RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: DOMINIK EICKEMEIER

Unternehmen sind gegen Mobbing im Internet relativ machtlos

Bundesgerichtshof bestätigt Anspruch auf Anonymität im Netz

Unternehmen sind gegen Mobbing im Internet relativ machtlos

– Herr Eickemeier, wer mit Falschbehauptungen im Internet diffamiert wird, hat nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs kein Recht auf Auskunft über den Adressaten des Cybermobbing. Wie begründet das Gericht die Entscheidung?Die Entscheidung des VI. Zivilsenats ist zunächst eine Korrektur der Entscheidung des OLG Stuttgart. Dieses hatte im vergangenen Jahr noch den Auskunftsanspruch des Betroffenen bestätigt. Der BGH sah jedoch den Anspruch auf anonyme oder pseudonyme Nutzung von Internetdiensten, der im Telemediengesetz (TMG) festgelegt ist, als gewichtiger an.- Mit welcher Begründung?Bei besonders gravierenden Verstößen gegen andere Rechtsgüter gebe es schließlich nach dem TMG Durchgriffsmöglichkeiten für die Strafverfolgung oder den Schutz geistigen Eigentums. Dann nämlich müssen Online-Portale die Nutzerdaten zum Beispiel einem ermittelnden Staatsanwalt übergeben. Für die Entscheidung des BGH wird auch ins Feld geführt, dass die Anonymität ein Argument pro Meinungsfreiheit sein könnte: Nur wer sich sicher sein kann, unerkannt zu bleiben, kann seine Meinung frei äußern. Die Kehrseite der Medaille ist, dass diese Freiheit zunächst auch für unwahre Behauptungen gilt.- Es besteht ein Recht auf Löschung der Falschbehauptungen, doch gilt das unbegrenzt?Vom Grundsatz her ja – das Problem liegt wie so häufig in der Beweislast und der Durchsetzung. Zwar sind Bewertungsportale dazu verpflichtet, Bewertungen zu löschen, wenn diese nachweislich falsche Tatsachenbehauptungen enthalten. Allerdings liegt die Betonung auf “nachweislich”. Ich kann zunächst nur allen Betroffenen raten, falsche Bewertungen genau zu dokumentieren, beispielsweise durch Screenshots. Generell gilt: Wer gegen falsche Bewertungen vorgehen will, sollte den Sachverhalt und dessen Details juristisch prüfen lassen.- Sie sprachen die Verletzung von geistigem Eigentum oder die Strafverfolgung als Sonderthemen an, welche Regeln gelten dann?Der BGH hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass nach dem TMG ein Auskunftsanspruch besteht, wenn die Bewertung oder Äußerung als Straftat – also etwa als Beleidigung oder üble Nachrede – gewertet werden kann oder das geistige Eigentum des Betroffenen verletzt. Dann kann ein Betroffener vom Betreiber des Bewertungsportals verlangen, dass er Namen und Anschrift des Verfassers einer Bewertung herausgibt. Allerdings greift diese Möglichkeit wohl nur in wenigen Fällen.- Somit sind Unternehmen, die in Misskredit gezogen werden, relativ machtlos?Abgesehen von den oben beschriebenen Ausnahmen könnte man zu diesem Schluss kommen. Andererseits bitte ich Folgendes zu beachten: Der BGH hat mit seiner Entscheidung die Rechte Betroffener nicht geschwächt, sondern lediglich das bestätigt, was schon bisher galt. Betroffene haben unter denselben Voraussetzungen wie bisher weiter dieselben Rechte. Es ist also mitnichten so, dass der BGH nun die Beleidiger unter einen besonderen Schutz stellt.- Müsste der Gesetzgeber aktiv werden? Wie wird das Thema in Europa behandelt?Es ist zu vermuten, dass unwahre Tatsachenbehauptungen im Internet zunehmen werden. Ihre Verfasser sind durch die im TMG verankerte Anonymität im Internet davor geschützt, ihre Daten herausgeben zu müssen. Die Justiz bewegt sich hier in einem Rahmen, den der Gesetzgeber vorgegeben hat. Umgekehrt bedeutet das: Wenn der Gesetzgeber zu der Entscheidung kommt, dass die aktuelle Situation unbefriedigend ist, liegt es an ihm, andere Vorgaben zu machen. Dann können auch die Gerichte in einem künftigen Verfahren zu einem anderen Ergebnis kommen. Idealerweise ist es tatsächlich so, dass diese Fragen in einem größeren Rahmen, sprich: auf europäischer Ebene angegangen und gemeinschaftlich geregelt werden sollten – und wohl auch müssen.—-Dominik Eickemeier ist Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz bei der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek und Lehrbeauftragter für Urheber- und Medienrecht an der Fachhochschule Köln. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.