„Unternehmen müssen bei Nachwuchswerbung auch das Gehalt thematisieren“
Im Interview: Jörg Friedrich
„Dem Nachwuchs die richtigen Botschaften senden“
VDMA: Arbeitskräftemangel führt bei jeder zweiten Firma zu Umsatzeinbußen – Bildungsexperte rät, jungen Leuten mehr Einblicke in Betriebsalltag zu geben
Der Fachkräftemangel stellt deutsche Maschinenbauer vor wirtschaftliche Probleme. Auf der Suche nach Personal muss die Branche schon bei der Nachwuchswerbung gegensteuern und jungen Leuten besser vermitteln, was sie erwarten können, sagt Jörg Friedrich vom Branchenverband VDMA.
Herr Friedrich, die größte industrielle Arbeitgeberbranche Deutschlands ringt mit der Gewinnung von Personal. Laut einer neuen VDMA-Umfrage können derzeit nur 14% aller Firmen alle oder fast alle offenen Stellen für Fachkräfte besetzen. Wo knirscht es besonders?
Wenn es um Qualifikationsgrade geht, sind tatsächlich vor allem Fachkräfte mit dualer Berufsausbildung, speziell in den Bereichen Mechatronik und Automatisierungstechnik gefragt. Hier haben Unternehmen die größten Schwierigkeiten, passende Leute zu finden. Es fehlen aber auch Akademiker. Bei Hilfskräften ist das Problem nicht ganz so groß. Mit Blick auf die einzelnen Unternehmensbereiche mangelt es vor allem an Personal in der Produktion, Konstruktion sowie in der Forschung und Entwicklung.
Welche Folgen hat das?
Der Arbeitskräftemangel führt ganz klar zu Umsatzeinbußen. Davon war in unserer Umfrage jedes zweite Maschinenbauunternehmen betroffen. Konkret haben 27% der Firmen gesagt, dass sie durch Personalengpässe bis zu 5% weniger Umsatz machen. 13% haben gesagt, dass sich die Einbußen auf 5% bis 10% belaufen. Bei 7% sind es sogar mehr als 10%.
Unternehmen müssen Expertise auch selbst weitergeben. Die Ausbildungsbetriebsquote ist in der Branche von 2018 bis 2023 allerdings gesunken, und zwar von 40,9% auf 36,8%. Gewerkschaften werfen den Arbeitgebern vor, nicht genug zu tun. Haben sie recht?
Es ist richtig, dass die Ausbildungsbetriebsquote gesunken ist. Unsere Wahrnehmung ist hier trotzdem eine andere. Die Unternehmen tun eine Menge, um junge Leute anzuwerben. Der Maschinenbau bildet seit Jahren im Vergleich zu vielen anderen Branchen überdurchschnittlich aus. In unserer Umfrage unter rund 300 VDMA-Mitgliedsunternehmen hat ein Drittel aller Firmen angegeben, dass sie einen weiteren Stellenaufbau im Ausbildungsbereich planen. 22% können die Stellen aber nicht oder kaum besetzen. Das trifft insbesondere kleine Firmen in ländlichen Regionen, von denen viele ihr Ausbildungsangebot irgendwann auch einstellen, wenn sie niemanden finden.
Wenn sich in manchen Gegenden keine Kandidaten finden, müssen die Ansprüche an den Nachwuchs dann vielleicht auch runtergeschraubt werden?
Das passiert ja schon. Die Unternehmen geben heute viel mehr jungen Leuten eine Chance, die sie früher vielleicht nicht eingestellt hätten. Ab einem gewissen Punkt hat das aber auch Grenzen, denn letztlich sind die Berufe im Maschinenbau sehr anspruchsvoll, insbesondere in Mathematik. Und auch hier investieren Unternehmen, indem sie beispielsweise Nachhilfeunterricht geben. Gleichzeitig sollten die Arbeitgeber aber erwarten können, dass jeder mit schulischem Abschluss in Deutschland ordentlich rechnen und schreiben kann. Hier hat sich das Niveau laut unseren Verbandsmitgliedern in den letzten Jahren deutlich verschlechtert.
