„TTIP würden sich heute wohl viele wünschen“
Im Interview: Dietmar Rieg
“TTIP würden sich heute wohl viele wünschen”
Außenhandelskammer New York sieht massive Aufbruchsstimmung deutscher Unternehmen in die USA – Verpasste Chance bei Freihandelsabkommen
Der Inflation Reduction Act zieht laut Dietmar Rieg eine starke Aufbruchsstimmung deutscher Unternehmen in die USA nach sich. Der langjährige CEO der Außenhandelskammer in New York betont, dass Deutschland viel von der US-Förderpolitik lernen kann – und moniert verpasste Chancen bei der wirtschaftlichen Kooperation.
Herr Rieg, Sie gehen nach zehn Jahren als Präsident und CEO der deutschen Außenhandelskammer in New York in den Ruhestand – in einer Phase, in der sich deutsche Unternehmen in den USA extrem investitionsfreudig zeigen. Ist für die German American Chamber of Commerce ausgerechnet zu Ihrem Abschied so viel zu tun wie nie?
Wir haben natürlich auch in der Vergangenheit schon Phasen mit einer starken Aufbruchsstimmung deutscher Unternehmen in die USA gesehen. Die hohen Wachstumsraten der Investitionen hängen häufig mit dem Siegeszug von Zukunftstechnologien zusammen. In den 1990er Jahren war es das Internet – heute ist es Climate Tech. Und hier hat der Inflation Reduction Act von Präsident Joe Biden, in dessen Rahmen milliardenschwere Steuererleichterungen und Subventionen für nachhaltige Technologien bereitgestellt werden, schon für enorm starken Schwung gesorgt. Was hier passiert, ist massiv. Und der Effekt dürfte noch lange anhalten.
Insgesamt stellt Washington im Rahmen des IRA über zehn Jahre rund 370 Mrd. Dollar zur Verfügung, um Investitionen in saubere Energielösungen anzukurbeln und zu stärken. In der Europäischen Union stößt dies auf Kritik, weil die Mitgliedstaaten sich durch das Gesetz im Standortwettbewerb benachteiligt sehen. Doch inwiefern muss sich Europa etwas von der US-Wirtschaftsförderung abschauen?
Für die USA hat das Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“ bisher jedenfalls gut funktioniert – der IRA enthält natürlich viel Zuckerbrot. Bei der Förderung nachhaltiger Technologien geht es ja vor allem darum, Produktionsprozesse in Industrien anzupassen, die für die Funktionalität der heimischen Wirtschaft fundamental sind. Und da kommt es maßgeblich auf die Branche an. Ein Beispiel: Der IRA sieht Förderungen für Carbon Capture in der Herstellung von Zement vor – also einem Gut, das ohnehin nicht über den Atlantik verschifft wird, weil es zu schwer ist. Nimmt dieses Beispiel jetzt also Produktion in Europa weg? Ich glaube nicht. Tatsächlich birgt der IRA für europäische Wirtschaftsvertreter vielmehr die Chance, etwas von der US-Förderpolitik zu lernen. Die Deutschen und die Amerikaner sind doch Partner. Dann setzt man sich mal hin und schaut, wo was gut läuft.
Meinen Sie wirklich, dass das passiert? Die Grünen in Deutschland scheinen doch sehr klare Vorstellungen bei der Gestaltung der Wirtschaft zu haben, beispielsweise beim Heizungsgesetz…
Da muss ich immer vorausschicken, dass wir als Kammer politisch neutral sind. Aber beim IRA muss ich schon eines deutlich hervorheben: Es ist ein absolut technologieoffenes Programm. Das ist Fakt. Die USA kurbeln Investitionen über das gesamte Spektrum CO2-sparender Systeme an – von Atomstrom, der mit Tax Credits von bis zu 15 Dollar je Megawattstunde gefördert wird, bis hin zu Steuergutschriften für alternative Treibstoffe. Die Ergebnisse dessen werden sich an der Investitionsaktivität und dem Kohlendioxid-Ausstoß messen lassen. Da sollte auch Deutschland ganz genau hinsehen.
