INTERNATIONALE AUTOMOBIL-AUSSTELLUNG - AUTOMOBILE KRISENMÄRKTE: BRASILIEN

Tristesse in den Tropen

Wirtschaftskrise, politische Unsicherheit und hohe Zinsen setzen Autoindustrie des Landes zu - Die 29 Fabriken produzieren auf Halde

Tristesse in den Tropen

Brasiliens Automarkt stürzt weiter ab. Vor allem die Traditionsmarken Fiat, GM, VW und Ford erleben Einbrüche zwischen 20 und 40 %. Im Nutzfahrzeugbereich rechnet man mit zwei bis drei Jahren Flaute. Lichtblicke gibt es allenfalls im Sektor der Premium-Pkw.Von Andreas Fink, Buenos AiresIn Brasiliens Autoindustrie klemmt der Vorwärtsgang. Die anhaltende Wirtschaftskrise und steigende politische Unsicherheit haben den Fahrzeugmarkt auch im August schrumpfen lassen. Gegenüber dem Juli gingen die Verkäufe von Autos und leichten Nutzfahrzeugen um weitere 8,9 % zurück, meldete der Verband der Autoproduzenten Anfavea. Im Jahresvergleich ließ die Produktion von Neufahrzeugen um 18,2 % nach, die Verkäufe fielen gar um 23,9 %. Sehr schwierige Lage”Der Markt ist derzeit in einer sehr schwierigen Lage”, sagte Verbandschef Luiz Moan. Das Vertrauen der Verbraucher ist tief im Keller, aber die Zinsen liegen in schwindelnden Höhen. Weil die Landeswährung Real in einem Jahr die Hälfte ihres Wertes verloren hat, trieben die verteuerten Importe die Inflation an. Im Gegenzug hob die Zentralbank bereits sechsmal in diesem Jahr den Leitzins an. Dieser liegt inzwischen bei 14,25 %, was die Finanzierung von Neuwagen für einen großen Teil der Bevölkerung erheblich erschwert. Besonders betroffen von der Misere sind Marktführer Fiat Chrysler, General Motors (GM) und VW. Der italo-amerikanische Konzern verkaufte zuletzt 26,4 % weniger Personenwagen, GM wurde 28,3 % weniger Pkw los. Am schlimmsten erwischte es im August Volkswagen mit einem Minus von über 42 %.Brasiliens inzwischen 29 Autofabriken könnten im Jahr etwa 5 Millionen Fahrzeuge fertigen. Doch sie sind nur noch zur Hälfte ausgelastet. Der Verband Anfavea kalkuliert für 2015 mit einem Gesamtabsatz von 2,59 Millionen Autos. Ende August standen bereits 358 000 Neuwagen auf Halde. Die Überproduktion nahm zwischen Juli und August noch um 4 % zu, obwohl alle großen Hersteller Kurzarbeit ausgerufen, Schichten gestrichen, Betriebsferien verhängt, Pensionierungen vorgezogen, aber auch tausende Mitarbeiter entlassen haben. Von einst 138 000 Arbeitsplätzen bei den Autobauern seien seit 2013 etwa 10 % gestrichen worden, schätzt Verbandspräsident Moan. Und auch bei den Zulieferern sowie im Autohandel sind mehr als 10 000 Arbeiter und Angestellte entlassen worden. Streiks belastenVorige Woche legten die 4 300 Arbeiter des Ford-Werkes in Brasiliens Autohauptstadt Sao Bernardo do Campo ihre Arbeit nieder. Sie protestierten gegen die Entlassung von 200 Kollegen. Vor allem die alteingesessenen Konzerne, die im sogenanten ABC-Gürtel um die Industriemetropole Sao Paulo arbeitsintensive Werke betreiben, hatten mit den Gewerkschaften Konflikte auszutragen. Daimler Benz etwa, deren Lkw-Sparte im ersten Halbjahr einen Einbruch von 44 % verkraften musste, hatte 1 500 ihrer insgesamt 10 000 Mitarbeiter in Sao Bernardo do Campo gekündigt. Nun macht der Stern-Konzern diese Entscheidung wieder rückgängig, nachdem mit den Gewerkschaften vereinbart