Corporate Governance

Vergütungsvotum als Druckmittel der Aktionäre

Die Vorstandsvergütung bleibt ein Streitthema zwischen Unternehmen und Investoren. Die Anleger laufen Sturm gegen überzogene Abfindungen und intransparente Sonderzuwendungen. Im Say-on-Pay hat sich das Bild in der Hauptversammlungssaison 2023 nach einer Analyse der Unternehmensberatung HKP nicht aufgehellt.

Vergütungsvotum als Druckmittel der Aktionäre

Vergütungsvotum als Druckmittel der Aktionäre

Investoren schauen im Say-on-Pay kritisch auf hohe Abfindungen und Sonderzahlungen – Abstimmungsergebnisse 2023 etwas schlechter

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Die Vorstandsvergütung bleibt ein Streitthema zwischen Unternehmen und Investoren. Die Anleger laufen Sturm gegen überzogene Abfindungen und intransparente Sonderzuwendungen. Im Say-on-Pay hat sich das Bild in der Hauptversammlungssaison 2023 nach einer Analyse der Unternehmensberatung HKP nicht aufgehellt.

Managergehälter zählten auch in der Saison 2023 zu den kritischen Themen auf den Hauptversammlungen im Dax. Investoren sehen sich seit geraumer Zeit die Incentivierung von Vorständen sowie den Erfolg ihrer Arbeit an und senken den Daumen, wenn Vergütungshöhe und Unternehmensperformance nicht in Einklang stehen.

Nach einer Analyse der Unternehmensberatung HKP Group haben die Dax-Unternehmen 2023 in den Abstimmungen über den Vergütungsbericht im Durchschnitt etwas besser abgeschnitten als im Vorjahr. Allerdings habe es fünf „schwere Nachzügler“ gegeben, die 2022 Zustimmungsquoten von weniger als 70%  kassiert hatten.

„Vier Unternehmen aus diesem Kreis haben auf das schwache Votum reagiert“, erläutert Michael Kramarsch, Gründer und Managing Partner von HKP. Er  nennt Bayer, Commerzbank, Continental und Symrise, während Zalando aus seiner Sicht keine Fortschritte gemacht hat. Die vier Unternehmen haben sich nach der Aufstellung von HKP  im Votum 2023 im Schnitt um 29,6 Prozentpunkte verbessert, was im Dax-Durchschnitt durchschlägt.

Bei Bayer fällt das Ergebnis 2023 mit einer Zustimmung von 52,3%  immer noch bescheiden aus; das Vorjahresergebnis lag aber bei desaströsen 24,1%. Bei dem Chemie- und Pharmakonzern machten Aktionäre ihrem Ärger Luft, dass die zur Berechnung der kurzfristigen variablen Vergütung herangezogenen Kennzahlen um die milliardenschweren Vergleichszahlungen zur Beilegung von Glyphosat-Klagen adjustiert werden.

„Schleichende Erosion“

Bereinigt um diese vier Aufholer haben sich die Abstimmungsergebnisse 2023 im Dax im Durchschnitt laut HKP leicht verschlechtert – in Summe um 0,5 Punkte. Noch nicht enthalten in der Rechnung sind Daimler Truck, Qiagen und die beiden Porsche-Unternehmen im Dax wegen später HV-Termine.

Kramarsch spricht mit Blick auf die Gesamtbilanz der Hauptversammlungssaison von einer „leichten schleichenden Erosion“ der Zustimmungsquoten: „Es zeigt, dass die Akzeptanz der Vergütungsberichte bei den Investoren nicht zunimmt.“ Aus seiner Sicht ist der Vergütungsbeschluss der mächtigste Hebel für Investoren, um ihre Unzufriedenheit zu demonstrieren.