Gilt das auch fürs Fracking? Die Vereinigten Staaten sind energiepolitisch deswegen unabhängiger, weil sie eigene Gasvorkommen etwa in Schiefergestein erschließen.
Das sollte man sich zumindest ergebnisoffen anschauen. Anfang der 2000er Jahre hatten die Amerikaner Angst, dass ihnen das Gas ausgeht. Dann kam das Fracking – und es ging alles wieder typisch amerikanisch voran. Die Technologie wurde in einer rasanten Geschwindigkeit entwickelt, große Flächen wurden erschlossen. Auch heute ist Fracking noch in den meisten Bundesstaaten erlaubt. Es gibt auch in Deutschland noch erhebliche Gasvorkommen. Die Voraussetzungen für Fracking wären also gegeben. Aber es ist ein politischer Prozess, der da stattfinden muss. Die Konsequenzen für Bürger wären weitreichend, und auch die Sorgen vor der Technologie sind groß. Es ist ja auch ein Unterschied, ob in den dünnbesiedelten Gebieten der USA gefrackt wird oder im verhältnismäßig dichtbesiedelten Deutschland.
Wird die Energiepolitik hier in den USA also pragmatischer angegangen? Es werden mehrere 100 Mrd. Dollar für grüne Technologien bereitgestellt, und trotzdem werden noch neue Ölfelder erschlossen.
Das habe ich so nicht gesagt.
Aber sicher gemeint.
Nun, es gibt hier zum Beispiel ein eigenes Energieministerium, das ist schon mal das Erste. Was darüber hinaus den Energiemix betrifft: Da ist es Ex-Präsident Barack Obama über den sogenannten „Clean Air Act“ gelungen, die Kohleverstromung nahezu zu halbieren. Über die Absenkung von Grenzwerten bei den Emissionen wurden Unternehmen vor eine neue betriebswirtschaftliche Rechnung gestellt: Investieren wir oder geben wir das Geschäft auf? Die Unternehmen hatten also die Wahl, es traf sie keine Pflicht.
Bei den Definitionen und Einstellungen zum Umweltschutz bildet der Atlantik doch immer noch eine klare ideologische Grenze. Gerade in republikanischen Bundesstaaten stoßen Banken, Vermögensverwalter und Versicherer mit harten ESG-Kriterien auf politischen Gegenwind, dagegen will Baden-Württemberg aus Nachhaltigkeitsbedenken keine US-Staatsanleihen mehr halten. Welches Konfliktpotenzial droht dadurch noch?
Eigentlich finde ich solche Reibereien sehr belebend. Wer den Diskurs offen austrägt, kommt auch schneller zu einer Verständigung und Lösungsansätzen. Tatsächlich dürften deutsche Bundesländer und US-Bundesstaaten mehr Gemeinsamkeiten finden als oftmals erwartet. Die Bedeutung von Letzteren bei der Wirtschaftsförderung wird oft unterschätzt. So haben 36 von 50 Bundesstaaten sogenannte Renewable Portfolio Standards für den Klimaschutz eingeführt. Das zeigt Wirkung: Die US-Kapazität in der Windproduktion ist von 2 Gigawatt im Jahr 1997 auf mehr als 141 Gigawatt gewachsen.
Ein bedeutender Teil davon kommt aus Texas, einem traditionell republikanisch dominierten Bundesstaat.
Daran zeigt sich ja, dass auch bei der Förderung nachhaltiger Technologien letztlich vor allem der Pragmatismus das Vorgehen bestimmt. In Texas sind die Bedingungen für Baugenehmigungen lockerer als im Großteil der restlichen USA; vor allem spielen dem Bundesstaat aber geografische Bedingungen in die Hände. Durch die Küstenanbindung und die allgemeine Topografie weht der Wind konstant und stark. Bei der Förderung von Solarenergie spielt die hohe Anzahl an Sonnenstunden in Texas eine entscheidende Rolle.
Wo bestehen in diesem Umfeld spezifische Gelegenheiten für deutsche Unternehmen, in den Vereinigten Staaten aktiv zu werden?
