Im InterviewJens Schulte, Thyssenkrupp

Thyssenkrupp ist beim Verkauf von Marine Systems auf gutem Weg

Bis Donnerstag soll die Finanzierungsvereinbarung für die nächsten 24 Monate zwischen Thyssenkrupp und der Stahltochter stehen. Ein paar Wochen länger seien aber auch kein Problem, dämpft Thyssen-Finanzchef Jens Schulte die Erwartungshaltung.

Thyssenkrupp ist beim Verkauf von Marine Systems auf gutem Weg

IM INTERVIEW: JENS SCHULTE

Carlyle soll Mehrheit an Marine Systems übernehmen

Finanzchef von Thyssenkrupp lehnt Assetverkäufe zur Finanzierung der Stahltochter ab – Mittelfristiges Margenziel wackelt

Im Streit um die finanzielle Ausstattung von Thyssenkrupp Steel auf dem Weg in die Eigenständigkeit wird mit harten Bandagen gekämpft. Sitzt der Buhmann aus Sicht der IG Metall in der Konzernzentrale, hält der Mutterkonzern die vorliegenden Pläne des Stahlvorstands für nicht finanzierbar. Mit der Verselbständigung des Marineschiffbaus kommt Thyssenkrupp dagegen besser voran, wie Finanzchef Jens Schulte im Interview erläutert.

Herr Schulte, warum wird der Streit zwischen Thyssenkrupp und der Stahltochter öffentlich ausgetragen? Das wirkt höchst unprofessionell.

Als Basis für eine schrittweise Verselbständigung müssen wir den Stahlbereich profitabel und zukunftsfähig aufstellen. Deshalb ist der Vorstand von Thyssenkrupp Steel gefordert, einen belastbaren Business Plan für die Stahlsparte zu entwickeln. Wir befinden uns  in einer komplizierten Situation, weil wir eine Performance-Transformation bewerkstelligen und mit vielen Themen aufräumen müssen, die teils noch aus der Vergangenheit liegen geblieben sind. Gleichzeitig müssen wir die grüne Transformation hinbekommen. Hinzu kommt, dass der Stahl traditionell ein sehr emotionales Thema ist. Hier erregen sich die Gemüter schnell. Das alles sorgt dafür, dass in der Öffentlichkeit mehr diskutiert wird als eigentlich nötig wäre.

Wie kommen Sie zur Versachlichung der Diskussion?

Alle Beteiligten versuchen, zu Lösungen zu kommen. Wir sind aber noch nicht am Ziel. Wir haben aktuell einen Business Plan des Stahlvorstands, der keine ausreichende betriebswirtschaftliche Grundlage zur signifikanten Performanceverbesserung bietet und so auch nicht finanzierbar ist. Als Konzernvorstand haben wir die Verantwortung für das gesamte Unternehmen. Der Stahl spielt eine große Rolle, aber wir haben auch noch vier andere Geschäftsbereiche.

In der Aufsichtsratssitzung der Stahltochter am Donnerstag soll eine kurzfristige Finanzierungsvereinbarung geschlossen werden, die den Finanzbedarf der nächsten 24 Monate abdeckt. Wie sieht das Konzept aus?

Eines möchte ich an dieser Stelle vorausschicken: So lange der Stahl ein vollkonsolidiertes Unternehmen ist, ist die Finanzierung gesichert. Alle Gruppenunternehmen werden von uns als Mutter finanziert. Aktuell ist Stahl noch Teil des Cash Pools. Das führen wir so lange fort, so lange es keine Finanzierungsvereinbarung gibt. Wir haben also Zeit, eine vernünftige Vereinbarung abzuschließen.

Wir versuchen bis dahin fertig zu sein. (...) Wenn es ein paar Wochen länger dauert, ist es aber auch unproblematisch.

Jens Schulte

Die Finanzierungsvereinbarung steht aber am Donnerstag auf der Tagesordnung.

Das ist so. Wir versuchen, bis dahin fertig zu sein. Daran arbeiten wir auf beiden Seiten. Wenn es gelingt, ist es gut. Wenn es ein paar Wochen länger dauert, ist das aber auch unproblematisch, weil es für die unmittelbare Finanzierung des Stahls keine Rolle spielt. Auf dem Weg in die Selbständigkeit muss das Segment lernen, bestimmte Dinge zu tun, die es in der Vergangenheit nicht getan hat. Dazu gehört beispielsweise das Cash-Management. Steel muss lernen, den Überblick über die kurzfristige Mittelverwendung zu behalten und entsprechend zu wirtschaften.

Der Aufsichtsrat der Stahlsparte hat den Auftrag zum Abschluss der Finanzierungsvereinbarung bis zum 29. August gegeben. Wo liegen die Knackpunkte?

