DATENSCHUTZ

"Unsinnig und praxisfern"

Vertreter der digitalen Wirtschaft begrüßen einheitliche Datenschutzregeln, wollen bei der Umsetzung aber noch eigene Akzente setzen

"Unsinnig und praxisfern"

Von Stefan Paravicini, FrankfurtDie Vertreter der digitalen Wirtschaft haben sich grundsätzlich positiv, mit Blick auf die Umsetzung aber eher skeptisch zu der am Dienstagabend erreichten Einigung auf gemeinsame Regeln für den Datenschutz in der Europäischen Union (EU) geäußert. Zwar begrüßen die meisten Branchenvertreter die Aussicht auf eine EU-Datenschutzverordnung, die ab 2018 an die Stelle des heute geltenden Flickenteppichs treten soll. Allerdings sehen sie auch die Gefahr, dass Europa bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle unter den jetzt vorgelegten neuen Regeln für den Datenschutz ins Hintertreffen geraten könnte.”In Zukunft gilt in der EU beim Datenschutz gleiches Recht für alle”, sagte Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom). “Davon profitieren auch die Unternehmen, weil sie beim Datenschutz künftig einheitliche Marktbedingungen vorfinden.” Allerdings sei die Verordnung auf der Suche nach einem politischen Kompromiss an vielen Stellen vage geblieben und werde die Datenverarbeitung erheblich erschweren. “Die Verordnung wird zum Beispiel zu Rechtsunsicherheit führen, wenn es um die Zulässigkeit neuer digitaler Geschäftsmodelle geht”, sagte Rohleder. Die Regelung, nach der Jugendliche bis zu 16 Jahren je nach Mitgliedsstaat die Einwilligung ihrer Eltern brauchen, wenn sie sich bei einem Internetdienst anmelden wollen, bezeichnet der Bitkom als “unsinnig und praxisfern”. Auch an anderer Stelle sei die angestrebte Vereinheitlichung der Datenschutzregeln verfehlt worden. Binnenmarkt geht onlineDer Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begrüßte den Abschluss der Verhandlungen, mahnte die EU aber, “den digitalen Binnenmarkt zügig vollenden, damit europäische Unternehmen in Zukunft noch besser wachsen können”, wie sich Holger Lösch, Mitglied der Hauptgeschäftsführung, zitieren lässt.Der Softwarekonzern SAP bewertet es ebenfalls positiv, “dass mit der Datenschutzgrundverordnung eine einheitliche Regelung auf europäischer Ebene gefunden wurde”, wie auf Anfrage mitgeteilt wird. Bei den nun folgenden Schritten sei es wichtig, möglichst praktikable Lösungen für die europäische Wirtschaft zu finden, damit Geschäftsprozesse in Unternehmen mit möglichst vertretbarem Aufwand an das neue Regelwerk angepasst werden können. “Zudem ist dringend geboten, bei der Umsetzung die richtige Balance zwischen dem Schutz personenbezogener Daten einerseits und der Förderung neuer digitaler Geschäftsmodelle zu finden.” SAP biete der Kommission und den Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten eine konstruktive Zusammenarbeit an, “um eine möglichst pragmatische und zukunftsfähige Interpretation des vorliegenden Textes zu erzielen”.Die Deutsche Telekom wies mit ihrem Statement in die gleiche Richtung. Grundsätzlich bewerte man die Einigung sehr positiv, lautete die Einschätzung am Firmensitz in Bonn. Ob es gelinge, mit der Einigung ein hohes Datenschutzniveau zu sichern und gleichzeitig neue digitale Geschäftsmodelle zu ermöglichen, hänge nun aber unter anderem davon ab, wie die konkreten Regeln zum Umgang mit pseudonymisierten Daten ausgestaltet werden, sagte Thomas Kremer, der im Telekom-Vorstand Datenschutz, Recht und Compliance verantwortet. Die Unternehmen hatten zuletzt noch einmal alle Register gezogen, um den Umgang mit diesen Daten ohne Personenbezug zu erleichtern. Hervorzuheben sei indessen, dass die europäischen Datenschutzregeln für alle Unternehmen gelten, wenn sie ihre Dienste hier anbieten wollen. “Das ist ein großer Schritt auf dem Weg zu fairen Wettbewerbsverhältnissen zwischen hiesigen Telekommunikations- und großen Internetunternehmen aus Übersee”, sagte Kremer. Daten als FundamentIm angelsächsischen Raum fiel die Bewertung der nach insgesamt knapp vier Jahre andauernden Verhandlungen gefundenen Einigung anders aus. Die Unternehmen unterstützten zwar die Schaffung eines digitalen Binnenmarkts in Europa, der sowohl für die Wirtschaft als auch für die Konsumenten Vorteile bringe, teilte die Confederation of British Industry (CBI) mit, die für rund 190 000 Firmen aus Großbritannien spricht. Daten bildeten allerdings das Fundament für Jobs und Wachstum in diesem Markt und der nun vorgestellte Kompromiss zur EU-Datenschutzverordnung verfehle sowohl mit Blick auf den Schutz der Verbraucher als auch mit Blick auf die Chancen für Unternehmen im digitalen Binnenmarkt das Ziel.Auch die Lobbygruppe Digitaleurope, die in Brüssel die Interessen von Unternehmen wie Apple, Google oder IBM, aber auch SAP, Siemens oder Philips vertritt, äußerte sich kritisch. Zwar erkenne man an, dass die Verhandler unter großem zeitlichen Druck gestanden hätten und die Verordnung grundsätzlich geeignet sei, das europäische Datenschutzrecht konsistenter zu gestalten als bisher. Allerdings sei es nicht gelungen, eine Balance zwischen dem Schutz von Grundrechten und der Wettbewerbsfähigkeit von europäischen Unternehmen zu finden. Die konkrete Umsetzung des nun vorgelegten Texts werde darüber entscheiden, ob Europa das Potenzial des digitalen Binnenmarktes heben kann.