Eine US-Präsenz war für deutsche Firmen aus fast allen Branchen schon immer attraktiv, weil der Markt hier so große Wachstumspotenziale bietet. Nun wird gerade für nachhaltige Projekte unheimlich viel Privatkapital allokiert. Mit unserem Programm STEP USA bringen wir als Kammer ja mehrmals im Jahr deutsche Start-ups nach New York und organisieren Coachings sowie den Austausch mit anderen Unternehmern, Venture-Capital-Gesellschaften und Angel-Investoren. Da sind durchaus immer wieder junge Firmen dabei, die das Potenzial besitzen, vom hiesigen Investitionsklima zu profitieren, oder dies bereits tun.
Welche zum Beispiel?
Meteoviva ist beispielsweise ein spannendes Start-up aus dem Klimaschutz-Bereich, das mit einer Smart-Data-Lösung die Energieeffizienz von Gebäuden zu erhöhen sucht. Deren Modell dockt an jede vorhandene Gebäudeautomation an, erfasst alle für das Raumklima relevanten Einflussfaktoren wie Leistungspreise, Nutzung, Wetter oder Gebäudetechnik und berechnet daraus die optimale Energienutzung. Allein durch die IT-Lösung von Meteoviva lassen sich 20 bis 30% an Energieersparnis erzielen. Das Unternehmen fasst auch hier in New York zunehmend Fuß. Dies ist auch Folge neuer lokaler Gesetze aus den vergangenen Jahren, die strikte Vorgaben für die Energieeffizienz und den CO2-Ausstoß von Gebäuden festlegen.
Vorhin sprachen wir noch darüber, dass die US-Gesetzgeber bei der nachhaltigen Wirtschaftsförderung vor allem mit Zuckerbrot arbeiten.
Da ging es aber vor allem um die Bundespolitik, die mit dem IRA bezüglich Steuererleichterungen und Subventionen in neue Dimensionen vorgestoßen ist. Natürlich gibt es hier aber auch lokale Regulatoren, die harte Regeln festlegen. Das kann für eine Vielzahl an Unternehmen relevant werden: den Fensterbauer, dessen Produkte in verschiedenen Regionen unterschiedlichen Härtetests standhalten müssen, genauso wie für den Automobilhersteller oder -zulieferer, der sich an spezifische Verbrauchsvorschriften halten muss. Da kommt die Außenhandelskammer als Vermittlerin und Informationsbörse ins Spiel.
Dabei muss sie aber – zumindest im tagtäglichen Geschäft – künftig ohne Sie auskommen. Welche Veränderungen in der Arbeit der Kammer stehen nun bevor?
Wir haben meine Nachfolge über Monate geregelt, unsere neue CEO und Präsidentin Susanne Gellert und ich sind bei unseren Vorstellungen bezüglich der Rolle der Kammer voll auf einer Wellenlänge. Unsere Aufgabe ist es, die ökonomische Aktivität zu stützen und den Dialog mit unseren amerikanischen Partnern zu fördern. Wir sind und bleiben nicht gewinnorientiert – das ist ganz wichtig, um eine vertrauensvolle Kooperationsbasis mit Unternehmen zu schaffen. Diese können so sicher sein, dass wir keine versteckte Agenda verfolgen oder uns in die eigene Tasche arbeiten. Natürlich muss die Kammer aber mit der Zeit gehen.
Was heißt das konkret?
Dass wir uns ständig mit neuen Inhalten auseinandersetzen müssen. Vor drei Jahren kam ein Wirtschaftsvertreter auf mich zu, um über die wachsende Bedeutung von Bahntechnik zu sprechen. Das war hier immer eine sehr regional geprägte Industrie, deswegen war ich am Anfang auch eher skeptisch. Doch wir haben da durchaus einen Austausch fördern können. Zuletzt haben wir eine Runde mit Vertretern der New Yorker Metropolitan Transportation Authority sowie weiterer Transit- und Güterverkehrsgesellschaften organisiert. Da ging es viel um deutsche Technologie, zum Beispiel den Brandschutz in Zügen. Solche Veranstaltungen müssen nicht immer gleich zu Geschäftsabschlüssen führen, aber sie schaffen nützliche Kontakte.
