To SUV or not to SUV, das ist hier die Frage
Sich jährende Todestage von berühmten Persönlichkeiten können auch freudige Angelegenheiten sein, insbesondere dann, wenn sie schon ein Weilchen zurückliegen. Weltweit wird derzeit das Ableben von William Shakespeare als im Zweifelsfall weltgrößter Schriftsteller vor 400 Jahren gewürdigt und zelebriert, das gilt auch für das Reich der Mitte. Nicht nur haben chinesische Touristen auf Englandtournee die Stätte seines Wirkens, Stratford-upon-Avon, fest ins Pflichtprogramm mit aufgenommen, auch in Chinas Großstädten wimmelt es derzeit von Aufführungen seiner Theaterstücke und Sonette, während auf sozialen Netzwerken lebhafte Diskussionen über Shakespeares dauerhafte Botschaften und ihre mögliche Bedeutung für den chinesischen Alltag grassieren.Chinesen haben die Angewohnheit, sich bei westlichen Kulturangeboten stets nur das Beste und Bekannteste herauszupicken. In Sachen Shakespeare dreht sich denn auch alles um die Auseinandersetzung mit der berühmtesten seiner Sentenzen aus der Tragödie Hamlet: “To be or not to be, that is the question” – “Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage”. Hamlet, der Prinz von Dänemark, zerbricht sich den Kopf darüber, ob es edler im Gemüt ist, die Schmerzenspfeile eines ungnädigen Geschicks stumm zu erdulden oder aber sich bewaffnet den Plagen zu stellen und sie durch Widerstand zu beenden. *Sinologen geben zwar zu bedenken, dass die feine Doppeldeutigkeit des Verbes “to be” in Sachen physisches Überleben und Existenz sich der Übersetzung ins Chinesische entzieht, aber die kognitive Auseinandersetzung mit stillem Dulden vs. energischem Handeln transzendiert natürlich alle Grenzen und Sprachbarrieren. Machen wir drum einen Schwenk von Stratford-upon-Avon auf die Pekinger Bühne, wo die Messe Auto China als Branchen-Stelldichein im mittlerweile weltgrößten und damit auch für deutsche Blechschmieden herausragend wichtigen Fahrzeugmarkt den Motor angeworfen hat. Chinas Automarkt ist nach einer jugendlichen Sturm-und-Drang-Phase ein wenig in die Jahre gekommen. Nicht zuletzt die deutschen Autobauer als ausländische Platzhirsche spüren den Dynamikverlust, der auch im margenträchtigen Segment mit Premium-Fahrzeugen unbarmherzig zuschlägt.Nach Jahren eines mühelosen hohen zweistelligen Wachstums ist man nun ungewohnterweise eher auf der Kriechspur unterwegs und steht vor der Frage, ob man dieses schmerzhafte Geschick still auszusitzen versucht oder aber mit einer neuen Modellpalette dagegenhält. Chinas aufstrebende Mittelklasse ist einem Wandel des Prestigedenkens ausgesetzt und hat es nicht mehr so mit der Pkw-Oberklasse, in die ein Großteil der Ersparnisse versenkt wird. Dafür reißt man sich um relativ kompakte und kostengünstige Sports Utility Vehicles (SUV), die auch zu niedrigen Preisen ein gehobenes Sicherheits- und Selbstwertgefühl vermitteln. *Der Absatz kompakter SUV für die kompakte chinesische Einkindfamilie brachte es im vergangenen Jahr auf Wachstumsraten von über 50 %, während die Limousinenverkäufe erneut leicht rückläufig waren. Davon profitiert ein knappes Dutzend mehr oder weniger obskurer heimischer chinesischer Autobauer von Great Wall Motors bis zu Adressen wie Anhui Jianghuai oder Chongqing Changan, die mit lustigen Modellnahmen wie Trumpchi unterwegs sind und das Geschäft total an sich gerissen haben. Westliche Massenanbieter von Ford bis Volkswagen müssen schmerzhaft feststellen, dass ihre Modellpalette am neuen Massengeschmack und Preisbewusstsein vorbeischrammt.Der neue Chef im vom Staate Dänemark gar nicht so weit gelegenen Wolfsburger VW-Hauptquartier, Matthias Müller, hat die quälende Frage, ob es sich lohnt, eine extra an China angepasste SUV-Modellreihe zu entwickeln und den heimischen Herstellern den Kampf anzusagen, nun doch mit einem zaghaften Ja entschieden. In der wesentlich existenzielleren Zerreißprobe für VW, die der US-Abgasskandal “Dieselgate” mit sich bringt, ist für Prinz Müller allerdings weiterhin stummes Erdulden der Schmerzenspfeile angesagt.