ANSICHTSSACHE

Verpflichtung auf verantwortliches Verhalten nötig

Börsen-Zeitung, 17.3.2017 Müssen Vorstände und Aufsichtsräte daran erinnert werden, dass ihr Verhalten nicht nur legal sein sollte, sondern auch ethisch fundiert und verantwortlich? Die jüngsten Änderungen am Deutschen Corporate Governance Kodex...

Verpflichtung auf verantwortliches Verhalten nötig

Müssen Vorstände und Aufsichtsräte daran erinnert werden, dass ihr Verhalten nicht nur legal sein sollte, sondern auch ethisch fundiert und verantwortlich? Die jüngsten Änderungen am Deutschen Corporate Governance Kodex sehen diese “Erinnerung” ausdrücklich in der Präambel vor. Die Kritik blieb nicht aus. In verschiedenen Stellungnahmen wurde die Konturlosigkeit der Begriffe ebenso kritisiert wie deren fehlende Justiziabilität. Tatsächlich wäre in einer idealen Welt die Einforderung verantwortlichen Verhaltens unnötig, weil allen klar wäre, dass es sich hier um eine Selbstverständlichkeit handelt. Doch wir leben nicht in einer solchen Welt. Deshalb kann eine Verpflichtung auf ethische Normen Sinn machen – allerdings nur dann, wenn sie tatsächlich Sinn machen. Gibt es also gute Gründe für eine explizite Erwähnung allgemeiner Begriffe wie Verantwortung, von der viele sagen würden, es sei “cheap talk”, billige Worte, die eigentlich nichts (mehr) bedeuten? Hilfe zur SelbstregulierungEine Antwort lässt sich aus dem Verständnis der Kodex-Kommission entwickeln, wie sie Manfred Gentz zu Beginn seiner Amtszeit als Vorsitzender in einem Gespräch mit der Börsen-Zeitung (vgl. BZ vom 26.6.2014) formulierte: “Die Arbeit der Kommission darf und sollauch als Hilfe zur Selbstregulierung der Wirtschaft verstanden werden.” Dies ist wohl so zu interpretieren, dass die Wirtschaft und ihre Entscheidungsträger nicht in einer vom Gesetzgeber durchregulierten Welt leben wollen, die ihnen kaum mehr Freiheit lässt. Doch unter welchen Umständen kann man der Wirtschaft vertrauen, dass sie sich selbst Regeln gibt, die dem Rest der Gesellschaft nicht schaden? Zur Klärung dieser Frage lohnt es sich, das Verhältnis von Recht und Freiheit kurz zu reflektieren. Grenzen der FreiheitGrundsätzlich gilt: Regeln ermöglichen allererst Freiheit, denn ohne sie wäre ein geordnetes unternehmerisches Handeln nicht denkbar. Das Recht ist die Grundlage verlässlicher Verhaltenserwartungen und damit auch des Leistungswettbewerbs, der ohne Regeln rasch zum ruinösen Kampf aller gegen alle entartet. Sanktionsbewehrte Regeln sind mithin unverzichtbar. Das Recht ist insofern eine Infrastruktur der Freiheit, deren Sinn es gewiss nicht ist, eben diese Freiheit zu ersticken durch Überregulierung. Doch genau dazu kann es kommen, wenn die rechtlich ermöglichte Freiheit zunehmend zum eigenen Vorteil auf Kosten anderer missbraucht wird; etwa durch Steuervermeidung, intransparente Berichterstattung, unlautere Werbung oder Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten. Detailliertere Regulierungen sind meist die Folge vorangegangenen unverantwortlichen Freiheitsgebrauchs.Ein Kernproblem liegt nun darin, dass die Befolgung von Rechtsvorschriften stets auch von der Einstellung des Rechtssubjekts abhängt. Um es in einem dem Sport entlehnten Bild auszudrücken: Spielregeln strukturieren Spielzüge. Doch wie sie das tun, hängt immer auch vom Spielverständnis der Beteiligten ab – nicht nur der Spieler, sondern auch Schiedsrichter, Trainer oder Zuschauer. Die gleichen Regeln können sehr unterschiedlich befolgt werden. Und das Spielverständnis der Befolgung ist selbst nicht noch einmal durch Regeln festzulegen: Man kann Respekt, Fairness und eine Haltung der Verantwortlichkeit nicht durch Gesetze verordnen. Allenfalls kann man das Fehlen von Respekt und Verantwortlichkeit rechtlich begrenzen. Doch dies kann für alle Beteiligten teuer werden, weil dann auch vermehrt vorteilhafte und erwünschte Handlungsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. In Unternehmen ist dieser Zusammenhang mittlerweile im Compliance-Kontext vertraut, wenn etwa Beschäftige aus Furcht vor Fehlverhalten keine Entscheidungen mehr selbst treffen und “Dienst nach Vorschrift” leisten.Verantwortliches Handeln setzt also immer auch eine Einstellung voraus, berechtigte Interessen anderer auch dann zu respektieren, wenn einem das Gesetz nicht unmittelbar im Nacken sitzt. Gerade weil eine solche Haltung, dieses “Spielverständnis”, nicht rechtlich einklagbar ist, sind die entsprechenden Begriffe der Ethik nicht justiziabel. Und weil es auch keinen Druck zur Konsistenz des Begriffsapparats wie im Recht gibt, sind die ethischen Konzepte weniger klar und präzise. Doch das spricht gerade nicht dafür, sie zu vermeiden. Denn das Problem besteht fort: Wie lässt sich vermeiden, dass zunehmende Regulierung der Wirtschaft die Luft zum Atmen nimmt, ohne dass fortbestehende Freiräume zu Lasten Dritter genutzt werden?Die Antwort liegt in ethisch fundierten Maßstäben verantwortlichen Handelns, wobei “ethisch fundiert” hier ein gemeinsames (Spiel-)Verständnis meint. Denn Verantwortung heißt auch, den Einschränkungen, wie sie durch Marktbedingungen und Wettbewerbsdruck gegeben sind, angemessen Rechnung zu tragen. Unternehmen, die um vermeintlich moralischer Vorgaben willen systematisch Verluste machen, werden am Markt nicht überleben können. Kodexänderung sinnvollKonkreter könnte das heißen, dass Entscheidungsträger in der Wirtschaft sich auf eine Haltung der Verantwortlichkeit verpflichten und damit zeigen, dass sie mit der Gesellschaft weitgehend ähnliche Vorstellungen teilen. Deshalb ist die Änderung im Kodex sinnvoll: als Ausdruck der Selbstverpflichtung und als Ermutigung zum Dialog über vernünftige Maßstäbe unternehmerischer Verantwortung. Denn eine leistungsfähige und wettbewerbsfähige Wirtschaft braucht beides: Recht und Ethik, die Verpflichtung auf Legalität und auf ethisch fundiertes, verantwortliches Verhalten.Prof. Dr. Andreas Suchanek hat den Dr. Werner Jackstädt-Lehrstuhl für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der HHL Leipzig Graduate School of Management inne und ist Vorsitzender des Stiftungsvorstands des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Andreas SuchanekEine leistungsfähige Wirtschaft braucht beides: Recht und die Verpflichtung auf ethische Normen.——-