Wo Sie schon Geschäftsabschlüsse erwähnen – was waren eigentlich die spannendsten Deals, die Sie in Ihrer Karriere eingefädelt haben?
In meiner Zeit bei der Kammer haben wir viele Unternehmen bei den ersten Gehversuchen im US-Markt begleitet – gerade auch innerhalb des STEP-Programms, dessen Start 2014 wirklich schwierig war. Da gab es öffentlich nicht viel Verständnis dafür, welchen Mehrwert so eine Start-up-Initiative der Kammer bieten soll. Aber unser Direktorium, das aus Vertretern deutscher und amerikanischer Unternehmen besteht, hat daran geglaubt. Inzwischen ist das Teilnahmeinteresse junger Unternehmer aus Deutschland enorm hoch und bei unseren Pitch Nights sitzen hochrangige Venture-Geldgeber im Publikum. Ganz konkret sind mir aber zwei Projekte aus meiner alten Karriere in guter Erinnerung geblieben…
Vor Ihrem Wechsel zur Außenhandelskammer waren Sie für die BayernLB tätig, zuletzt als General Manager in New York.
Ja, und mit der Landesbank haben wir früh mit Finanzierungen auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien angefangen. Als BMW Anfang der 1990er Jahre das Werk in Spartanburg, South Carolina, plante, gab es die Idee, Methangas von einer Mülldeponie als Energiequelle zu nutzen. Der Green-Energy-Entwickler Ameresco bot damals an, dafür eine 15 Kilometer lange Pipeline zu bauen. Das erschien zunächst einmal als verrückter Gedanke, ergab bei näherer Betrachtung aber langfristig ökonomischen Sinn. Wir haben die Transaktion dann durchgezogen, das System funktioniert bis heute.
Und die andere denkwürdige Transaktion aus Ihrer Zeit als Landesbanker?
Da ging es um Ölbohrungen in Mexiko, bei denen austretendes Erdgas zumeist einfach verbrannt wurde. Wir haben daran mitgearbeitet, dieses Gas stattdessen zu sammeln und für die Energiegewinnung zu nutzen. Das war ein technisch komplexer Prozess, durch den vier Gaskraftwerke bespeist werden sollten. Auch hier musste aber erstmal eine Pipeline gelegt werden – was in Mexiko nicht ganz einfach ist, weil bei Grabungsarbeiten häufig Artefakte alter Hochkulturen zutage treten. Es gab da eine Klausel, gemäß der die Bauarbeiten in solchen Fällen gestoppt oder die Pipeline umgeleitet werden musste. Für einen Fremdkapitalgeber ist das riskant, wir hatten als Landesbank durch den langfristigen Finanzierungshorizont aber eventuell einen größeren Spielraum als andere Geldhäuser. Die Transaktion wurde ein Erfolg, obwohl die Pipeline einen Umweg nehmen musste.
Mit Hindernissen mussten Sie sich auch während Ihrer Zeit als Vorsitzender der deutschen Außenhandelskammer in New York auseinandersetzen. Was hat Sie geärgert?
Ohne Jahre später nachtreten zu wollen: Die Verhandlungen rund um das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) sind sicherlich alles andere als optimal gelaufen. Mir war nach der Wiederwahl Barack Obamas 2012 eigentlich klar, dass eine ziemlich einzigartige Chance bestand, das Abkommen zum Abschluss zu bringen. Wir haben uns damals für TTIP eingesetzt – letztlich scheiterte es aber an einer Vielzahl von Faktoren, darunter Widerstand aus der Zivilgesellschaft. Jetzt, nachdem die USA unter Joe Biden den IRA verabschiedet haben, würden sich viele wohl ein transatlantisches Freihandelsabkommen wünschen.
Der Inflation Reduction Act ist ein absolut technologieoffenes Programm. Die USA kurbeln Investitionen über das gesamte Spektrum CO2-sparender Systeme an. Die Ergebnisse dessen werden sich an der Investitions-aktivität und dem Kohlendioxid-Ausstoß messen lassen. Da sollte auch Deutschland ganz genau hinsehen.
Das Interview führte Alex Wehnert.