Tiktok zwischen allen Stühlen
Von Norbert Hellmann, SchanghaiTiktok mag nicht allen Erwachsenen, aber so ziemlich allen Teenagern auf dem Globus ein Begriff sein. Binnen nur zwei Jahren hat die von cleveren Algorithmen geprägte Videoplattform die Herzen der Millennial-Generation erobert und ist zur führenden Zeitvertreibsapp schlechthin geworden. Typischerweise sieht man mit flotter Partymusik unterlegte Selbstdarstellungsclips, die tanzende Mädels, Schoßhündchentricks, Bastel- und Kochrezepte und vieles andere mehr in Szene setzen.Dass hinter Tiktok eigentlich eine chinesische Firma steht, dürfte den wenigsten Nutzern überhaupt bewusst sein, denn der Internetkonzern Bytedance sorgt dafür, dass die App in jeweiligen Ländermärkten und Regionen völlig heimisch und zudem gänzlich unpolitisch wirkt. Somit führt Tiktok eine Art Parallelleben zur ursprünglichen chinesischen Version, die sich Douyin nennt und im Reich der Mitte zum zweitwichtigsten sozialen Medium nach der allgegenwärtigen Messaging-App Wechat aufgestiegen ist.Mit der Herrlichkeit des flotten Geschäftsmodells bei säuberlich getrennten politischen Welten könnte es nun aber vorbei sein. Die Querelen um das infame neue Hongkonger Sicherheitsgesetz sorgen für unliebsame Aufmerksamkeit, gleichzeitig lassen Sicherheitsauflagen in Ländern wie Indien und den USA Tiktok zu einem echten Politikum werden.Wie Bytedance nun bestätigte, wird der von chinesischer Zensur bislang wenig beeinflusste internationale Tiktok-Dienst mit sofortiger Wirkung im Hongkonger Raum eingestellt. Damit können die Hongkonger nur noch auf die überwachte Schwester-App Douyin zurückgreifen, womit sie zumindest indirekt chinesischen Sicherheitskräften Zugang zu Nutzerdaten geben. Die Entscheidung von Bytedance unterstreicht erneut, wie weitreichend das kürzlich von China aufoktroyierte Sicherheitsgesetz die von China versprochene Aufrechterhaltung der Meinungsfreiheit und die Wahrung des Autonomieprinzips für Hongkong “Ein Land, zwei Systeme” unterläuft. Auch eine Reihe von westlichen sozialen Medien, darunter insbesondere Facebook, Twitter, Youtube, Whatsapp und der Suchdienst Google, die allesamt auf dem chinesischen Festland gesperrt sind, stehen nun vor der Frage, inwieweit das Sicherheitsgesetz ihre Nutzungsmöglichkeiten in Hongkong einschränkt. Dabei geht es vor allem um die im Gesetz vorgesehene Möglichkeit, dass die Nutzerdaten von chinesischen Sicherheitsorganen abgefragt werden.Während die Aufgabe des Tiktok-Dienstes in Hongkong für Bytedance nur eine minimale Beeinträchtigung bedeutet, gerät man wegen der chinesischen Abstammung nun auch auf den wichtigsten Auslandsmärkten in die Bredouille. Der vom Hongkong-Gesetz weiter angeheizte Streit zwischen China und den USA lässt grüßen: Washington prüft Außenminister Mike Pompeo zufolge nun gar ein Verbot von Social-Media-Apps aus China. “Es ist etwas, das wir uns anschauen”, ließ Pompeo vielsagend gegenüber einem TV-Sender wissen. Bereits zuvor hatten sich US-Politiker besorgt über Tiktoks Umgang mit Nutzerdaten gezeigt und befürchten eine erzwungene Zusammenarbeit mit Chinas Geheimdiensten.Indien hat in Reaktion auf einen gewaltsamen Grenzkonflikt mit China den von Teenagern genutzten Tiktok-Dienst zusammen mit 58 weiteren chinesischen Apps aus Gründen der nationalen Sicherheit jüngst kategorisch verboten. Bytedance versichert freilich, dass man beim internationalen Tiktok-Dienst von der chinesischen Regierung unbehelligt bleibt, aber das wird nicht viel helfen. Denn China hat spätestens mit dem Hongkong-Gesetz jegliches internationale Vertrauen verspielt. Man muss davon ausgehen, dass die Pekinger Kontrollfreaks jede Möglichkeit der Datenabschöpfung bei Internetfirmen wahrnehmen. Auch wenn es nur um tanzende Mädels und Schoßhündchen geht.——Chinas aggressives Auftreten bringt sogar die harmlose Teenager-App Tiktok in Verruf. ——