aufzüge soll den Befreiungsschlag für Thyssenkrupp bringen. Doch die Lage des chronisch eigenkapitalschwachen Konzerns spitzt sich immer schneller zu. Aktienkurs und Bonität verschlechtern sich von Tag zu Tag. CEO Guido Kerkhoff muss im Eiltempo sanieren.Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfThyssenkrupp steht mit dem Rücken zur Wand. Die Wiedereingliederung der Stahlsparte, deren geplante Ausgliederung samt milliardenschwerer Pensionsverpflichtungen in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem Konkurrenten Tata gescheitert ist, habe eine “erhebliche Verschlechterung” der Bilanz des Industriegüterkonzerns verursacht, urteilen die Analysten von Alphavalue. Sie raten zum Verkauf der Aktie mit einem Kursziel von 6,65 Euro – fast ein Drittel weniger als der aktuelle Preis. Es gebe “keine Chance für Thyssenkrupp zu überleben, wenn nicht drastische Maßnahmen ergriffen werden”, warnt Alphavalue-Analyst Hans-Peter Wodniok. Die Pensionsrückstellungen seien im Vergleich zu September 2018 von 4,1 Mrd. auf 8,5 Mrd. Euro emporgeschnellt, und die Nettoschulden verdoppelten sich auf 5,1 Mrd. Euro.Darüber hinaus hat Moody’s gerade die Bonitätsnote des Konzerns von “Ba2” auf “Ba3” gesenkt – noch eine Stufe tiefer im Ramschbereich. Die Ratingagentur begründete den Schritt mit den schwachen Quartalszahlen, die Thyssenkrupp am 8. August vorgelegt hatte. Angesichts der Konjunktureintrübung und der nachlassenden Nachfrage der wichtigen Kunden aus der Autoindustrie geht Moody’s davon aus, dass eine Verbesserung der Profitabilität länger als erwartet dauern werde.Die Ratingagentur betont, dass die Rahmenbedingungen für den Konzern wohl in den kommenden zwölf bis 18 Monaten schwierig blieben. Die Schulden des Konzerns liegen derzeit doppelt so hoch wie das Eigenkapital von 2,5 Mrd. Euro – und sind sechsmal so groß wie der erwartete operative Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Auch wenn sich eine Verbesserung durch mehr Cash-flow abzeichnet, dürften die Gläubigerbanken besorgt sein.Ein Sprecher verwies darauf, dass der Konzern über ausreichend finanzielle Mittel verfüge. Tatsächlich sind laut Moody’s Barmittel von 2,8 Mrd. Euro vorhanden sowie Kreditlinien über 3,6 Mrd. Euro. “Mit der strategischen Neuausrichtung sollen die Leistungsfähigkeit und die Kapitalbasis nachhaltig verbessert werden.” Vorstandschef Guido Kerkhoff will die lukrative Aufzugssparte teilweise an die Börse bringen oder verkaufen. Für andere Bereiche sucht er Partner. Investoren zweifelnInvestoren zweifeln, ob der Umbau gelingt. Die Aktie befindet sich seit Monaten im freien Fall. Am Donnerstag sank der Kurs um zeitweise 1 % auf 9,43 Euro – und damit auf ein neues 16-Jahres-Tief. Der Börsenwert des Konzerns, der wohl bald aus dem Dax ausscheidet und durch den Triebwerkshersteller MTU ersetzt wird, hat sich binnen Jahresfrist auf 6 Mrd. Euro halbiert. Rund 10 % der frei verfügbaren Aktien befinden sich im Besitz von Leerverkäufern – darunter laut Bundesanzeiger Adressen wie Worldquant, BlackRock oder AQR Capital.Vorstandschef Kerkhoff, über dessen Ablösung ein Teil des Aufsichtsrats bereits ergebnislos diskutiert hatte, zog in der vergangenen Woche zur Neunmonatsbilanz samt Gewinnwarnung die Notbremse: “Was es jedenfalls nicht mehr geben wird, ist, dass Geschäfte