Transportindustrie verändert sich in schnellen Schritten

Umsichtiges Vorgehen für alle Akteure der richtige Weg - Kontinuierlicher Fluss von Gütern, sauber, effizient und nachhaltig

Transportindustrie verändert sich in schnellen Schritten

Die Nutzfahrzeugbranche hat über viele Jahrzehnte hinweg Fahrzeuge hergestellt. Während dieser Zeit wurden Effizienz, Zuverlässigkeit, Sicherheit und Umweltverträglichkeit stetig weiter verbessert. Allein die Ökonomie der Kunden war und ist ein wichtiger Antrieb aller Hersteller in dieser Entwicklung. Diese Kontinuität gehört jedoch nun der Vergangenheit an. Die Gründe für diesen Wandel sind nicht nur technologischer Natur, sondern auch gesellschaftlicher und ökonomischer. Dazu zählen Megatrends wie Globalisierung, Nachhaltigkeit und Urbanisierung und natürlich die Digitalisierung unserer gesamten Welt, die das Umfeld, in dem sich unsere Branche bewegt, von Grund auf verändern.Globalisierung ist nicht neu. Schon Ende des 19. Jahrhunderts, als “Made in Germany” zum Gütesiegel aufstieg, waren die großen Volkswirtschaften verflochten. Allerdings ist die Globalisierung in ihrer heutigen Form sehr viel weitreichender. Hinzu kommt: Dank jahrzehntelangen Wachstums konnten Hunderte Millionen von Menschen Armut überwinden, eine Tatsache, die von Globalisierungsgegnern manchmal vergessen wird. Die massive Ausweitung des weltweiten Wohlstands und Warenangebots hatte zur Folge, dass Logistik stark an Bedeutung gewann. Keine echte AlternativeTrotz einer zunehmend kritischen Globalisierungsdebatte gibt es keine echte Alternative. Die vielzitierte Rolle Deutschlands als Exportweltmeister müssen wir an dieser Stelle nicht vertiefen, um die Vorzüge der Globalisierung zu betonen. Dennoch können wir nicht übersehen, dass das eindrucksvolle Wachstum der vergangenen Jahrzehnte Nachhaltigkeitsfragen aufgeworfen hat. Und das ist auch absolut richtig, denn ein schonender Umgang mit Ressourcen kommt allen zugute.Verstärkt wird der Logistikbedarf durch eine weltweite Urbanisierung, die in dieser Ausprägung einmalig ist. Die UNO rechnet damit, dass sich die weltweite Stadtbevölkerung bis 2050 von derzeit vier Milliarden auf sechseinhalb Milliarden Menschen erhöhen wird. Rund 90 % dieser Binnenmigration wird in Asien und Afrika stattfinden, aber auch in Europa entwickeln sich zahlreiche Städte zu Magneten. Eines ändert sich dabei nie: Städte müssen versorgt werden, ihre Bewohner benötigen öffentlichen Transport.Der zunehmende Online-Handel trägt ebenfalls zum steigenden Logistikbedarf bei. Führende Unternehmensberatungen gehen davon aus, dass der Straßengüterfernverkehr bis 2025 um 4 % pro Jahr zulegen wird. Bei Transportern, die die Städte beliefern, wird sogar mit einem jährlichen Umsatzwachstum von 8 % gerechnet. Daraus kann man schließen, wie immens der Versorgungsbedarf innerhalb der Städte offenbar wachsen wird.Gleichzeitig stellt die Urbanisierung kommunale Verwaltungen vor ungeheure Aufgaben, was Luftqualität, Abfallentsorgung und öffentlichen Nahverkehr betrifft. An dieser Stelle trifft der Megatrend Urbanisierung auf den Megatrend Nachhaltigkeit: Der Bedarf an intelligenten, umweltschonenden Lösungen nimmt weltweit zu. Die Debatte um Dieselverbote in europäischen Städten oder die chinesischen Pläne für den Ausbau der Elektromobilität eint die Erkenntnis, dass Alternativen gebraucht werden.Für die Hersteller von Nutzfahrzeugen eröffnet dies perspektivisch enorme Chancen und große Herausforderungen zugleich. Denn nur mit neuen, innovativen Produkten lässt sich die Zukunft gemeinsam meistern. Der Wandel, der sich abzeichnet und immer mehr an Fahrt gewinnt, spielt sich auf drei miteinander verbundenen Feldern ab: Digitalisierung, autonomes Fahren, alternative Antriebe. Hier wird die Industrie Lösungen bieten. So können digitale Anwendungen die Auslastung verbessern und Stand- und Ausfallzeiten reduzieren. Der Transport wird dadurch schneller, effizienter und nachhaltiger. Beispiel aus der PraxisEin Beispiel: Aktuell lassen sich Leerfahrten kaum vermeiden, geschätzte 50 bis 60 % der Ladekapazität bleiben ungenutzt. Das heißt, jeder zweite Lkw transportiert praktisch Luft. Künftig wird es möglich sein, dass auf Frachtbörsen intelligente Algorithmen die gesammelten Daten auswerten und auf dieser Basis Empfehlungen abgeben. Steht eine Leerfahrt an, sucht das System nach Versendern im betroffenen Gebiet. Diese können vom Logistikunternehmen kontaktiert werden, um den Lkw zum Beispiel auch für die Rückfahrt zu füllen. So würde trotz steigenden Frachtvolumens die Anzahl der Fahrzeuge deutlich langsamer expandieren. In Verbindung mit teilautonomem Fahren ließen sich zudem die Standzeiten verringern und die Nutzungsdauer des Lkw optimieren.Autonomes Fahren bietet ebenfalls großes Potenzial. So verbirgt sich hinter dem Begriff Platooning ein Konvoi von vernetzten