Es geht beispielsweise um die anfängliche Höhe der Kreditlinie, mögliche Zusatzfinanzierungen, wenn es Mehrbedarf gibt, und die Frage nach Anpassungsmechanismen, wenn es unvorhergesehenen Bedarf geben sollte. Es ist kompliziert.

Anstelle des Cash Pools soll eine Darlehensvereinbarung treten. Das sind am Ende aber Schulden der Stahlsparte gegenüber dem Mutterkonzern. Das gab es bislang nicht, oder?

Es ist im Endeffekt nur ein Tausch der Instrumente Cash Pool gegen Darlehen.

Wenn die Verselbständigung kommt, bleiben die Verbindlichkeiten aber am Stahl hängen.

Wir reden im Moment über eine Finanzierung für die nächsten 24 Monate. Noch sind wir Mehrheitseigentümer. Wenn wir zu einer 50:50-Partnerschaft kommen, müssen wir die Finanzierung ohnehin neu aufsetzen. Dann ist die Frage, wie wir das machen. Dazu gehören ein Eigenkapitalbeitrag und wahrscheinlich ein Gesellschafterdarlehen. Dazu gehören aber auch weitere externe Investoren wie Banken.

Noch wichtiger ist es, dass wir einen vernünftigen Business Plan haben, damit es gar nicht zu Verlusten kommt.

Jens Schulte

Wenn Sie den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag kündigen, werden die Verluste künftig beim Stahl bleiben. Bisher hat der Mutterkonzern die Verluste ausgeglichen.

Die Verluste bleiben dann beim Stahl. Sie werden nicht mehr an die Obergesellschaft weitergereicht. Deswegen ist es wichtig, dass wir eine vernünftige Finanzierungsvereinbarung abschließen. Noch wichtiger ist es, dass wir einen vernünftigen Business Plan haben, damit es gar nicht zu Verlusten kommt.

Der mittelfristige Finanzbedarf der Stahlsparte soll im Rahmen eins Sanierungsgutachtens ermittelt werden. Was soll das bringen?

Wir holen uns eine unabhängige dritte Sicht auf den Business Plan. Der Business Plan des Stahlvorstands wird überprüft. Es werden alle Annahmen hinterfragt. Womöglich macht der Gutachter Vorschläge, wo wir noch einmal genauer hinschauen sollten, da Annahmen zu optimistisch oder zu pessimistisch eingeschätzt wurden. Am Ende soll eine Aussage stehen, ob mit dem überprüften Business Plan, zusammen mit verfügbaren Mitteln, das Geschäft fortgeführt werden kann oder nicht. Wir erhoffen uns von dem Prozess mehr als von dem Ergebnis.

Wie meinen Sie das?

Der Prozess ist wichtig, weil wir die Möglichkeit haben, in einen extern moderierten Diskussionsprozess zu kommen. Der Gutachter wird von beiden Finanzteams gemeinsam beauftragt, und es wird gemeinsame Steering Committees geben.

Wird am Ende des Sanierungsgutachtens auch der umstrittene Betrag stehen, den Thyssenkrupp der Stahltochter im Zuge der Verselbständigung mit auf den Weg geben muss?

Dieser Betrag ist Teil der finalen Gutachtenaussage. Es ist aber ein iterativer Prozess, an dessen Ende eine vernünftige Fortführungsprognose stehen soll, mit der beide Seiten finanziell gut leben können.  


Zur Person

Jens Schulte steht seit knapp drei Monaten als Finanzvorstand im Dienst von Thyssenkrupp. Wie es um seinen neuen Arbeitgeber steht und welchen besonderen Herausforderungen er in Essen und vor allem Duisburg, dem Sitz der Stahltochter, begegnen wird, ist dem 53-Jährigen vor seiner Bestellung nicht verborgen geblieben. Doch gelockt hat den einstigen McKinsey-Berater nach eigenem Bekunden die derzeit komplexeste Transformationsgeschichte der deutschen Industrie. Mit seinem Arbeitsantritt am 1. Juni ging es für den ruhigen, umgänglichen Manager dann gleich in die Vollen, duldet der Konzernumbau doch keinen Aufschub. Um sich für die langen, arbeitsreichen Tage zu stählen, beginnt der bekennende Frühaufsteher seine Tage schon vor 5 Uhr morgens mit Sport.


Wird sich Thyssenkrupp an das Ergebnis halten?

Das Ergebnis des Gutachtens ist ein wesentlicher Inputfaktor für alle Beteiligten. Es ist aber nicht rechtlich zwingend. Wir werden das in den Diskussionsprozess einbringen. Aber wir haben ja selbst ein Interesse daran, dass es zu einer vernünftigen Verselbständigung der Stahlsparte kommt und zu einem Unternehmen, das erfolgreich wirtschaften und die Transformation aus eigenen Stücken meistern kann. Dieses Ziel teilen wir, auch wenn das in der öffentlichen Diskussion manchmal untergeht.

