Versorger drohen mit dem vorzeitigen Aus ihrer Atommeiler
Von Ulli Gericke, BerlinEs gibt Sprachbilder, die Symbolwert haben. Der Ausstieg aus der Atomkraft, der von der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2000 mit der Stromindustrie vereinbart worden war, ist so ein Beispiel. Danach sollte das letzte Kernkraftwerk in Deutschland irgendwann jenseits von 2024 abgeschaltet werden. Die spätere schwarz-gelbe Regierung Merkel hat diese Regelung auf Wunsch der Atomwirtschaft 2010 korrigiert, womit ältere Meiler zusätzliche acht, neuere weitere 14 Jahre Laufzeit zugesprochen bekamen. Der Ausstieg aus dem Atomausstieg war geboren. Nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima war nur ein halbes Jahr später alles wieder anders. Für die acht ältesten AKWs wurde ein sofortiges Aus verfügt, die übrigen neun Reaktoren gehen stufenweise vom Netz (siehe Grafik). Sprachlich wurde diese neue Volte langsam sperrig als Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Atomausstieg. Strompreise ohne SpannungSo wiedie Rahmenbedingungen heute sind, dürfte realiter allerdings kein von der Regierung verfügter Ausstieg stattfinden, sondern eher ein Wegschleichen der Industrie fort von der Atomenergie – beginnend 2015/2016 und weit vor dem gesetzlichen Aus im Jahr 2022 endend. So zumindest malt es Eon an die Wand. Vorstand Mike Winkel begründet das Szenario mit dem anhaltenden Zubau erneuerbarer Energien, dem daraus resultierenden weiter sinkenden Strompreis an der Leipziger Energiebörse EEX, dem “strukturellen Überangebot bis Mitte des nächsten Jahrzehnts” bei CO2-Rechten sowie der Kernbrennstoffsteuer. Diese hatte die Regierung 2010 im Gegenzug für die Laufzeitverlängerung eingeführt mit dem Ziel, den aus den zusätzlichen Betriebsjahren resultierenden Windfall Profit zwischen Versorger und Staat zu teilen. “Fakt ist, die Kernkraftwerke arbeiten zurzeit hauptsächlich für die Staatskasse”, urteilt Winkel unter Verweis auf die rückläufigen Großhandelspreise.Diese stehen immer stärker unter Druck, weil Tag für Tag zusätzliche Strommengen von neuen Windrädern und neu ans Netz angeschlossenen Photovoltaik- oder Biogasanlagen den Markt fluten, ohne dass die Nachfrage wächst. Konnten RWE, Eon & Co vor zwei Jahren ihren heute gelieferten Strom noch zu 50 Euro je Megawattstunde (MWh) verkaufen (und in der aktuellen Halbjahresbilanz zu diesem Preis verbuchen), so werden aktuell Verträge zur Lieferung in zwei Jahren zu 35 Euro/ MWh vereinbart – Tendenz weiter sinkend, weil das Überangebot an Strom durch die Erneuerbaren ungebremst steigt.In der Folge wollen die Versorger nicht nur 15 weitere konventionelle Kraftwerke wegen zu geringer Betriebsstunden stilllegen, wie das Wirtschaftsministerium am Wochenende unter Verweis auf Angaben der Bundesnetzagentur mitteilte.In Frage stehen inzwischen auch Atomkraftwerke. Hier kalkulieren die Betreiber nach einer älteren Studie mit durchschnittlichen Vollkosten von knapp 30 Euro/MWh. Bei Futures-Preisen zur Lieferung 2015 von weniger als 36 Euro an der EEX rechnet sich das nicht mehr, muss doch zu den Vollkosten noch die Kernbrennstoffsteuer von rund 15 Euro/MWh addiert werden – womit Kosten von etwa 45 Euro zukünftige Erlöse von nicht einmal 36 Euro je MWh gegenüberstehen. “Die Wirtschaftlichkeit wird für alle deutschen Atomkraftwerke eng”, urteilt denn auch Winkel.Das heißt nicht, dass schon heute oder morgen einem Kernkraftwerk das Aus bevorsteht. Aber spätestens, wenn neue Brennelemente eingebracht werden müssen, stellt sich die Rentabilitätsfrage für jeden Meiler neu. Bei Eon steht dies im nächsten Frühjahr an. Dazu gehört die Überlegung, ob – angesichts der riesigen Mengen an Ökostrom – AKWs überhaupt noch volle Leitung fahren müssen oder ob es nicht reicht, Restkapazitäten von teilgenutzten Brennstäben aus dem eigenen Abklingbecken zu nutzen – für die keine Brennelementesteuer fällig würde.Damit ist die politische Zielrichtung klar: Entweder die neu gewählte Bundesregierung korrigiert das Erneuerbare-Energien-Gesetz zur Förderung des Ökostroms und verzichtet auf die milliardenteure Brennstoffsteuer, oder AKWs werden vorzeitig vom Netz genommen. Vor allem Süddeutschland würden damit Stromengpässe drohen. Ist ein Kraftwerk aber systemrelevant, kann die Netzagentur die Stilllegungen untersagen. Das wäre dann der absurdeste Dreh in der schier endlosen Ausstiegsdebatte: Die Netzagentur weist einen AKW-Betreiber per Notstandsverordnung an, nicht vorzeitig einen Meiler abzuschalten. Die dann hochbrandende politische Debatte dürfte lauter werden als vor drei Jahren, als die gleichen Konzerne, die heute vorzeitig stilllegen wollen, noch eine Laufzeitverlängerung forderten.