GASTBEITRAG

Unternehmen neu erfinden: Mehr Sinn, mehr Gewinn

Börsen-Zeitung, 30.8.2019 Auf die Frage "Profit oder Nachhaltigkeit?" gibt es derzeit nur eine Antwort: Beides. Glaubt man der jüngsten Erklärung von 181 amerikanischen CEOs (darunter führende Unternehmen wie Apple, Amazon, General Motors und...

Unternehmen neu erfinden: Mehr Sinn, mehr Gewinn

Auf die Frage “Profit oder Nachhaltigkeit?” gibt es derzeit nur eine Antwort: Beides.Glaubt man der jüngsten Erklärung von 181 amerikanischen CEOs (darunter führende Unternehmen wie Apple, Amazon, General Motors und Walmart) verändert sich derzeit die Sicht auf Unternehmen grundlegend. Anstelle der in angelsächsischen Unternehmen über Jahrzehnte verfolgten Profitmaximierung sollen in Zukunft die umfassende Wertschöpfung für alle Beteiligten sowie ein positiver Impact für die Gesellschaft als oberstes Unternehmensziel stehen. Damit stellen die führenden Manager der weltweit größten Unternehmen das bisherige betriebswirtschaftliche Paradigma des “Unternehmenswertes/Shareholder Value” grundlegend in Frage. Neben die neue Welt in der Hochfinanz (Minuszins und Geldmengenexpansion), der Diskontinuitäten in der Politik (Brexit, Handelsstreit, instabile Mehrheiten) gesellt sich nun die Neuerfindung der Unternehmen (Nachhaltige Geschäftsmodelle und Sinnfrage des unternehmerischen Handelns). Drei Faktoren, die unsere Welt und damit unser bisheriges Wirtschaftsverständnis komplett verändern. Wohlstand für alleEs wird spannend werden, ob diesmal die grundlegenden Ideen der sozialen Marktwirtschaft, die in Deutschland nach dem Krieg zu Wohlstand und sozialer Sicherheit beitrugen, auch einen Impuls für den globalen Wandel zu mehr Nachhaltigkeit geben können. So war es Ludwig Erhard, der seinerzeit postulierte, dass man sich nicht zwischen wirtschaftlichem Erfolg und sozialer Sicherheit entscheiden muss. Vielmehr kann durch eine intelligente Rahmenordnung beides zugleich gefördert werden. Es gilt, die Marktkräfte produktiv zu nutzen, um Wohlstand für alle zu erreichen. Eine Erkenntnis, die seinerzeit den Gegensatz zwischen Wirtschaft und sozialer Sicherheit überwinden half. Diese Erkenntnis kann nun auch das Gegensatzdenken zwischen Profit und Nachhaltigkeit auflösen und so zu einer öko-sozialen Marktwirtschaft beitragen.Denn angesichts der gegenwärtigen globalen gesellschaftlichen, aber auch wirtschaftlichen Herausforderungen ist es ähnlich wie nach dem Krieg notwendig, die Gegenwart konsequent von der Zukunft aus zu denken. Die aktuellen Rahmenbedingungen führen dazu, dass Unternehmen ihre Geschäftsmodelle neu ausrichten werden, um die negativen Auswirkungen möglichst gering und gleichzeitig die positiven Auswirkungen für die Gesellschaft möglichst hoch zu halten. Je mehr positive Wirkung, desto höher der unternehmerische Gewinn.Dieses neue Denken bedeutet die Überwindung des traditionellen Gegensatzdenkens, welches zu vielen wirtschaftlichen Problemen führte (Abgasthematik, Investitionsfehlentscheidungen, Investitionsstau). Anders als bei den bisherigen angelsächsischen Managementmodellen werden in einer nachhaltigen Management-Perspektive die verschiedenen Dimensionen (Wirtschaft, Soziales, Ökologie) unternehmerischen Handelns systemisch verbunden.Woher kommt dieser neue Geist? Zum einen ist es das zunehmende Verständnis über die globalen Herausforderungen (Klimawandel, Ressourcenknappheit und demografische Entwicklung), zum anderen der steigende politische Druck durch internationale Klimagesetze sowie vermehrte Umwelt- und Sozialauflagen, die immer stärker die Rahmenbedingungen der weltweiten Wirtschaftsströme verändern. