Unternehmen spüren Brexit schon

EY: Druck auf die Margen - Verlagerungen geplant - Deutschland als bevorzugte Alternative

Unternehmen spüren Brexit schon

Der Abschied Großbritanniens aus der EU ist mit dem Brexit-Votum zwar beschlossene Sache. Der Vollzug dürfte aber noch Jahre dauern. In der Unternehmenswirklichkeit wirkt sich der geplante Brexit schon heute aus, hat eine Befragung im November von 254 Unternehmen durch EY ergeben.po Frankfurt – Obwohl Großbritannien erst in frühestens zwei Jahren tatsächlich aus der Europäischen Union austreten wird, sehen sich international tätige Unternehmen bereits heute mit Folgen des Brexit-Votums konfrontiert. Eine Befragung von 254 Unternehmen durch die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY im November hat ergeben, dass 71 % schon konkrete Auswirkungen spüren. “Das betrifft vor allem die Gewinnmargen, die bei 28 % der Unternehmen geschrumpft sind, und die Einkaufspreise, die sich für 29 % erhöht haben”, heißt es in der Studie. 75 % der befragten Unternehmen hatten ihren Sitz oder eine Niederlassung in Großbritannien. Attraktivität sinktAls Ziel für Direktinvestitionen habe Großbritannien seit dem angekündigten Austritt aus der EU deutlich an Attraktivität verloren. Mehr als jedes dritte befragte Unternehmen erwartet, dass die Attraktivität Großbritanniens in den nächsten drei Jahren abnimmt – der höchste seit Beginn der Befragung 2004 erhobene Wert (siehe Grafik).Als Top-Investitionsstandort in Europa habe Deutschland seine Führung binnen Jahresfrist um 2 Prozentpunkte auf 40 % ausbauen können, so EY. Dagegen hätten nur noch 22 (i.V. 27) % Großbritannien als für sie führenden europäischen Standort angesehen. Noch weiter abgeschlagen rangierte Frankreich mit 8 (7) % der Nennungen.Immerhin jedes siebte auf der Insel tätige Unternehmen plane bereits jetzt, Geschäftsbereiche aus Großbritannien zu verlagern. “Für die in Großbritannien aktiven Unternehmen bietet sich vor allem eine Alternative: Deutschland”, schließt EY aus den Ergebnissen der Befragung. 54 % hätten die Bundesrepublik als bevorzugtes Ziel außerhalb Großbritanniens genannt. Die Niederlande und Frankreich seien in der Befragung mit 33 % und 8 % weit dahinter gelandet. Stabilitätsanker”Es zeigt sich, dass der anstehende Brexit für große Unsicherheit bei der Wirtschaft in Großbritannien sorgt”, betont Hubert Barth, Vorsitzender der EY-Geschäftsführung in Deutschland. “Der sichere Zugang zum europäischen Binnenmarkt ist und bleibt ein wichtiger Wettbewerbsvorteil.” In einem volatilen Umfeld habe Deutschland die Chance, sich als Stabilitätsanker zu erweisen, so Barth.Allen Unkenrufen über ein mögliches Auseinanderbrechen der EU zum Trotz bleibt laut EY Europa insgesamt ein attraktiver Standort für die internationalen Unternehmen. 56 % der Befragten wollen ihre Investitionen auf dem Kontinent ausbauen. Bekannt sind diese Bemühungen von den Finanzdienstleistern, die noch in London bevorzugt domizilieren. Aber zu 72 % blicken Investoren der Tech-Branche nach Europa, ebenso wollen 69 % der mittelgroßen Unternehmen in Europa zusätzlich investieren.”Die europäische Union ist stark und attraktiv genug, um auch ohne Großbritannien internationale Investoren anzuziehen”, ist sich Bernhard Lorentz, Partner bei EY und Leiter des Bereichs Government & Public Sector in Deutschland, sicher. Wer Zugang zum europäischen Binnenmarkt gesucht habe, habe dies bisher häufig von Großbritannien aus gemacht. Künftig könnten andere europäische Länder – und allen voran Deutschland – das Rennen machen. Die Wirtschaft finde hier nicht nur rechtliche, politische und soziale Sicherheit. Sie könne auch auf eine hervorragende Infrastruktur, gut ausgebildete Fachkräfte und einen im Vergleich attraktiven Immobilienmarkt zählen. Probleme in der LieferketteEuropa und Deutschland werden laut EY aber auch negative Einflüsse aus dem Brexit-Votum verkraften müssen. “So erfreulich die steigende Attraktivität des Investitionsstandortes Deutschland ist – dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU viele deutsche Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellen wird”, meint Barth.Beispielsweise stehe für die Automobilindustrie viel auf dem Spiel. Die Lieferketten von Herstellern und Zulieferern seien über viele Länder hinweg eng verflochten – auch und gerade mit Großbritannien. Neue Handelshemmnisse seien deshalb für viele Unternehmen eine echte Belastung.Obwohl die Unternehmen schon heute Folgen des Brexit-Votums zu spüren bekommen, seien aber nur wenige auf die Konsequenzen vorbereitet. Gerade einmal 4 % der Unternehmen hätten inzwischen eine Strategie für den Umgang mit den sich verändernden Bedingungen. Das mag auch damit zusammenhängen, dass der Brexit nur eine von vielen zunehmenden Herausforderungen für die Unternehmen darstellt. Als für ihre Investitionsentscheidungen in Europa noch bedeutender sehen die Befragten Risiken aus der hohen Volatilität in den Währungen, bei Rohstoffen und den Kapitalmärkten an. Auch das unsichere wirtschaftliche und politische Umfeld belaste.