"Überzogene Bußgelder vermeiden"

Chemieverband unterstützt Pläne für Unternehmenssanktionsrecht, warnt aber vor zu hohen Strafen

"Überzogene Bußgelder vermeiden"

Die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vorgesehene Neuregelung des Sanktionsrechts für Unternehmen dürfte in absehbarer Zeit auf den Weg gebracht werden. Der Verband der Chemischen Industrie und der Berufsverband der Compliance Manager positionieren sich für das Gesetzesvorhaben. swa Frankfurt – Die Finanzmarktkrise oder Skandale wie “Dieselgate” haben den Ruf nach einem Unternehmensstrafrecht laut werden lassen. Deutschland nimmt international eine Sonderrolle ein, nachdem viele Länder bereits Verbandsstrafgesetze eingeführt haben. Hierzulande gibt es Sanktionsmöglichkeiten gegen Unternehmen bislang nur im Ordnungswidrigkeitengesetz. In dem Rahmen kann ein Bußgeld gegen eine juristische Person verhängt werden, wenn eine Leitungsperson eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen hat. Diese Geldbuße ist im Falle einer vorsätzlichen Straftat auf 10 Mill. Euro begrenzt. Das schreckt große Konzerne aus Sicht der Öffentlichkeit nicht genügend ab. Verfolgungszwang erwünschtIm Koalitionsvertrag der Bundesregierung haben sich die Parteien auf die Einführung eines Unternehmenssanktionsrechts verständigt. Der Begriff Unternehmensstrafrecht wird zwar vermieden, aber es ist aus Sicht von Juristen eine Neuregelung gemeint, die über das Ordnungswidrigkeitenrecht hinausgeht und einen Verfolgungszwang vorsieht. Ein Gesetzentwurf wird in Kürze erwartet. In diesem Szenario positionieren sich der Verband der Chemischen Industrie (VCI) und der Berufsverband der Compliance Manager (BCM) mit Forderungen an den Gesetzgeber. Dabei unterstützen die beiden Organisationen ein “modernes Unternehmenssanktionsrecht”, das eine verschuldensabhängige Haftung von Rechtsverstößen vorsieht. Der Fokus der Regulierung solle dabei jedoch in der Stärkung der Compliance in den Gesellschaften liegen, heißt es. Fokus auf PräventionDer Koalitionsvertrag geht bereits auf die Erweiterung des Sanktionsinstrumentariums ein und schlägt für Unternehmen mit mehr als 100 Mill. Euro Umsatz eine Bußgeldobergrenze von 10 % des Umsatzes vor. Diesen Rahmen erachten die beiden Verbände als zu hoch, weil zahlreiche Firmen von einer Marge von 10 % weit entfernt seien. VCI und BCM schlagen keinen alternativen Bußgeldrahmen vor. Die Geldsanktion sollte “angemessen” sein, präventiven Charakter haben und Compliance-Maßnahmen honorieren. Überzogene Bußgelder und Sanktionen, die “nur zu einer Unternehmensschädigung führen, sind nicht zielführend”, wird im Positionspapier betont. Im Koalitionsvertrag ist zur Abschreckung auch die öffentliche Bekanntmachung der Sanktionierung vorgesehen. Zu diesem “Naming and Shaming” beziehen die beiden Verbände keine Stellung. Große Fälle dürften allerdings sowieso bekannt werden.Voraussetzung für eine Sanktion muss aus Sicht der Industrievertreter ein Mangel in der Organisation des Unternehmens sein. Neben der individuellen Tat eines Mitarbeiters müsse es einen Tatbeitrag des Unternehmens geben, etwa durch eine unzureichende Compliance-Organisation, die das Fehlverhalten des Individualtäters ermöglicht oder erleichtert hat. Die Verbände halten es für verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, “Sanktionen auch gegen Unternehmen mit einwandfreier Organisation zu verhängen”.Dass eine mangelhafte Compliance-Struktur den Rechtsverstoß eines Mitarbeiters begünstigt hat, müssten die Ermittlungsbehörden nachweisen, verlangen VCI und BCM. Es sei unzulässig, aus dem Fehlverhalten eines Einzelnen auf die Wirkungslosigkeit und Mangelhaftigkeit der Unternehmens- oder Compliance-Organisation zu schließen. “Von dieser nach wie vor im deutschen und europäischen Kartellrecht gelebten Praxis hat selbst die USA jüngst Abstand genommen”, mahnen die Verbände. Auch die beste Prophylaxe könne nicht vor kriminellen Einzeltaten schützen. Möglichkeit zur SelbstanzeigeChemieindustrie und Compliance-Manager plädieren für die Möglichkeit, sich über eine Selbstanzeige von der Strafe zu befreien – so wie es aus dem Steuerrecht bekannt sei. Diese Chance, die Strafe zu vermeiden oder zu vermindern, wird als starke Motivation angesehen, um an der internen Aufarbeitung von Fehlverhalten im Unternehmen mitzuwirken.Angelehnt an das Strafprozessrecht halten es die Verbände für sinnvoll, den Ermittlungsbehörden die Möglichkeit zur Einstellung des Verfahrens an die Hand zu geben. Regressansprüche des Unternehmens gegen Organmitglieder und Angestellte wegen verhängter Bußgelder sollten ausgeschlossen sein, heißt es weiter im Positionspapier.