Elke Temme

„Verbindliche Regulierung zwingend erforderlich“

Eine verbindliche Regulierung für den Ausbau der E-Auto-Ladeinfrastruktur in Europa hält Elke Temme, Geschäftsfeldleiterin in der VW-Zuliefereinheit Konzern Komponente, für zwingend erforderlich.

„Verbindliche Regulierung zwingend erforderlich“

Carsten Steevens.

Frau Temme, worin sehen Sie die größere Herausforderung für einen schnellen Hochlauf der Elektromobilität in Deutschland und Europa: In der Senkung der Batteriekosten oder im Aufbau einer dichten und verlässlichen Schnell- und Normalladeinfrastruktur?

Batterie und Ladeinfrastruktur sind zentrale Stellschrauben für den weiteren Erfolg der E-Mobilität. An beiden Themen arbeiten wir im 2021 neu geschaffenen Volkswagen-Konzernressort Technik mit Nachdruck. Unser Ziel ist es, die Batteriekosten zu halbieren und die Anzahl an Schnellladern in Europa mit Partnern zu verfünffachen. Die Schnellladeinfrastruktur ist der entscheidende Schlüssel, um auf der Langstrecke und im urbanen Raum komfortabel und schnell zu laden.

Wie schnell soll das gehen?

Unsere Kundinnen und Kunden sollen die Möglichkeit haben, in 15, 20 Minuten Strom für ihren wöchentlichen Bedarf nachzuladen. Zusätzlich entstehen überall dort kostengünstige Ladepunkte, wo Elektroautos länger parken – beispielsweise an Privathäusern und in Unternehmen. Für die notwendigen Wallboxen gibt es ein attraktives Förderprogramm. Volkswagen selbst stattet seine Standorte und Händlerbetriebe umfangreich mit Lademöglichkeiten aus. Perspektivisch bietet ein breit ausgebautes Ladenetz die Möglichkeit, durch eine intelligente Steuerung der Ladepunkte zu vermeiden, dass Stromnetze überlastet werden. Unser mittelfristiges Ziel ist, dass unsere bidirektional ladenden Fahrzeuge als Speicher aktiv die Energiewende unterstützen.

Wo wird Ihrer Erwartung nach ein flächendeckendes Ladenetz mit 100% Ökostrom für Elektroautos und Lkw am ehesten etabliert sein: in China, Europa oder den USA?

Klar ist, dass in allen drei Weltregionen intensiv in Luftreinheit und CO2-Vermeidung, in erneuerbare Energien und Ladeinfrastruktur investiert wird. Priorisierungen und Rahmenbedingungen sind aber in China, Europa und den USA unterschiedlich. Als Europäerin wünsche ich mir, dass wir hier in eine Vorreiterrolle gelangen – dafür müssen wir aber auch schnell und konsequent vorgehen.

Für wie groß halten Sie aktuell die Gefahr, dass der E-Auto-Boom in Europa von der Ladeinfrastruktur ausgebremst wird?

Diese Gefahr besteht. Die E-Auto-Produktion im Volkswagen-Konzern und bei vielen Autoherstellern läuft massiv hoch. Die Kundinnen und Kunden nehmen unsere Produkte begeistert an. Der Aufbau von Ladesäulen aber wird teilweise durch administrative Hürden verzögert und hat dadurch einen längeren Vorlauf. Aus diesem Grund muss das Thema auf allen politischen Ebenen gefördert werden. Europa, die Staaten und die Kommunen müssen ihren Teil dazu beitragen, dass die Mobilitätswende Wirklichkeit wird.

Der flächendeckende Ausbau einer europaweiten Ladeinfrastruktur liegt noch in weiter Ferne. Wie sollte eine ideale Ladeinfrastruktur aussehen, gemessen etwa an Ladepunkten in Relation zum Pkw-Gesamtbestand?

Entscheidend ist ein dichtes, offenes Netzwerk aus Schnellladestationen, um unseren Fahrerinnen und Fahrern komfortable Lademöglichkeiten zu bieten. Die notwendige Kapazität des Netzwerks, also die Anzahl der Ladepunkte pro Station, hängt davon ab, welche Lademöglichkeiten im jeweiligen Land bereits etabliert sind. In den skandinavischen Ländern ist Heimladen sehr üblich. In europäischen Großstädten ist es dagegen eher schwierig, zu Hause zu laden. Und in südlichen Ländern gibt es oft schwache Hausanschlüsse, die es technisch erschweren, private Lademöglichkeiten zu installieren. Ein dichtes Schnellladenetzwerk wird also überall gebraucht. Hier setzen wir mit unseren Partnern an.

