Aufspaltungen

Thyssenkrupp zerlegt sich selbst

Das Auspalten von Konzernen ist derzeit schwer in Mode. Thyssenkrupp stellt jedoch einen Sonderfall dar. Der Traditionskonzern zerlegt sich, um zu überleben.

Thyssenkrupp zerlegt sich selbst

Von Annette Becker, Düsseldorf

Das Aufspalten von Konzernen ist derzeit schwer in Mode. Siemens hat es vorgemacht. Ex-Vorstandschef Joe Kaeser verwandte das Bild vom behäbigen Tanker, aus dem es eine Schnellbootflotte zu machen gelte. GE folgte kürzlich mit der Ankündigung, sich in drei Konzerne zu zerlegen. Am Freitag steht die erstmalige Börsennotierung der Trucksparte von Daimler auf dem Programm. 2015 schon hatten die Chemiekonzerne Dow Chemical und DuPont unter dem Druck von Aktionärsaktivisten ihren Zusammenschluss beschlossen, um sich im Anschluss in drei Konzerne aufzuspalten. Und auch Thyssenkrupp sucht nun das Glück in der Aufspaltung.

Da wie dort sind die Gründe und Voraussetzungen für die Entflechtung verschieden. Das gilt nicht nur für die Vielfalt der operativen Geschäfte, die in die – manchmal auch vermeintliche – Eigenständigkeit entlassen werden, sondern auch für die finanzielle Ausgangslage. Grundsätzlich folgt die Aufspaltung der Idee, die Summe der Einzelteile sei an der Börse mehr wert als das Konglomerat. Das kann, muss aber keineswegs der Fall sein, wie die Aufspaltung der Metro Group zeigte.

Welcher Weg zur Verselbständigung einzelner Geschäfte gewählt wird, hängt letztlich davon ab, welche Ziele damit verfolgt werden. Thyssenkrupp ist insofern ein Sonderfall, als es hier um die komplette Zerlegung des Traditionskonzerns geht. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen, lautet dabei das Motto. Unter dem Holdingdach soll eine „Group of Companies“ entstehen, an der die Obergesellschaft nicht notwendigerweise zu 100 % an den Geschäften beteiligt sein muss. Bestes Beispiel dafür ist Uhde Chlorine Engineers (UCE), ein Joint Venture mit der italienischen De Nora, das Anlagen zur Erzeugung von Wasserstoff aus Wind- und Sonnenstrom baut.

Schon im ersten Halbjahr 2022 soll die Gesellschaft an die Börse gebracht werden, wobei Thyssenkrupp die Mehrheit – aktuell besitzen die Essener 66 % – behalten will. Ziel ist es, im Wege des Börsengangs Investitionsgelder für das zukunftsträchtige Geschäft einzusammeln. Denn auch wenn Thyssenkrupp derzeit noch über üppige Barreserven verfügt, bleibt Geld für Investitionen unverändert knapp. Das liegt daran, dass in die Ertüchtigung der übrigen Geschäfte weiterhin viel Geld fließen muss. Die Chance zum Umbau des Konzerns hatten sich die Essener mit dem Verkauf des lukrativen Aufzugsgeschäfts für stolze 17,2 Mrd. Euro eröffnet – ohne diesen gäbe es Thyssenkrupp heute nicht mehr.

Aus für den Konzernverbund

Martina Merz, die im Herbst 2019 von der Aufsichtsrats- an die Vorstandsspitze getreten war, vollzieht mit der Zerlegung, was der Finanzinvestor Cevian schon ihrem Vorvorgänger Hiesinger ins Pflichtenheft geschrieben hatte. Dieser hatte sich allerdings nicht beirren lassen, sondern den Umbau zum integrierten Konzernverbund weiterverfolgt. „Wir sind fest davon überzeugt, dass Thyssenkrupp im Verbund mehr Wert schaffen kann“, hatte sich Hiesinger 2014 noch siegesgewiss gegeben. Dabei sollte es um mehr gehen als den Risikoausgleich zwischen den einzelnen Geschäften, mit dem das Festhalten am Konglomerat üblicherweise begründet wird. Am Ende hat es jedoch nicht gereicht. Die bilanzielle Bereinigung des Stahlabenteuers in Amerika kostete schlicht zu viel Geld. Im Sommer 2018 warf Hiesinger das Handtuch. Sein Nachfolger, Guido Kerkhoff, hatte wenig Fortune. Aus der geplanten Aufspaltung in einen Stahl- und einen Industriegüterkonzern wurde nichts, nachdem die Stahlfusion mit Tata Steel am Widerstand der Kartellwächter gescheitert war.