Wie gehen Sie im Zuge der Verselbständigung der Stahltochter mit den hohen Pensionsverbindlichkeiten der Stahlsparte um?

Das klare Ziel bei all unseren Transaktionen ist, die Pensionsverbindlichkeiten dem Unternehmen, dem sie zuzurechnen sind, mitzugeben. Das gilt auch in diesem Fall. Da sind wir uns mit dem neuen Miteigentümer, Daniel Křetínský, einig. Solche Dinge sind auch immer bei der Bewertung zu berücksichtigen.

Kommt das Eigenkapital, das die Stahlsparte mitbekommt, ausschließlich von Thyssenkrupp?

Ob ausschließlich oder nicht, ist Teil der Verhandlung mit unserem Partner. Aber es wird sicherlich ein wesentlicher Anteil sein.

Inwieweit hängt die 50:50-Partnerschaft von der finanziellen Ausstattung ab?

Für Křetínský steht der vernünftige Business Plan im Vordergrund. Er ist überzeugt, dass das Geschäftsmodell gut weiterentwickelt werden kann. Dafür muss aber noch am Business Plan gearbeitet werden. Das sehen wir genauso.

Bei Marine Systems arbeiten Sie auch an der Verselbständigung. Wie weit sind die Gespräche mit Carlyle und der KfW gediehen?

Wir sind gut unterwegs. Carlyle ist gerade in der Hochphase der Due Diligence und ist unverändert sehr interessiert. Die KfW, die im Auftrag des Bunds einen Einstieg prüft, ist jetzt in der sogenannten Hauptphase der Prüfung angekommen und versucht zeitnah zu einem Ergebnis zu kommen.

Die Vorstellung wäre, dass der Private-Equity-Interessent eine Mehrheit an dem Unternehmen nimmt.

Jens Schulte

Wie sehen die Vorstellungen von Thyssenkrupp hinsichtlich der künftigen Eigentümerstruktur von Marine Systems aus?

Die Vorstellung wäre, dass der Private-Equity-Interessent eine Mehrheit an dem Unternehmen nimmt und mit seiner Erfahrung das Unternehmen zukunftsfähig aufstellt. Der Staat würde mit einer Minderheit einsteigen, um seine industriepolitischen Interessen zu wahren und als zusätzlicher Garant für die erheblichen Anzahlungen in diesem Geschäft. Wir würden eine Minderheit behalten. Die genaue Aufteilung ist Bestandteil der Diskussionen.

Eine andere Option wäre der Börsengang von Marine Systems. Was spricht aus Ihrer Sicht dagegen?

Wir glauben, dass der jetzige Weg der Bessere ist, weil wir dann eine kontrollierte Eigentumsstruktur haben. Wir haben eine starken Private Equity Investor, der weiß, wie man solche Unternehmen zukunftsfähig aufstellt. Zusammen mit dem Staat könnten mögliche Konsolidierungsschritte vorangetrieben werden. Ein Spin-off ist prinzipiell auch denkbar. Vorstellbar ist aber auch, dass es im ersten Schritt eine private Struktur ist, die zu einem späteren Zeitpunkt in einem Börsengang mündet.

Die klare Zielsetzung ist, ohne weitere Assetverkäufe die Verselbständigung von Stahl zu finanzieren.

Jens Schulte

Die Zielumsatzrendite bezogen auf das Ergebnis vor Zinsen und Steuern liegt für das Geschäftsjahr 2025/26 bei 4 bis 6%. Für die ersten neun Monate weisen Sie 1,6% aus, im vorigen Jahr waren es knapp 2%. Ist das Ziel zu halten?

Ich würde die Frage gerne zweiteilen. Ist die Marge überhaupt erreichbar? Das ist der Fall und das bestätigt auch jedes unserer Geschäfte. Wann wir das erreichen, hängt von verschiedenen Faktoren und der Marktentwicklung ab. Wir arbeiten gerade an der Planung für die kommenden Jahre und erst danach werden wir kommunizieren, wie wir uns die Einordnung vorstellen.

Heißt das, das Ziel ist prinzipiell erreichbar, aber nicht notwendigerweise im avisierten Zeitfenster?

Dazu werden wir uns nach dem Geschäftsjahr äußern.

Gibt es noch Tafelsilber, das Sie zu Geld machen können?

Das klare Ziel ist, ohne weitere Assetverkäufe die Verselbständigung von Stahl zu finanzieren. Wir haben im Konzern eine Menge guter Geschäfte. Wir wollen keine Geschäfte veräußern, um eine Finanzierungslücke zu schließen. Die primäre Idee ist ein tragfähiger Business Plan mit einer realisierbaren Finanzierungsstruktur.

Das Interview führte Annette Becker.

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