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Umbruch im britischen Online-Lebensmittelhandel

Von Andreas Hippin, London Börsen-Zeitung, 29.6.2019 Noch ist der Online-Lebensmittelhandel in Großbritannien ein Nischengeschäft, allerdings wird sein Marktanteil dem Marktforscher Mintel zufolge bis 2024 auf ein Zehntel steigen. Im vergangenen...

Umbruch im britischen Online-Lebensmittelhandel

Von Andreas Hippin, LondonNoch ist der Online-Lebensmittelhandel in Großbritannien ein Nischengeschäft, allerdings wird sein Marktanteil dem Marktforscher Mintel zufolge bis 2024 auf ein Zehntel steigen. Im vergangenen Jahr lag er noch bei 7 %. Er wird das am schnellsten wachsende Segment im Lebensmittelhandel sein. Mittlerweile liefern fast alle großen britischen Ladenketten online bestellte Produkte gegen eine mehr oder weniger hohe Gebühr nach Hause. Dabei gibt es große Unterschiede, was Qualität und Erhältlichkeit sowie die Verfügbarkeit der gewünschten Lieferzeit angeht. Nach Schätzung von Mintel werden 2023 für 19,8 Mrd. Pfund Lebensmittel im Internet bestellt – eine Steigerung von 60 %. Die Zahl der Briten, die Lebensmittel online kaufen, ging allerdings in den Jahren 2015 bis 2018 zurück. Zweifel an M&S-StrategieAnleger sind skeptisch. Die Banken des Traditionskonzerns Marks & Spencer (M&S) brachte lediglich 85 % der Kapitalerhöhung unter, die den Aufbau eines Gemeinschaftsunternehmens mit dem Online-Supermarkt Ocado finanzieren soll. Durch den ambitionierten Deal werden die Karten im Online-Lebensmittelhandel neu gemischt. M&S will sich damit eine tragfähige Internet-Plattform für das Geschäft mit Lebensmitteln verschaffen. Ocado ermöglicht die Übereinkunft, sich von der schwankungsanfälligen Einzelhandelskonjunktur abzukoppeln und sich stärker als Technologieunternehmen zu positionieren. Die FTSE-350-Gesellschaft bringt ihr britisches Lebensmitteleinzelhandelsgeschäft in das Joint Venture ein. Das Gemeinschaftsunternehmen namens Ocado.com soll das Lebensmittel- und Getränkeangebot von M&S mit den Eigenmarken von Ocado und Produkten anderer Anbieter zusammenführen und mehr als 50 000 Bestandsartikel führen.Ocado kann von der Kooperation nur profitieren. Aus Sicht der Analysten von Peel Hunt mindert sie die Risiken, die sich aus dem Auf und Ab im Einzelhandel ergeben, und biete die Möglichkeit, neue Technologien auszuprobieren. Mit den ihr zufließenden Mitteln könne Ocado einerseits Zukäufe tätigen, etwa in den Segmenten ünstliche Intelligenz und Robotik, aber auch komplementäre Liefernetze aufbauen, etwa in Form einer Motorrollerflotte, oder andere Dienste anbieten, etwa Kochboxen oder warme Mahlzeiten frei Haus. Ob M&S in der Kooperation mit ihren Produkten punkten kann, ist nicht so klar. Denn im Segment Convenience, auf das sich die Food-Sparte des Kaufhausbetreibers konzentriert, tummeln sich zahllose Wettbewerber, die teilweise hoch spezialisiert sind. Die Fertiggerichte und das “Food to Go” stehen zudem zunehmend im Wettbewerb mit Online-Bringdiensten wie Deliveroo und Uber Eats, vor allem bei der jüngeren Generation. Aus Sicht der Analysten von HSBC könnte auch der Umstand, dass M&S keine Markenprodukte auf Lager hat, zum Problem werden. Der Aufbau eines Einkaufsteams und die Beschaffung dieser Produkte, ohne über große Marktmacht zu verfügen, wäre eine “echte und teure Herausforderung”.Der Rivale Waitrose musste sich nach der Ankündigung Ocados, künftig mit M&S zusammenzuarbeiten, einen neuen Partner suchen. Der Einzelhändler arbeitet mit der E-Commerce-Plattform Today Development Partners (TDP) zusammen. Hinter TDP steckt Jonathan Faiman, der vor zwei Jahrzehnten zu den Gründern von Ocado gehörte. “Wir wollen keine Kopie von Ocado werden, sondern etwas anderes”, sagte Faiman. Er hat den Vorteil, dass Waitrose eine weitaus umfangreichere Produktpalette als M&S anbietet, die zudem bei gut betuchten Kunden gut ankommt. Tesco und J Sainsbury liefern selbst aus. Amazon dreht aufWM Morrison Supermarkets verbündete sich mit dem US-Internethändler Amazon.com. Nachdem das Unternehmen eine Partnerschaft mit Ocado neu verhandelte, kann es seine Produkte nun auch direkt über andere Online-Plattformen wie Amazon oder Deliveroo verkaufen. Kunden von Amazon Prime können jetzt bei “Morrisons at Amazon” bestellen und sich ihre Einkäufe für 6,99 Pfund noch am selben Tag nach Hause liefern lassen. In Birmingham, Leeds, Manchester und in Teilen des Londoner Speckgürtels ist das Angebot bereits verfügbar. Auf fünf weitere Städte soll es nun ausgeweitet werden. Die zunehmenden Aktivitäten von Amazon.com im britischen Online-Lebensmittelhandel dürften dafür sorgen, dass der Wettbewerbsdruck nicht so schnell nachlässt.Wird der Einkauf von Obst und Gemüse im Internet deshalb bald zum Massenphänomen? Wohl kaum. Discounter wie Aldi und Lidl sind einfach nicht zu schlagen, wenn man auf den Preis achten muss oder will. “Die Lieferung von Lebensmitteln nach Hause ist eine teure Option für Verbraucher und Händler”, urteilen die Branchenexperten der HSBC. “Sie ist aus unserer Sicht ein Nischenmarkt, der eine Minderheit anspricht, die nicht preisempfindlich ist.”