ohne klare Perspektive dauerhaft Geld verbrennen und damit Wert vernichten, den andere Bereiche erwirtschaftet haben”, sagte der 51 Jahre alte Manager, der von 2011 an als Finanzvorstand arbeitete und 2018 nach dem überstürzten Ausscheiden Heinrich Hiesingers an die Spitze rückte.Die drei Sparten für Stahlfedern in Automobilfahrwerken sowie für den Bau von Auto-Produktionsanlagen und für stählerne Grobbleche für die Bauindustrie sollen verkauft werden, wenn eine Sanierung nicht schnell gelingt. Die drei Bereiche stehen für 4 % des Konzernumsatzes von rund 40 Mrd. Euro, aber zugleich für ein Viertel des im laufenden Geschäftsjahr erwarteten negativen Cash-flows von mehr als 1 Mrd. Euro.Kerkhoff will – neben dem Abbau von 6 000 Stellen – vor allem die lukrative Aufzugssparte im Wert von bis zu 15 Mrd. Euro teilweise an die Börse bringen oder an einen Finanzinvestor oder an Wettbewerber wie Kone verkaufen. Für mehrere andere Bereiche sucht er Partner, so dass sich der Konzern am Ende vielleicht wieder nur auf Stahl und den Werkstoffhandel konzentrieren könnte.Kerkhoff hat es im Aufsichtsrat seit einigen Monaten mit neuen Mitgliedern wie dem früheren Evonik-Finanzchef Wolfgang Colberg zu tun, der heute für den Finanzinvestor CVC tätig ist, und mit dem ehemaligen Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm. Zudem hat Thysssenkrupp mit der Ex-Bosch-Managerin Martina Merz seit Februar eine Aufsichtsratschefin, die ihre Kontrollfunktion gegenüber dem Vorstand schon zu Beginn hervorhob: “Der Aufsichtsrat muss seiner Verantwortung gerecht werden – er bestellt und kontrolliert den Vorstand, und er berät ihn.” Statt eines einfachen Absegnens gibt es nun Debatten. Sanierung unter ZeitdruckOb die Sanierung der drei zur Disposition gestellten Sparten rechtzeitig kommt, um Investoren zu besänftigen, ist offen. Der Bereich “System Engeneering” gehört zur Großanlagenbau-Sparte Industrial Solutions und stellt unter anderem Fertigungsanlagen für Karosserien für die Autoindustrie her. 4 900 Mitarbeiter arbeiten bei System Engineering. Die Kostenbasis sei ineffizient, sagt der Vorstand laut Reuters. Standorte sind hierzulande Heilbronn, Hohenstein-Ernstthal, Wadern-Lockweiler, Bremen, Langenhagen, Burghaun. Der operative Gewinn betrug im Geschäftsjahr 2017/18 rund 15 Mill. Euro. Der Umsatz lag bei 1,1 Mrd. Euro. Zu den Konkurrenten -und mithin potenziellen Käufern – gehören Siemens und Kuka.Der Bereich Federn & Stabilisatoren stellt Komponenten für die Autoindustrie her. Standorte sind Hagen und Olpe. 3600 Mitarbeiter arbeiten in der Sparte, die 2018/19 einen operativen Verlust von 127 Mill. Euro einfuhr. Das Management spricht von zu hohen Kosten in Europa. Wettbewerber sind Mubea aus dem nordrhein-westfälschen Attendorn, die italienische Sogefi und Federal-Mogul aus den USA.Der Bereich “Grobblech” gehört zu Thyssenkrupp Steel Europe. Rund 800 Mitarbeiter sind in Duisburg beschäftigt. Die massiven Bleche werden im Bau und Schiffbau verwendet. Dem Geschäft macht der Importdruck zu schaffen – zuletzt lag der Verlust bei 28 Millionen Euro. Konkurrenten sind Salzgitter, Voestalpine und Dillinger Hütte. Die Stahlkocher zeigen sich kampfbereit. “Der Grobblechbereich darf kein Bauernopfer sein für langjähriges Fehlmanagement”, warnt Betriebsratschef Tekin Nasikkol.