Klare Strategie

Erst Merz beendete das strategische Hin und Her. Nach einer Portfolioanalyse stellte sie 2020 den Plan für ein Zielportfolio vor. Seither wird an dessen Realisierung gearbeitet. Eine vorläufige Bestandsgarantie erhielten lediglich der Werkstoffhandel und die Division Industrial Components, die sich aus den Segmenten Schmiedetechnik und Großwälzlager zusammensetzt. Für Automotive Technology sollte auf Partnersuche gegangen werden, während Steel Europe und Marine Systems in der jeweiligen Branchenkonsolidierung aufgehen sollten. Hinzu kam die Abwicklungseinheit Multi Tracks, in welche die aussortierten Geschäfte gepackt wurden.

Aus dem geplanten Verkauf der Stahlsparte im Zuge der Branchenkonsolidierung wurde bekanntermaßen nichts. Jetzt wird am Spin-off gearbeitet, der nach Möglichkeit Anfang 2023 über die Bühne gehen soll. Fragt man nach den Gründen, ist von mehr unternehmerischer Freiheit, Schnelligkeit und Flexibilität die Rede. Faktisch aber muss endlich eine Lösung für das Geschäft her, das unter milliardenschweren Pensionslasten ächzt und ohne den teuren Umbau der Produktion auf grünen Stahl keine Zukunft hat.

Ähnlich sieht es mit dem Marineschiffbau aus, wo es nach jüngsten Angaben erste zaghafte Gesprächsanläufe gibt. Bei Multi Tracks sind die Essener im vorigen Jahr dagegen mit einigen Verkäufen, allen voran dem Edelstahlgeschäft, schon ein Stück weit vorangekommen.

Doch bei aller Konsequenz, die Thyssenkrupp bei der Ertüchtigung der Geschäfte an den Tag legt, zeigt sich auch, dass der neue Portfoliozuschnitt keineswegs in Zement gegossen ist. Bestes Beispiel dafür ist UCE, die aus der in Multi Tracks verschobenen Sparte Plant Technology herausgelöst wurde und nun auf den Börsengang hinarbeitet.

Die Gedankenspiele gehen jedoch weiter, wie Merz jüngst auf dem Kapitalmarkttag durchblicken ließ. Wenn die Stahlsparte erst einmal eigenständig sei, sei ein weiteres Aufbrechen der Divisionen nicht auszuschließen – allen voran werden im Geschäft mit Großwälzlagern (Bearings) für die Windindustrie große Chancen ausgemacht.

7,9 Mrd. Euro sind zu schlagen

Im Zentrum der Überlegungen steht, für jedes Geschäft die beste Lösung zu finden – sei es im Alleingang, im Wege von Partnerschaften oder unter neuer Eigentümerschaft. Zu schlagen gilt es eine Marktkapitalisierung von 7,9 Mrd. Euro – so viel war Thyssenkrupp beim Wechsel von Kerkhoff auf Merz wert. Aktuell bringt Thyssenkrupp 5,7 Mrd. Euro auf die Börsenwaage.

Ein Misstrauensvotum, dass die Strategie aufgeht, gab es allerdings kürzlich vom Finanzinvestor Cevian. Waren mit dessen Einstieg im September 2013 noch Zerschlagungsängste einhergegangen – mit einer Marktkapitalisierung von 9,1 Mrd. Euro galt Thyssenkrupp den Schweden damals als stark unterbewertet –, wird Cevian das Ende des Häutungsprozesses nicht mehr aus der einstigen Machtposition miterleben. Denn der Finanzinvestor blies im November mit dem Verkauf eines Aktienpakets von gut 7 % zum weithin hörbaren Rückzug. Von den in der Spitze gehaltenen fast 20 % sind nur noch knapp 8 % übrig.

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