Ein ähnliches Bild zeigt sich in den Abstimmungen über die Vergütungssysteme. Diese müssen die Unternehmen ihren Aktionären nicht jedes Jahr vorlegen, sondern nur alle vier Jahre oder bei gravierenden Änderungen. „In der auslaufenden Saison haben bislang neun Dax-Unternehmen über ihr System der Vorstandsvergütung abstimmen lassen, bei fünf Firmen fiel das Votum schlechter aus als beim vorherigen System, vier Gesellschaften konnten zulegen“, erklärt Regine Siepmann, Senior Partner und Leiterin der Corporate Governance Practice bei HKP.  Die Zustimmungsquoten liegen aber insgesamt deutlich höher als in den Abstimmungen über die Vergütungsberichte. Schlusslicht ist Infineon mit 87,7%. Im Vorjahr trug SAP die rote Laterne mit 78,4%. Der Softwarekonzern hat nun die Anteilseigner mit weitreichenden Anpassungen überzeugt und erhielt 2023 klare Unterstützung mit 92,8% Ja-Stimmen.

Aufsichtsräte suchen Flexibilität

Dem Turnus entsprechend dürfte es in der Hauptversammlungssaison 2025 zu einer größeren Abstimmungswelle über die Vergütungssysteme kommen. In der Entwicklung neuer Modelle zeichnet sich nach Einschätzung der Berater ab, dass sich die Aufsichtsräte mehr Flexibilität  verschaffen wollen, um in der Bezahlung der Vorstände zum Beispiel über Öffnungsklauseln mehr Spielraum zu bekommen. „Seit Einführung der neuen Vergütungssysteme gab es kein normales Geschäftsjahr. Erst Corona, dann Krieg in der Ukraine und schließlich hohe Inflation“, erklärt Kramarsch. Aufsichtsräte bräuchten die Möglichkeit, „auf  solche Sonderentwicklungen in der Vergütungsstruktur und in der  finalen Vergütungsentscheidung zu reagieren“.  Dabei müssten die Investoren darauf vertrauen können, dass der Spielraum sinnvoll genutzt werde.  

Dass die Vergütungssysteme in aller Regel hohe Zustimmung erfahren, die Investoren dann aber in der Abstimmung über die Vergütungsberichte den Daumen senken, erklärt sich laut Kramarsch dadurch, dass in den Berichten die Folgen der Entscheidungen der Aufsichtsräte zutage treten. „Es geht nicht um die Schönheit der Berichte mit vielen Grafiken und Tabellen, sondern um die Taten des Aufsichtsrats“, mahnt der Governance-Experte.

Vergleichbarkeit eingeschränkt

„Die Umsetzung der zweiten europäischen Aktionärsrechterichtlinie hat es den Aktionären nicht leichter gemacht, sich in den Vergütungsberichten ein treffenden Bild über die Höhe der Managergehälter zu machen“, sagt  Siepmann. Es gab unklare Begrifflichkeiten in der Regulierung, etwa ob der kurzfristige Bonus in dem Jahr auszuweisen ist, in dem er erdient wurde, oder erst dann, wenn er ausgezahlt wird – in der Regel geschieht das erst im Folgejahr. Die große Mehrheit der Dax-Unternehmen  habe sich dafür entschieden, den im Jahr erdienten Betrag zu zeigen, auch wenn er noch nicht auf dem Konto des Vorstands gelandet sei. Die wenigen Unternehmen, die den anderen Weg gegangen sind, hätten zusätzlich die erdiente Vergütung gezeigt. „Sonst hätte ihnen ein Nein auf der Hauptversammlung gedroht“, sagt Siepmann.  

Die Vergleichbarkeit der Vergütungsberichte ist mit der Gesetzesnovelle insgesamt erheblich eingeschränkt worden. „Jede Tabelle sieht anders aus“, umschreibt Siepmann das Szenario. Für Investoren werde es immer aufwendiger, die Angaben zu analysieren, weil es keine Standardisierung gebe.

Gewisse Standards aus der Vergangenheit werden weiterhin gepflegt. So weisen laut Siepmann fast alle Konzerne Zielvergütungen aus, wie es in den alten Tabellen des Deutschen Corporate Governance Kodex vorgegeben war. Die Kodex-Tabellen  wurden im Zuge der Gesetzesreform aber  aus dem Regelwerk gestrichen, weil Brüssel neue Mustertabellen versprochen hatte. 

