Übernahmeappetit stößt Japan AG sauer auf
Japans Unternehmen akquirieren, um zu wachsen. Doch diese Strategie im Niedrigzinsumfeld hat ihre Tücken. Sie fällt den Konzernen in Form von milliardenschweren Wertberichtigungen auf die Füße.Von Martin Fritz, TokioEin Ziel von Japans Wirtschaftspolitik “Abenomics” ist die Steigerung der privaten Kapitalausgaben. Doch die Manager kaufen lieber im Ausland Umsatz und Gewinn zu, als im eigenen Land neue Fabriken zu finanzieren. So können sie dem Heimatmarkt entkommen, wo die Bevölkerung innerhalb von sechs Jahren um 1 Million geschrumpft ist. Mit einem Anteil von fast 27 % an über 64-Jährigen ist Japan die älteste Gesellschaft der Welt.Doch die M & A-Strategie hat ihre Tücken. Wegen der extremen Niedrigzinsen ist die Finanzierung von Übernahmen so günstig geworden, dass Unternehmen leichtfertig sehr hohe Kaufpreise vereinbaren. Die Prämien auf den aktuellen Börsenwert sind auf Rekordniveau gestiegen. Im Gegenzug sieht sich eine wachsende Zahl von Unternehmen bei Marktkorrekturen zu Abschreibungen gezwungen. Andere Konzerne haben begonnen, teure Zukäufe wieder abzustoßen. Im Rekordjahr 2015 tätigten japanische Unternehmen nach Daten von Dealogic Zukäufe für 54,6 Mrd. Dollar. Das Tempo ging jedoch im ersten Halbjahr 2016 gegenüber dem Vorjahr um zwei Drittel auf 17,7 Mrd. Dollar zurück. Dann sprang die Summe binnen vier Wochen auf 58 Mrd. Dollar. Denn im Juli verkündete Softbank den Kauf des britischen Chip-Designers ARM Holdings für 24,3 Mrd. Pfund (jetzt 28,4 Mrd. Euro). Anschließend erwarb der Baumaschinenriese Komatsu seinen US-Rivalen Joy Global für 3,7 Mrd. Dollar. Der Präsident der zweitgrößten japanischen Investmentbank Daiwa Securities, Takashi Hibino, machte die Verteuerung des Yen nach dem Brexit-Votum in Großbritannien für die Deal-Beschleunigung verantwortlich. “Seitdem studieren die Firmen voller Enthusiasmus neue Übernahmeziele”, sagte Hibino: Derzeit ist die japanische Landeswährung rund ein Fünftel teurer als vor einem Jahr. Überhitzung diagnostiziertDoch das M & A-Fieber hat seinen Preis. Der Finanzdienstleister Bloomberg spricht von einer Überhitzung innerhalb Japans. Nach dessen Zahlen ist die Summe der Firmenkredite bei heimischen Banken für solche Deals in Japan im ersten Halbjahr um 10 % auf 25,2 Bill. Yen (223 Mrd. Euro) gestiegen. Das sei der höchste Wert seit 2007. Das billige Geld zu Zinsen unter 1 % scheint die Unternehmen jedoch zur Großzügigkeit zu verleiten. So wurde für Kinugawa Rubber Industrial eine Prämie von 44 % bezahlt, obwohl die Finanzierung von der staatlichen Entwicklungsbank stammt. Die durchschnittliche Prämie zwischen Kaufpreis und Marktwert ist bei Deals zwischen japanischen Firmen laut Bloomberg auf 24,8 % und damit den höchsten Wert seit sieben Jahren gewachsen. Das M & A-Volumen kletterte mit 4,4 Bill. Yen auf ein Zehnjahreshoch. In der gleichen Zeit sank der marktbreite Aktienindex Topix um 16 %. Zudem legte das Verhältnis von Kaufpreis zum Ergebnis vor Steuern und Zinsen (Ebit) innerhalb Japans auf knapp 9 zu. Üblich ist eine Quote von 5. “Bei einem Abschwung werden viele Käufer feststellen, dass sie zu viel bezahlt haben”, warnte der Vizechef der japanischen Investmentbank Orix, Seiichi Miyake. Handelshäuser verkalkuliertDie Schwelle zu dieser Einsicht haben viele japanische Unternehmen unterdessen bereits überschritten. Im Ende März abgelaufenen Geschäftsjahr summierten sich die Abschreibungen von börsennotierten Firmen auf den Wert ihrer Übernahmen nach einer Kalkulation der Finanzzeitung “Nikkei” auf über 3 Bill. Yen (27 Mrd. Euro). Vor allem waren dafür die Handelshäuser verantwortlich, die auf dem Höhepunkt des Rohstoffbooms ausländische Vorkommen an Kupfer, Gas, Öl und Kohle erworben hatten. Auf die Füße gefallenDurch den Preisverfall bei Metallen und fossiler Energie mussten sie ihre Bilanzen korrigieren. Aber vielen Firmen fielen auch ausländische Übernahmen auf die Füße. Dazu gehörte die Abschreibung von Toshiba in Höhe von 260 Mrd. Yen auf die US-Nuklearfirma Westinghouse. Mitsui Chemicals nahm eine Korrektur von 19,5 Mrd. Yen für den deutschen Zukauf Heraeus Dental von 2013 vor. Gezahlt wurden 54,3 Mrd. Yen bzw. 450 Mill. Euro. Das ergibt einen Verlust von 36 %.Die Konsequenz: Einige Konzerne bieten ihre neuen Töchter bereits wieder feil. So will der Baustoffriese Lixil, der noch 2013 den Sanitärhersteller Grohe für 3,1 Mrd. Euro schluckte, seine italienische Bautochter Permasteelisa wieder loswerden. 2011 zahlten die Japaner dafür 573 Mill. Euro. Beteiligungsfonds treten sich bei Lixil derzeit auf die Füße. Die Tochter Hivic hat Lixil schon an den japanischen Investor Polaris Capital abgestoßen.