IM INTERVIEW: CHRISTIAN COHRS, WARBURG

"Verluste setzen die Carrier unter Zugzwang"

Analyst: Ende der Krise für Containerreeder offen - Unternehmenssitz für Deutschland wenig maßgeblich

"Verluste setzen die Carrier unter Zugzwang"

– Herr Cohrs, die Linienreeder häufen Verluste an und suchen ihr Heil in Übernahmen und Fusionen. Wie beurteilen Sie die Verfassung der Containerschifffahrt?Die Verluste setzten die Carrier unter Zugzwang. Der Sektor ist unverändert von Überkapazitäten geprägt in Verbindung mit einer hohen fixkostenbedingten Wettbewerbsintensität. Auch bietet das angebotene Produkt – der Transport eines Containers von A nach B – wenig Spielraum für Differenzierung. Das Frachtratenniveau ist trotz der jüngsten Belebung auf den meisten Trade-Lanes nicht auskömmlich, die Volumendynamik eher mäßig. Die vorherrschenden Probleme auf der Umsatzseite entziehen sich allerdings der unmittelbaren Einflussnahme des einzelnen Akteurs. Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass die Containerschifffahrtsgesellschaften versuchen, sich vor allem über die Kostenseite Luft zu verschaffen.- Warum zieht sich die Branchenkrise in die Länge?Vor dem Hintergrund der hohen, zuweilen zweistelligen Zuwachsraten in der Vergangenheit wurden zu viele Schiffe bestellt, auch bedingt durch Expansionsbestrebungen einzelner, teils staatsnaher Marktteilnehmer. Die Bestellauslieferungen halten an, neue Schiffskapazitäten drängen noch immer in den Markt. Die Volumenentwicklung hält mit dem Wachstum der Angebotsseite nicht Schritt. Dafür gibt es diverse Gründe: die schwache makroökonomische Entwicklung in vielen Regionen, der bereits hohe Containerisierungsgrad von Ladung, aber auch die Veränderung von Wertschöpfungsketten in vielen Industrien hin zu mehr lokaler Produktion. Galt in der Vergangenheit die Faustregel, das Containeraufkommen wächst mehr als doppelt so schnell wie die globale Wirtschaftsleistung, rechnet man heute lediglich mit einem GDP-Multiplikator von etwas größer 1x.- Kommt denn ein Ende der Krise in Sicht?Die Bestellvolumina bei den Schiffen haben sich zuletzt merklich abgekühlt. Das Auftragsbuch liegt aktuell bei etwa 3.5 Mill. TEU (Twenty-foot Equivalent Unit, Standardcontainer) – dies entspricht circa 16 % der globalen Flotte. Vor fünf Jahren lag das Verhältnis noch bei etwa 26 %. Gleichzeitig nehmen die Verschrottungen deutlich zu. Die angebotsseitigen Branchenparameter bewegen sich also definitiv in die richtige Richtung. Bleibt zu hoffen, dass die Nachfrageseite sich positiv entwickelt.- Mit der Übernahme von Hamburg Süd untermauert die dänische Mærsk Line ihre Marktführerschaft. Auf die fünf größten Containerreedereien entfällt ein immer größerer Anteil der Stellplatzkapazitäten. Geht die Konsolidierung in die richtige Richtung?Die Konsolidierung unter den Linienreedereien bedeutet nicht zwangsläufig weniger Schiffskapazität in der kurzen Frist. Die Anzahl der Schiffe ändert sich nämlich erst einmal nicht. Mittelfristig dürfte aber ein Entlastungseffekt eintreten im Zuge rationaler und zurückhaltender Investitionsplanungen.- Mit der südkoreanischen Hanjin hat die Nummer 7 Insolvenzantrag gestellt. Nische, Zusammenschluss: Welche Chancen haben kleinere Containerreedereien in Zukunft?Angesichts niedriger Eintrittsbarrieren ist es fraglich, ob es künftig ausreichend lukrative Nischen gibt.Neben strikter Kostendisziplin sind Kundenzugang, geografische Diversifikation und die Fähigkeit, mit der Unpaarigkeit von Ladungsströmen umzugehen, wichtige Erfolgsfaktoren. Diese dürften eher großen Spielern mit einem ausbalancierten Routenmix entgegenkommen.