„Fantasie-KPIs“

Auf neue Tabellen wartet man bis heute indes  vergeblich. „Jeder glaubt, dass es sie gibt, aber keiner hat sie jemals gesehen“, schmunzelt Kramarsch. Siepmann erklärt, die EU-Tabellen seien im vergangenen September durchaus gesichtet worden, allerdings „als dritte Entwurfsversion“. Die finale Fassung sei schließlich für das erste Quartal 2023 angekündigt worden, stehe aber nach wie vor aus. Es würde den Unternehmen auch freistehen, ob sie die EU-Tabellen nutzen wollen, sie sind nicht verbindlich. Aus Sicht der Berater wäre die Kodex-Kommission gut beraten, den Unternehmen wieder eine standardisierte Empfehlung zu geben. 

Mit Blick auf Incentivierung und Transparenz der Zielerreichung zeichnen die Berater ein ernüchterndes Bild. „Unternehmen setzen auf breiter Front Fantasie-KPIs ein“, kritisiert Kramarsch. „Die Kreativität kennt keine Grenzen.“ So würden zentrale Finanzkennzahlen für die Vergütungsziele oftmals in einem Umfang bereinigt, dass es Investoren Kopfschmerzen bereite. Aktionäre müssten darauf vertrauen können, dass definierte Kennzahlen standardisiert und vergleichbar verwendet werden. Anleger goutierten zwar gewisse Adjustierungen nach größeren M&A-Transaktionen. Unternehmen belassen es nach Kenntnis der Berater aber oftmals  nicht dabei, sondern bereinigten „munter“ Währungseffekte, Strafzahlungen, Restrukturierungskosten und vieles mehr. „Das missfällt den Investoren“, warnt Kramarsch.

Der „größte Sündenfall“ ist  aus seiner Sicht, wenn ein Unternehmen für die Vorstandsvergütung Ziele setzt, die unter der veröffentlichten Prognose sprich Guidance für den Kapitalmarkt bleibt. „Hochnervös“ würden Investoren auch reagieren, wenn der Aufsichtsrat Ermessensspielräume im Vergütungssystem  nutzt und in bestimmten Situationen zum Beispiel Sonderboni gewährt. Widerstand auf Anlegerseite könne nur vermieden werden, wenn solche diskretionären Zahlungen gut begründet und transparent dargelegt würden. „Der Aufsichtsrat muss tiefen Einblick in seine Abwägungen geben. Wer das nicht tut, erhält in der Hauptversammlung die Quittung. Es darf  nicht zu einem Missverhältnis zwischen den Erwartungen der Investoren und der Vergütungshöhe kommen“, sagt Kramarsch.

Adidas am Pranger

Die absolute Höhe der Managergehälter aus den regulären Paketen stellt aus Sicht der Berater in der Regel für Investoren kein Problem dar. Kritisch werde es indes bei Sonderzahlungen wie Abfindungen oder Sign-on-Prämien. Wenn hier übertrieben werde, schlage sich das in den Abstimmungsergebnissen nieder.

Das hat zum Beispiel 2023 Adidas zu spüren bekommen. Die hohe Abfindung für den erfolglosen Vorstandschef Kasper Rorsted brachte die Aktionäre in Rage, und nur 67,9% des Grundkapitals stimmten für den Vergütungsbericht, in dem die Abfindung erläutert wird. Rorsted, der im November 2022 vorzeitig gehen musste, kam dank einer Abfindung von 12 Mill. Euro in seinem letzten Jahr im Unternehmen auf eine Vergütung von insgesamt 15,37 Mill. Euro. Aufsichtsratschef Thomas Rabe hatte sich mit den Worten verteidigt, dass der Vertrag des Dänen noch bis Mitte 2026 gelaufen wäre. Die Abfindung sei deutlich geringer als der empfohlene Maximalwert von zwei Jahresgehältern.

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