Die EU-Kommission will, dass Europa als erster Kontinent bis spätestens 2050 klimaneutral ist. Dazu schlägt Brüssel auch das Instrument einer verbindlichen Regulierung für den Ausbau der Ladeinfrastruktur vor. Welche Bedeutung hätten solche Vorgaben aus Ihrer Sicht?

Aus unserer Sicht ist das zwingend erforderlich, um die Mobilitätswende auf dem Kontinent einheitlich zu schaffen. Der Ladeinfrastrukturausbau ist ein gesamteuropäisches Thema. Keinem Europäer ist geholfen, wenn er nur in seinem Heimatland laden kann. Wir sind ein mobiler Kontinent und müssen in diesem Sinne gleiche Voraussetzungen in allen Ländern ermöglichen.

Welche konkreten Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht wichtig, und bis wann müssten die Vorgaben umgesetzt sein?

Um die Erreichung der Pariser Klimaziele zu unterstützen, will die Marke Volkswagen in der ersten Hälfte der 2030er Jahre den letzten Verbrenner verkaufen. Für dieses ambitionierte Ziel muss die Ladeinfrastruktur um einige Jahre vorauseilend ausgebaut werden. Die Weiterentwicklung der AFID (Alternative Fuels Infrastruc­ture Directive) hin zur AFIR (Alternative Fuels Infrastructure Regulation) ist dabei ein wichtiger Schritt. Erstmalig­ sollen verbindliche Ziele zum Infrastrukturausbau vorgegeben werden. Diese Vorgaben betreffen die Qualität, die Quantität und die Offenheit der Netzwerke. Wir bringen uns hier aktiv mit Vorschlägen in die Diskussion ein und stehen der Politik immer als fachlicher Ansprechpartner zur Verfügung.

Die Energiewende hin zu Grünstrom wird in den einzelnen Ländern Europas unterschiedlich intensiv vorangetrieben. Wie kritisch ist das mit Blick auf den Ausbau der E-Mobilität und die Ladenetze?

Grundsätzlich sind E-Fahrzeuge die energieeffizienteste Art der individuellen Mobilität. Trennt man also für einen Augenblick die Diskussion über die Energieerzeugung von der Diskussion über den Verbrauch, dann hilft die E-Mobilität mit jedem Strommix, Energie zu sparen. Je höher jedoch der Anteil an Grünstrom, desto besser die CO2-Bilanz.

Aber?

Durch die Elektrifizierung des Verkehrs und durch die Wärmewende kommt es natürlich zum Anstieg des Strombedarfs. Dieser muss durch die Ausweitung des Anteils an erneuerbaren Energien abgesichert werden. Heute gehen jährlich 6500 Gigawattstunden (GWh) an regenerativen Energien verloren, da es keine entsprechenden Speicher gibt. Hier setzen wir an. Wir sind überzeugt, dass das E-Fahrzeug hierbei als mobiler Speicher einen entscheidenden Beitrag leisten kann und wird.

Welche Rolle spielen Förderprogramme beim Ausbau des Ladenetzes? Und wo sehen Sie hier Nachbesserungsbedarf?

Förderprogramme sind aktuell für die Ladeinfrastruktur noch notwendig. Der Markt greift zwar bereits in einigen Regionen, und wir sehen am Kapitalmarkt ein steigendes Interesse an Firmen, die in diesem Bereich investieren. Aber eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung kann damit noch nicht sichergestellt werden.

Konkret gefragt: Wie bewerten Sie die bisherigen Anreizmaßnahmen des Bundes zur Anschaffung und Installation privater Ladestationen für E-Autos?

Das Programm zur Förderung privater Ladeinfrastruktur ist ein großer Erfolg und bereits mehrfach aufgestockt worden. In einem nächsten Schritt sollte beispielsweise die Förderung von bidirektionalem Laden in den Fokus rücken. Elektroautos stützen dann das Stromsystem und puffern die variierende Erzeugung von Strom aus Sonne und Wind. Darüber hinaus müssen nun die Rahmenbedingungen geschaffen werden, auch den Menschen elektrisches Fahren zu ermöglichen, die keine eigenen Ladepunkte aufbauen können. Nur dann können wir es schaffen, unseren Kundinnen und Kunden klimaneutrale, individuelle Mobilität zu bieten.

Inwieweit ist die Dringlichkeit des Ladenetzausbaus auf allen Ebenen, zum Beispiel bei den Kommunen, angekommen?