Der Maschinenbau ist nicht die einzige Branche, die um geeignete Nachwuchskräfte ringt. Sind die Ausbildungsplätze vor dem Hintergrund überhaupt attraktiv genug vergütet?
Die Ausbildungsplätze sind absolut attraktiv vergütet. Industriemechaniker-Azubis verdienen zum Beispiel im Schnitt rund 1.200 Euro pro Monat. In vielen anderen Branchen wird nicht so gut bezahlt. Unsere Befragungen zeigen auch, dass die Auszubildenden sowohl mit ihrem Ausbildungsberuf als auch mit den Ausbildungsunternehmen sehr zufrieden sind. Das zeigt auch der Ausbildungsreport des DGB. Dort gehören der Mechatroniker, der Industriemechaniker, der Elektroniker und der Informatiker regelmäßig zu den Top-5-Ausbildungsberufen. Das Problem ist, dass die jungen Leute diese industriellen Berufe nicht gut kennen, weil sie hinter verschlossenen Fabrikhallen stattfinden.
Was muss hier getan werden?
Wir appellieren als Verband regelmäßig an Unternehmen, Schülern und Schülerinnen noch bessere Einblicke in ihren Betriebsalltag zu geben. Die Firmen müssen sich dem Thema Nachwuchswerbung stellen und noch viel mehr Angebote wie Schülerpraktika und Tage der offenen Tür anbieten. Sie müssen auch junge Auszubildende in die Schulen schicken, damit die dort über ihre Erfahrungen berichten können. Dazu haben wir im April eine europaweite Kampagne gestartet, mit der wir zu entsprechenden Aktionen motivieren und im Bedarfsfall unterstützen wollen. Dabei geht es darum, dass Firmen in der Kommunikation nicht irgendwelche, sondern die richtigen Botschaften senden.
Jörg Friedrich, Leiter Abteilung Bildung, VDMADas Problem ist, dass die jungen Leute diese industriellen Berufe nicht gut kennen, weil sie hinter verschlossenen Fabrikhallen stattfinden.
Was sind die richtigen Botschaften?
Wenn Maschinenbaufirmen nach außen kommunizieren, zum Beispiel via Social Media, dann stellen sie häufig die Technik in den Vordergrund. Sie müssen aber den Menschen in den Mittelpunkt stellen und potenziell Interessierten zeigen, was sie in dem Unternehmen genau erwartet. Wir wissen aus Umfragen unter Schülern und Studierenden, dass für sie vor allem die harten Fakten entscheidend sind: Was kann man verdienen, wie sind die Arbeitsbedingungen, wie ist das Arbeitsklima und so weiter. Dinge wie Homeoffice oder Nachhaltigkeit sind auch wichtig, kommen oft aber erst an zweiter Stelle.
Die Firmen sollen also konkret sagen, wie viel man als Azubi bei ihnen verdienen kann?
Vielleicht nicht unbedingt bis auf den letzten Euro. Aber ja, es ist unsere klare Aufforderung an die Unternehmen, unter anderem das Gehalt in der Nachwuchswerbung zu thematisieren. Bislang ist das noch zu wenig passiert. Mittlerweile gibt es aber erste Videos von Firmen, in denen Auszubildende sagen: „Ich verdiene gut.“
Im Maschinenbau herrscht Auftragsflaute, und der grüne Wandel muss bewältigt werden. Haben die Firmen keine anderen Sorgen als Social Media?
Die Unternehmen kommen heute einfach nicht mehr drum herum, verstärkt auf sich aufmerksam zu machen, um an Nachwuchs zu kommen. Das war vor 20 Jahren vielleicht noch anders. Es gibt ja auch schon viele Firmen, darunter auch kleine, die beweisen, dass sich der Aufwand lohnt. Aber man muss es eben wirklich machen. Da hilft alles Klagen nicht.
Das Interview führte Karolin Rothbart.