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass mittlerweile die Investoren selbst das Thema Nachhaltigkeit massiv vorantreiben. So verkündete erst Ende letzten Jahres Larry Fink, CEO eines der größten Investmenthäuser BlackRock, dass nach seiner aktuellen Einschätzung, “innerhalb der nächsten fünf Jahre alle Investoren die Auswirkungen eines Unternehmens auf die Gesellschaft heranziehen werden, um den Unternehmenswert zu bestimmen.” Und auch die Politik reagiert in ihren Finanzgeschäften: sowohl der französische Pensionsfonds als auch die Europäische Investitionsbank (EIB) machen Nachhaltigkeit zur Bedingung ihrer Geldanlage beziehungsweise Kreditvergabe. Verändertes MindsetUm diese neue Realität zu begreifen, braucht es konsequenterweise ein neues Mindset im Topmanagement, basierend auf einem betriebswirtschaftlich fundierten Nachhaltigkeitsverständnis. Erfolgreiche Unternehmer machen es vor und entwickeln derzeit integrierte Managementansätze, die die Wirkungen des Unternehmens messen und steuern, mit dem Ziel, entlang der gesamten Wertschöpfungskette für alle Stakeholder gleichermaßen Wert zu schaffen. Es gilt: Mehr Sinn, mehr Gewinn! Denn: Unternehmen, die wesentliche Nachhaltigkeitsthemen in ihr Geschäftsmodell integrieren, haben eine signifikant höhere risikoadjustierte Rendite, dies zeigen aktuelle empirische Studien führender Universitäten eindrücklich. Dieser Paradigmenwechsel im Management verhilft Nachhaltigkeit zur neuen Normalität in den Unternehmen. Nachhaltigkeit nicht mehr als “nice to have” in Form eigenständiger CSR- oder CR-Abteilungen, sondern als elementarer Teil des Kerngeschäfts.Und auch die junge Generation bevorzugt es – nicht erst seit Greta Thunberg, aber seither sicher verstärkt – in Unternehmen zu arbeiten, welche positive Wirkungen auf die Gesellschaft vorweisen. Und sie ziehen oftmals eine sinnvolle Beschäftigung einem hohen Gehalt vor. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich so in den letzten Jahren grundlegend verändert. Konnten Unternehmen früher die Kosten ihrer negativen Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft auslagern, tragen sie heute die Kosten globaler Probleme direkt oder indirekt mit.Im Wettbewerb um die zukünftigen Talente gilt es, Sinn zu stiften und positiv zu wirken. Immer mehr Topmanager erkennen, dass aus diesen weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen zum einen unkalkulierbare Risiken erwachsen, zum anderen auch ungeahnte unternehmerische Chancen entstehen.Es ist nicht verwunderlich, dass erfolgreiche CEOs sich diese Jahrhundert-Chance einer neuen Wirtschaft nicht nehmen lassen, auch wenn zu hinterfragen ist, warum diese Neuausrichtung des Managements wieder einmal publikumswirksam in den USA und nicht in Europa verkündet wird. So liegt in diesem neuen Denken doch nicht mehr und nicht weniger als die Überwindung des traditionellen Gegensatzdenkens zwischen Nachhaltigkeit und Profitabilität. Ökosoziale NeuausrichtungHierin liegt die Jahrhundert-Chance für die deutsche Wirtschaft, die in vielen Bereichen (Social Media, Big Data, Biotech, Fintech, KI etc.) in den letzten Jahrzehnten ihre Vorreiterrolle verloren hatte. Aufbauend auf ihren jahrzehntelangen Erfahrungen mit der Idee der sozialen Marktwirtschaft, kann sie im Bereich der grünen Technologien Vorreiter einer ökosozialen Neuausrichtung der Weltwirtschaft werden. Es geht um nicht mehr oder weniger als die Marktführerschaft in einer globalen Green Economy, in welcher in Zukunft Billionen zu verdienen sind. Eine Erkenntnis, die nun auch bei amerikanischen CEOs angekommen ist. René Schmidpeter, Lehrstuhl für internationale Wirtschaftsethik und Corporate Social Responsibility der Cologne Business School (CBS)