Verkehrsminister erzwingt freiwilligen Rückruf

630 000 deutsche Diesel-Pkw betroffen - Keine illegalen Abschalteinrichtungen

Verkehrsminister erzwingt freiwilligen Rückruf

ge/igo/po Berlin/Stuttgart/Frankfurt – Der Dieselskandal bei Volkswagen hat nicht nur den Wolfsburger Autobauern den größten Verlust in der Unternehmensgeschichte beschert. Er zwingt auch andere Autobauer zu freiwilligen Rückrufen ihrer Selbstzünder. Rund 630 000 Autos würden Audi, Mercedes, Opel, Porsche und VW in Europa in den nächsten Monaten freiwillig “optimieren”, kündigte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt am Freitag an. Hinzu kämen weitere Rückrufe ausländischer Hersteller. BMW ist nicht betroffen. Neuer MaßstabUm die monierten, aber bislang möglichen großzügigen Ausnahmen bei Stickoxidemissionen künftig zu begrenzen, will der Minister in Brüssel erreichen, das der jeweils neueste Stand der Technik als Beurteilungsmaßstab genommen wird – womit die Anforderungen an die Autobauer steigen. Mit dieser Maßnahme soll vermieden werden, dass der schlechteste Motor von der umfassendsten Ausnahmemöglichkeit profitiert.Zudem hat der Minister als Sofortmaßnahme das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) angewiesen, in Zukunft vor der Erteilung einer Genehmigung für einen neuen Autotyp bei dem Hersteller eine Erklärung zu verlangen, ob er Motorschutzeinrichtungen verwendet. Ist dies der Fall, müsse der Autobauer dem KBA fallbezogen die Software offenlegen, die Funktionsweise erklären und die Gründe darlegen, weshalb er diese Motorschutzeinrichtung für erforderlich hält. Das Amt werde dies prüfen und im Zweifelsfall auch zusätzliche Messungen durchführen – und zwar auch auf der Straße unter schwierigeren Bedingungen als heute auf dem Teststand.Hintergrund für diese angedrohten Maßnahmen und den umfangreichen Rückruf von Dieselfahrzeugen ist das Ergebnis der “Untersuchungskommission Volkswagen”. Diese war im Herbst eingerichtet worden, um zu erkunden, ob auch andere Autobauer illegale Abschaltmechanismen wie VW verwenden.Dies sei nicht der Fall, listete der am Freitag vorgelegte Bericht auf. Allerdings hat das KBA in umfangreichen Tests mit acht unterschiedlichen Zyklen bei der Überprüfung von 53 Modellen hiesiger und ausländischer Hersteller ermittelt, dass es große Differenzen bei der Steuerung der Abgasreinigung gibt. Diese sogenannten Thermofenster werden von den Autobauern sehr unterschiedlich geöffnet, teilte Dobrindt mit. Mit der Steuerung wird bei niedrigen Außentemperaturen – ganz legal – die Abgasreinigung gedrosselt, damit der Motor keinen Schaden nimmt – womit umgekehrt aber mehr Schadstoffe ausgestoßen werden. Berechtigte ZweifelDem Vernehmen nach wurde bei einigen Herstellern das Thermofenster aber schon bei 18 Grad geöffnet, womit beim KBA Zweifel wuchsen, ob dies noch mit dem Motorschutz gerechtfertigt werden kann. Dass nun von allen deutschen Herstellern (außer BMW) die enorme Zahl von 630 000 Selbstzündern zurückgerufen und “optimiert” wird, ist laut Dobrindt “Beleg genug, dass wir mit unseren Zweifeln richtig gelegen haben”. Er gehe davon aus, dass die Rückrufe noch in diesem Jahr abgearbeitet würden. Die Nachbesserungen dürfe zu keinem höheren Spritverbrauch oder mehr CO2-Emissionen führen.Der Stuttgarter Autokonzern Daimler, der von dem Rückruf mit 247 000 Fahrzeugen betroffen ist, wurde zudem vom US-Justizministerium aufgefordert, den Zertifizierungsprozess in Bezug auf Abgasemissionen in den USA zu untersuchen. Der Hersteller wolle vollumfänglich mit den Behörden kooperieren und etwaigen Hinweisen auf Regelverstöße “konsequent nachgehen”. Im ersten Quartal fuhr Daimler operativ ein Konzernergebnis (Ebit) ein, das mit 2,15 Mrd. Euro um 26 % niedriger als ein Jahr zuvor ausfiel. VW zeigt RekordverlustNach der grundsätzlichen Einigung in der Dieselabgas-Affäre in den USA konnte Volkswagen am Freitag erste Geschäftszahlen für das vergangene Geschäftsjahr vorlegen. Bei einem um 5,4 % auf 213,3 Mrd. Euro gestiegenen Umsatz wird ein negatives operatives Ergebnis von 4,1 Mrd. Euro gezeigt. Vor einem Jahr waren noch 12,7 Mrd. Euro verdient worden. Ohne die negativen Sondereinflüsse aus der Abgasaffäre (Rückstellungen) wäre das operative Ergebnis auf 12,8 Mrd. Euro geringfügig gestiegen. Unter dem Strich weist der Konzern einen Rekordverlust von 1,4 Mrd. Euro aus. Gleichwohl soll es eine Minidividende von 0,11 Euro je Stammaktie und von 0,17 Euro je Vorzugsaktie geben. Nach zähem Ringen wurde auch eine “freiwillige” Kürzung der Vorstandsboni vereinbart, die aber bei positiver Kursentwicklung nur ein aufgeschobener Verzicht ist.—– Wertberichtigt Seite 6- Berichte Seite 7