Vernetzung weckt Fusionsfantasien

Londoner Konferenz zeigt Herausforderungen, vor denen die Autobranche steht

Vernetzung weckt Fusionsfantasien

Von Andreas Hippin, LondonDie überschwänglichen Slogans der IT-Branche haben Einzug in die Autobranche gehalten. Kein Wunder, schließlich sind die Wagen der Zukunft im Kern auch rollende Computer. “Während wir uns in Richtung selbstfahrende Autos bewegen, steht eine Revolution des Verkehrs vor uns”, sagte Mike Hawes, der Vorsitzende des britischen Autoverbands, der gestern die Fachkonferenz SMMT Connect 2019 in Westminster veranstaltete. “Und Großbritannien hat in diesem 62-Mrd.-Pfund-Rennen die Pole-Position inne.”Die Berater von Frost & Sullivan treten als Mutmacher auf und attestieren dem Land, über die nötigen Grundbausteine zu verfügen, um die Entwicklung vernetzter und autonomer Fahrzeuge im kommenden Jahrzehnt voranzutreiben: eine zukunftsorientierte Gesetzgebung, eine hoch entwickelte Technologieinfrastruktur, hoch qualifizierte Arbeitskräfte und eine technikbegeisterte Kundschaft. Wenn es um den Einsatz der neuen Technologien gehe, sei das Vereinigte Königreich weltweit führend.Das zeige, dass die Autoindustrie “alles andere als eine absteigende Branche” sei, sagte Hawes. Sie steht allerdings vor enormen Herausforderungen. “Wir sehen möglicherweise den größten Zustrom von Neuzugängen seit Erfindung des Verbrennungsmotors”, sagte Andy Palmer, der CEO von Aston Martin Lagonda. Das werde den traditionellen Herstellern zu schaffen machen, die nur daran gewöhnt seien, untereinander zu konkurrieren. Der technologische Wandel verschärfe das Problem, dass das Geschäftsmodell der Branche kaputt sei. “Wir entwickeln alle ähnliche Technologien, und es kostet jedes Unternehmen Milliarden”, sagte Palmer. Das sei Unsinn. Deshalb würden mehr Hersteller unter die Schwingen von größeren Unternehmen geraten. Die Bedeutung von Marken bei der Kaufentscheidung werde abnehmen, von den “drei oder vier Boeings oder Airbus der Autoindustrie” einmal abgesehen. “Übernahmen und Fusionen werden unvermeidlich sein”, sagte Palmer. Chinesische Hersteller könnten europäische Assets kaufen, sagte Sarwant Singh, Head of Mobility bei Frost & Sullivan. “Zerstörerischer Wandel””Die Autoindustrie steht vor einem ähnlich zerstörerischen Wandel wie die Smartphone-Branche vor zehn Jahren”, sagte David Holecek, Director of Digital Experience bei Volvo. “Die Zeiten proprietärer Technologien sind vorbei.” Volvo arbeitet mit Google zusammen und verwendet deren Betriebssystem Android. Das Auto solle für die Kunden “ein weiteres voll integriertes Gerät in ihrem Ökosystem” sein. Noch seien viele Fahrzeuge nicht vernetzt, weil der Aufwand dafür zu groß sei.Agustín Martín, der CEO von Toyota Connected Europe, versuchte, die großen Erwartungen an die neuen Technologien etwas zu dämpfen. Da sei viel vereinfacht dargestellt worden. Es gebe noch eine Menge zu tun. Und es gebe Hindernisse, die nicht so einfach aus dem Weg geräumt werden könnten. Es bedürfe zudem der Nachfrage seitens der Verbraucher.Für seine als Start-up innerhalb des japanischen Konzerns angelegte Sparte arbeiten 700 Mitarbeiter. Sie hat ihren Sitz in London. Als Hauptgrund dafür nannte Martín die dort ansässigen Datenwissenschaftler. “Man muss dahin gehen, wo die Talente sind”, sagte er. Zudem sei der Verkehrsverbund Transport for London eine der wenigen Körperschaften, die in der Lage sei, über eine Legislaturperiode hinauszudenken. Auch er setzt auf Kooperationen. “Ich denke nicht, dass wir uns noch in einer Welt voller Silos befinden”, sagte Martín. “Wir müssen sie auf eine horizontalere Weise betrachten.” Man entwickle zwar selbst und habe entsprechende Kapazitäten “in-house”, aber die Entwicklung sei sehr dynamisch. “Wir könnten nie Schritt halten”, sagte er. Man könne sich nur öffnen, um für kleine Unternehmen ein attraktiver Partner zu sein.