- Was muss passieren, damit der ruinöse Preiskampf tatsächlich endet und die Frachtraten auf Dauer wieder steigen?Dafür bedarf es einer besseren Balance zwischen der Angebots- und Nachfrageseite. Den Auftragsbüchern zufolge wird die Schiffskapazität 2017 nochmals um circa 6 % zunehmen, 2018 um rund 4 %. Möglicherweise werden Verschiebungen den Zuwachs noch etwas glätten oder in die Zukunft schieben. Für 2019 sind bis dato nur wenige Auslieferungen geplant, dort zeigt sich bereits die jüngste Zurückhaltung bei den Bestellungen. Verschrottungen lösen das Problem sicher nicht, tragen aber dazu bei, den Kapazitätszufluss abzufedern. 2016, beispielsweise, wird der effektive Kapazitätszufluss aus Neuauslieferungen durch die Verschrottung alter Schiffe beinahe um die Hälfte reduziert.- Hamburg Süd gehört als einzige der zehn größten Reedereien keinem Schifffahrtsbündnis an. Welche Bedeutung haben die Allianzen, die sich nun neu formieren?Mit den Allianzen können die involvierten Unternehmen eine bessere Netzwerkdichte und höhere Dienstfrequenz anbieten, Effizienzen heben und gegebenenfalls auch Kosten gegenüber Dritten einsparen. Allerdings bleibt es spannend, wie stabil die Allianzen sein werden angesichts des fortschreitenden Konsolidierungstrends.- Wird der Erwerb von Hamburg Süd ohne Auflagen grünes Licht durch die Kartellbehörden erhalten? Welche Bedingungen wären denkbar?Ich möchte über mögliche Verhandlungsergebnisse und Zugeständnisse mit den Kartellbehörden nicht spekulieren. Aber auf der Lateinamerika Trade-Lane nähme Mærsk/Hamburg Süd schon eine herausragende Position ein mit einem Kapazitätsanteil von etwa 35 %.- Braucht eine Exportnation wie Deutschland große Containerreedereien, die hier ihren Sitz haben?Blickt man auf die voraussichtliche Eigentümerstruktur von Hapag-Lloyd nach dem UASC-Deal, werden etwa 24 % der Anteile bei arabischen Investoren und rund 23 % bei den CSAV-Eignern in Chile liegen. Die Reederei wird von einem Niederländer geführt und nur ein Bruchteil der Hapag-Lloyd-Ladung hat den Herkunfts- oder Bestimmungsort in Deutschland. Vor diesem Hintergrund würde ich nicht von einem deutschen, sondern von einem internationalen Unternehmen sprechen, das frei nach wirtschaftlichen Erwägungen operiert. Dessen Unternehmenssitz scheint mir für das Wohl und Wehe der Exportnation Deutschland wenig maßgeblich. Ausreichend Ladung und eine gute maritime Erreichbarkeit vorausgesetzt dürften sich genügend Reedereien finden, welche die deutschen Häfen anlaufen.- Welche Anforderungen sehen Sie für Hapag-Lloyd, wenn Mærsk Line noch mehr zum Maß aller Dinge in der Schifffahrt wird?Agenda und Prioritäten ändern sich für Hapag-Lloyd erst einmal nicht: rasche Integration von UASC, striktes Kostenmanagement sowie die Implementierung von “The Alliance”. Allerdings: Sollte die Nummer 1 weiter voranschreiten, werden weitere strategische Maßnahmen notwendig, um nicht den Anschluss zu verpassen.- Müssen sich die Reedereien mehr Gedanken machen über alternative Geschäftsmodelle, über eine Ausweitung der Erlösströme?Einige Containerreedereien sind ja bereits in anderen maritimen Geschäftsfeldern unterwegs mit gemischten Ergebnissen. Strapazierte Bilanzen und der hohe Kapitalbedarf im Stammgeschäft dürften die strategische Bewegungsfreiheit vieler Marktteilnehmer begrenzen. Veränderungen könnten im Kleinen angestoßen werden. Beispielsweise hat das Global Shippers Forum jüngst zu einer Diskussion über eine bessere vertikale Integration zwischen Verlader und Carrier aufgerufen.—-Die Fragen stellte Carsten Steevens.