Verbraucherschützer wollen Schadenersatz für VW-Dieselkäufer

Musterfeststellungsklage soll heute in Braunschweig eingereicht werden - Anwälte erwarten keinen Einfluss von Diesel-Kompromiss

Verbraucherschützer wollen Schadenersatz für VW-Dieselkäufer

dpa-afx Berlin – Auf die “Samthandschuhe der Politik” sollen nun die “Boxhandschuhe der Verbraucherschützer” folgen. So droht zumindest der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Stellvertretend für Zehntausende Dieselfahrer zieht dieser erstmals mit einer Musterfeststellungsklage gegen VW vor Gericht. Es geht um Schadenersatz für die Betroffenen des Diesel-Skandals, der mit der am heutigen Donnerstag einzureichenden Verbraucherklage erstritten werden soll.Rund 2,5 Millionen Autos hatte Volkswagen zurückgerufen. 26 600 Dieselfahrer streiten bereits allein vor Gericht um Schadenersatz. Abgasbetrug, Wertverlust, Fahrverbote in manchen Städten: Wer einen Diesel fährt, hat zuletzt viel verloren. Auch die Gerichtsverfahren sind oft aufwendig und finanziell riskant. Die Musterfeststellungsklage soll dies nun ändern. Die Anwälte der Verbraucherschützer erwarten, dass sich zehntausende Betroffene anschließen. Schon jetzt gebe es um die 40 000 Anfragen und Interessenten.Die Musterfeststellungsklage ist eine Art “Einer für alle”-Klage. Das Instrument ist neu, der VW-Fall der erste Praxistest. Verbraucherschutzverbände klagen dabei für Gruppen von Betroffenen – mit weniger Aufwand und Risiko für den Einzelnen. Die Verbände klagen zunächst nur für Dieselfahrer, die vom Volkswagen-Pflichtrückruf betroffen waren und noch nicht selbst geklagt haben. Das betrifft Diesel der Marken VW, Audi, Skoda und Seat mit Motoren des Typs EA 189 (Vierzylinder, Hubraum: 1,2 oder 1,6 oder 2,0 Liter), die nach dem 1. November 2008 verkauft wurden. Auch wer sein Auto inzwischen verkauft hat oder verschrotten ließ, kann mitmachen. Kostenloser KlageanschlussDer Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) arbeitet zehn Fälle auf und reicht seine Klage auf dieser Grundlage beim Oberlandesgericht Braunschweig ein. Heute tritt das neue Gesetz in Kraft. Hält das Gericht die Klage für zulässig, können sich weitere Betroffene kostenlos beim Bundesamt für Justiz in ein Klageregister eintragen. Das soll einfach und ohne Anwälte möglich sein. In zwei Monaten müssen insgesamt 50 Menschen zusammenkommen. Wenn die Verhandlung begonnen hat, kann man nicht mehr einsteigen.Schadenersatz wird es allerdings wohl nicht direkt geben. Bei dem Verfahren geht es erst einmal nur darum, ob Volkswagen unrechtmäßig gehandelt hat. Wird den Kunden ein Recht auf Schadenersatz zugesprochen, müssen sie dies im Anschluss selbst durchsetzen. Sie können also nicht mit dem Urteil zum Autohändler gehen und Geld zurückverlangen, sondern müssen noch einmal vor Gericht. Bequemer wäre ein Vergleich zwischen VW und den Kunden. “Unser Ziel ist, dass Autobesitzer entweder das Auto zurückgeben können und dafür den Kaufpreis erstattet bekommen, oder wenn sie es behalten wollen, den Wertverlust kompensiert bekommen, oder wenn sie das Auto bereits verkauft haben, eine entsprechende Entschädigung bekommen”, sagt VZBV-Vorstand-Klaus Müller. Entscheidung kaum vor 2022Das Prozesskostenrisiko trägt dabei allein der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Wenn die Verbraucherzentralen verlieren, sind alle, die im Klageregister stehen, allerdings an diese Entscheidung gebunden. Sie können also nicht mehr vor anderen Gerichten auf Schadenersatz klagen.Die Klägeranwälte sind sehr zuversichtlich, Volkswagen dagegen sieht wenig Aussichten für die Klage. Die Fahrzeuge seien trotz “Umschaltlogik” – also der im Dieselskandal aufgeflogenen Abschalteinrichtung der Abgasreinigung – genehmigt, technisch sicher und fahrbereit, argumentiert das Unternehmen. Geht der Autobauer durch alle Instanzen, könnte das Verfahren Jahre dauern. Beide Seiten gehen von mündlichen Verhandlung 2019 und einer Gerichtsentscheidung im Jahr 2020 aus. Danach rechnet VW mit dem Gang zum Bundesgerichtshof, wo ebenfalls zwei Jahre anfallen dürften. Erst dann könnte in Einzelverhandlungen über die jeweilige Höhe des Schadenersatzes entschieden werden.Anwalt Ralf Stoll, der die Klage für die Verbraucherzentralen betreut, hält 15 bis 20 % des Kaufpreises für eine angemessene Entschädigung. Wenn Verfahren zugunsten der Kläger ausgingen, hätten die Richter den Betroffenen bisher zwischen 7 und 25 % zugestanden. Zahlreiche Verfahren wurden indes auch zugunsten von Volkswagen entschieden, die Kläger erhielten nichts.Der Verband und seine Anwälte gehen nicht davon aus, dass der Diesel-Kompromiss am Streitwert etwas ändert. Auch die Software-Updates spielten wohl keine Rolle. “Der Schaden ist bereits mit dem Kauf des Autos entstanden und durch ein Update nicht wettzumachen”, erklärt der VZBV. Auch Stoll hält die Nachrüstungs- und Prämienversprechen der Bundesregierung nicht für umfassend genug, um den Prozess zu beeinflussen. Die Fahrverbote wirkten sich deshalb nicht aus, weil man nicht behaupten könne, sie seien allein wegen des Dieselskandals eingeführt worden. SchweigegeldLaut Volkswagen sind 26 600 Verfahren von Diesel-Besitzern gegen Händler oder Hersteller anhängig. Rund 7 400 Urteile gab es schon. Während Kläger-Anwälte dem Konzern vorwerfen, spätestens auf der Ebene der Oberlandesgerichte den Vergleich zu suchen, betont VW, die Zahl der Vergleiche sei relativ gering. Die genaue Zahl will Volkswagen aber nicht nennen. Bei Einzelklagen mit Erfolgsaussicht bot VW Klägern laut ADAC gar Geld für ein Stillschweigeabkommen an.