Die Kommunen sind ein entscheidender Stakeholder beim Ausbau der Ladeinfrastruktur. Das Bild ist sehr heterogen. Vorreiter wie zum Beispiel Hamburg und Dresden zeigen, wie es funktioniert. Regionale Elektromobilitätsagenturen sind dabei ein wichtiges Instrument. Wenn auf lokaler Ebene alle an einem Strang ziehen, geht es zügig voran. Und gerade Städte und Kommunen profitieren direkt von der E-Mobilität. Emissionsfreie und leise Fahrzeuge steigern die Lebensqualität in den Städten spürbar.

Was machen Länder wie die Niederlande oder Norwegen besser, in denen es für den Verbraucher heute attraktiver ist, auf Elektroantrieb umzusteigen?

Im August lag der Anteil elektrischer Fahrzeuge an den Neuzulassungen in Norwegen bei 72%. Das ist eine beeindruckende Zahl. Wir sehen in diesen Ländern, dass die Anreize sich nicht nur auf das Fahrzeug an sich beziehen, sondern auch die Infrastruktur und der Betrieb mitgedacht werden. So lohnt sich nicht nur die Anschaffung des Fahrzeuges, auch das Reisen mit dem E-Fahrzeug ist in diesen Ländern einfach und komfortabel. Entscheidend für den Umstieg ist auch das Preisgefüge des Stroms. Das Laden des Elektroautos wird so deutlich günstiger als die Nutzung des Verbrenners.

Mit welchen Investitionen ist für den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu rechnen? Welchen Beitrag leistet Volkswagen?

Das Laden ist ein zentrales Thema für den globalen Erfolg der E-Mobilität. Deshalb nehmen wir den Ausbau der Ladeinfrastruktur selbst in die Hand. Mit unseren Partnern werden wir die Anzahl der Schnelllader in Europa verfünffachen. Hinzu kommen Investitionen in China und den USA. Mit Electrify America und CAMS entstehen dort umfassende Schnellladenetze. Nicht zuletzt baut Volkswagen an allen Werksstandorten die Anzahl an Ladepunkten für Mitarbeiter und Geschäftsfahrzeuge konsequent aus. Zusätzlich investiert unser Vertriebsnetz in den Ausbau der Ladeinfrastruktur an unseren Handelsstandorten. Volkswagen schreitet beim Ausbau der Ladeinfrastruktur also konsequent voran.

Können Sie Investitionssummen nennen?

Die generellen Investitionen sind schwer abzuschätzen und hängen unter anderem von der angestrebten Verteilung von Schnell- und Langsamladern ab. Wir sehen, dass gerade im Bereich der Hochleistungslader in einigen Regionen bereits der Markt greift. Auch am Kapitalmarkt fließen zunehmend Investitionen in Ladein­frastrukturfirmen. Wir sehen aber auch, dass weiter öffentliche Förderung notwendig ist, um regionale Lücken im Ladenetz zu schließen.

Volkswagen will bis 2030 rund 70 reine E-Modelle sowie etwa 60 Hybridfahrzeuge auf den Markt bringen. Mit welchem Fortschritt beim Ausbau der Ladeinfrastruktur kalkulieren Sie bis dahin?

Wir arbeiten zielgerichtet darauf hin, dass sich spätestens ab 2025 kein Kunde in Europa mehr Gedanken über Ladeinfrastruktur machen muss – dieses Engagement wünschen wir uns von allen Stakeholdern. Das ist ein anspruchsvolles, aber realistisches Ziel. Der E-Fahrzeug-Markt boomt, und entsprechend rasant wächst das Potenzial für neue Geschäftsmodelle im Bereich Laden. Wir sehen zudem, dass der Markt jetzt verteilt wird. Ähnlich wie bei Immobilien ist für eine Ladestation die Lage der entscheidende Erfolgsfaktor.

Für den Ausbau des Schnellladenetzes hat Volkswagen Partnerschaften mit BP, Iberdrola und Enel vereinbart. Welche Bedeutung haben diese Kooperationen im Gesamtkontext?

Die 18000 Ladepunkte, die wir bis 2025 gemeinsam errichten werden, sind ein wichtiger Bestandteil der europäischen Ladeinfrastruktur. Zu­dem haben wir bereits mit Ionity gezeigt, dass ein offenes, europaweites Ladenetz umgesetzt werden kann. Mit unseren Partnern setzen wir weiter auf offene Netzwerke, um bewusst den Wandel der gesamten Industrie zu unterstützen. Zugang für alle, die Möglichkeit zur Nutzung verschiedener Ladeverträge und allgemeine Verfügbarkeit der Daten des Netzwerkes für alle Marktteilnehmer – so muss aus unserer Sicht die Zukunft des Ladens im Interesse unserer Kunden aussehen.

Das Interview führte

BZ+
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