wurde, dass die Arbeiter 20 % weniger arbeiten, dafür aber auf 10 % ihres Lohnes verzichten. Dieser Abschluss könnte zum Modell für andere Hersteller werden, ist aus Industriekreisen zu erfahren. Daimler will überwinternBei Daimler rechnet man damit, dass sich die Lage für den Nutzfahrzeugsektor in naher Zukunft eher noch verschlimmern wird. “Ich erwarte in den nächsten Jahren keine grundlegende Erholung”, bekannte vorige Woche Wolfgang Bernhard, der Vorstand für das Geschäft mit Lastwagen und Bussen. Vermutlich werde es zwei bis drei Jahre dauern, bis die Konjunktur wieder anziehe. “Wir richten uns darauf ein, zu überwintern”, sagte Bernhard.Dass Brasilien zurückkommt, steht für die gesamte Branche außer Zweifel. Das Land war 2014 – noch vor Deutschland – der viertgrößte Fahrzeugproduzent der Welt und spielt, auch wegen hoher Gewinnmargen von etwa 10 % – in den Planungen aller großen Hersteller eine Hauptrolle. GM etwa verkündete Ende August, in Brasilien bis 2019 eine neue Baureihe der unteren Mittelklasse entwickeln zu lassen. Diese Modellserie soll vor allem in Schwellenländern angeboten werden. Etwa 2 Mrd. Dollar investiert GM in das Projekt.Die meisten großen Autobauer haben inzwischen ein Werk in Brasilien eröffnet, allein schon um den 2011 verhängten Importzöllen von bis zu 30 % zu entgehen. Im März eröffnete Fiat Chrysler im nordöstlichen Staat Pernambuco die erste Jeep-Fabrik, und auch der chinesische Chery-Konzern fuhr sein Werk im Inneren des Staates Sao Paulo an. Ende 2014 begann BMW die Produktion in der Kleinstadt Araquari im südlichen Bundesstaat Santa Catarina.Dort werden die 1er- und 3er-Baureihe montiert und bald auch die SUVs X1 und X3. Außerdem soll auch der Allrad-Mini Countryman vom Band rollen. Die Brasil-BMWs können günstiger angeboten werden als Importautos, die sich durch die Abwertung stark verteuerten. Die Gelegenheit, nun national zu produzieren, ermöglichte es BMW, in den schwarzen Zahlen zu bleiben, die Verkäufe wuchsen im Vergleich zum Vorjahr um etwa 6 %. Audi legt zuNoch viel deutlicher zulegen konnte Audi. Als erster Premium-Hersteller konnten die Ingolstädter in dem Land mehr als 1 900 Fahrzeuge in einem Monat absetzen – trotz aller Krisen. Im August fanden damit gut 40 % mehr Audis als im Vorjahr einen Käufer. Auch dieser Boom folgte dem Produktionsstart in Brasilien. In der neu gestarteten VW-Fabrik in Sao José dos Pinhais im Bundesstaat Paraná wird seit Jahresanfang der A3 Sedan gebaut, der schnell zum meistverkauften Modell avancierte. Kommendes Jahr soll der SUV Q3 an gleicher Stelle montiert werden.Neben den “Newcomern” Jeep, BMW und Audi haben aber auch zwei Traditionskonzerne den Absturz vermeiden können. Sowohl Honda als auch Toyota konnten sich im positiven Bereich halten. Beide Firmen betreiben moderne Fabriken im Inneren der Provinz Sao Paulo, die stärker automatisiert sind als jene der traditionellen Schwergewichte Fiat, GM, Volkswagen und Ford im Industriegürtel um Sao Paulo. Außerdem sind im Landesinneren die Lohnkosten niedriger und der Gewerkschaftseinfluss ist geringer. Hondas Zugpferd ist der HR-V, der zum meistverkauften SUV wurde. Toyota kann sich wieder einmal auf den Corolla verlassen, der das Marktsegment der mittleren Limousinen anführt.