Lkw, in dem der erste Fahrer die Geschwindigkeit vorgibt. Mit Hilfe des Windschattenfahrens lässt sich der Treibstoffverbrauch auf der Autobahn um bis zu 10 % reduzieren. Die Fahrer der folgenden Lkw finden Zeit für andere Tätigkeiten wie zum Beispiel Telefonate oder die Bearbeitung von Frachtpapieren, können aber jederzeit die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen. Berufsbild ändert sichPlatooning ist bereits sehr weit entwickelt und wird ab Frühjahr 2018 auf der Autobahn A9 zwischen München und Nürnberg getestet werden. Allerdings sollten wir nicht übersehen, dass es bis zum vollautomatischen Lkw im öffentlichen Straßenverkehr noch ein gutes Stück Weg ist und der Beruf des Fahrers immer noch Zukunft hat. Aber das Berufsbild wird sich verändern, so wie dies bei vielen Berufsbildern im digitalen Zeitalter der Fall ist.Für die Nutzfahrzeughersteller stellt sich zudem die Frage, ob sie künftig reine Hardware-Hersteller sein möchten oder zusätzliche Dienstleistungen anbieten. Durch die beschriebenen Herausforderungen ergeben sich auch ganz neue Geschäftsmodelle. Die vielfältigen Aktivitäten in unserer Branche zeigen, dass diese Chance angenommen wird. Aufgrund ihrer jahrzehntelangen Expertise und engen Zusammenarbeit mit den Kunden sind die Nutzfahrzeughersteller hervorragend positioniert, die Logistik der Zukunft zu prägen.Die Kernaufgabe ist es nun, den Logistikunternehmen einen echten Mehrwert bei höchster Zuverlässigkeit zu bieten. Dies erfordert Kompetenzen, die über das klassische Industrie-Know-how hinausgehen. In der Praxis sind verschiedene Lösungen denkbar. Neben Kooperationen mit innovativen Speditionen ist der Aufbau eigener Digital-Units oder die Beteiligung an Start-ups denkbar. So hat der zu Volkswagen Truck & Bus gehörende Hersteller MAN die Digitalmarke RIO initiiert und zusammen mit BCG Digital Ventures die digitale Frachtbörse Loadfox gegründet. Die Schwestermarke Scania wiederum ist bei dem deutschen Logistik-Start-up sennder eingestiegen. So können Nutzfahrzeughersteller Expertise aufbauen, Entwicklungszeiten reduzieren und die Zukunft des Transports aktiv mitgestalten. Verbesserte LebensqualitätWeitere Fortschritte sind auf dem Feld der Elektromobilität zu verzeichnen. Innerhalb der kommenden Jahre wird ein wachsender Teil des Produktportfolios auch mit E-Antrieb erhältlich sein, vom Transporter, der für Online-Händler Pakete ausliefert, bis zum Verteiler-Lkw, der den Einzelhandel beliefert. Wichtig werden E-Busse, die leise und emissionsfrei zur Verbesserung der Lebensqualität in den Städten beitragen und viel weniger Investitionsaufwand als der Ausbau der Schiene benötigen. Im Straßengüterfernverkehr wird der Verbrennungsmotor freilich noch längere Zeit unersetzlich sein, da kein anderer Antrieb in der Gesamtbetrachtung eine ähnlich gute Ökobilanz aufweist. In der öffentlichen Debatte wird oft übersehen, dass alternative Kraftstoffe wie Flüssiggas oder Biodiesel (sofern dieser nicht aus Nahrungs- oder Futtermitteln gewonnen wird) ebenfalls sinnvoll sein können. Schon heute fahren in zahlreichen europäischen Städten gasbetriebene City-Busse, die sich durch niedrige Emissionen auszeichnen.Es gibt also Alternativen, entscheidend ist die Eignung für den jeweiligen Einsatz. Eines ist sicher: Die Antriebe der Zukunft werden nicht einheitlich sein. Wichtig ist ein intelligenter Übergang von Dieselmotoren zu alternativen Antrieben. Hier kommt es darauf an, neue Lösungen Schritt für Schritt zu etablieren. Die Aussichten dafür sind gut. Assistenzsysteme und Telematikdienste sind bei Nutzfahrzeugen bereits heute üblich. Insofern ist es nur logisch, dass Nutzfahrzeughersteller auch künftig digitale Innovationen vorantreiben werden. Harter WettbewerbFür die Lieferkette bedeutet das in Summe mehr Produktivität, für den Unternehmer mehr Geschäft, für die Umwelt weniger CO2-Ausstoß. Unternehmerische und umweltpolitische Interessen befinden sich hier im Einklang. Klar ist: Innovationen setzen sich in der Logistikwelt nur durch, wenn sie profitabel und verlässlich sind. Eine Branche, die sich jeden Tag im harten Wettbewerb befindet und mit dünnen Margen kämpft, kann sich keine Experimente leisten. Aus diesem Grund ist ein umsichtiges Vorgehen für alle Akteure – auch in der Politik – der richtige Weg.Die Transportindustrie verändert sich in großen und vor allem schnellen Schritten. Schritt für Schritt werden wir in die Richtung streben, die den idealen Zustand des Transportes beschreibt: Einen kontinuierlichen Fluss von Gütern, sauber, effizient und nachhaltig. Als Hersteller treiben wir diesen Wandel massiv an. An einem nachhaltigen Gelingen sind jedoch am Ende alle beteiligt: Hersteller, Verbraucher, Kunden und Regierungen.—Andreas Renschler, CEO von Volkswagen Truck & Bus und für Nutzfahrzeuge zuständiges Vorstandsmitglied der Volkswagen AG