NOTIERT IN PARIS

Viele Start-ups allein reichen noch nicht

Paris hat sich in die Sommerpause verabschiedet. "Jahresurlaub bis Ende August" steht auf den Schildern, die derzeit an den Türen von zahlreichen kleinen Geschäften und Restaurants in der französischen Hauptstadt hängen. Statt hektischer...

Viele Start-ups allein reichen noch nicht

Paris hat sich in die Sommerpause verabschiedet. “Jahresurlaub bis Ende August” steht auf den Schildern, die derzeit an den Türen von zahlreichen kleinen Geschäften und Restaurants in der französischen Hauptstadt hängen. Statt hektischer Betriebsamkeit herrscht in den Straßen gemächliche Ruhe. Und doch schlägt ausgerechnet hier das Herz der europäischen Gründerszene. Denn im Großraum Paris haben sich nach Angaben der amerikanischen Unternehmensberatung MitchelLake Group rund 12 000 Start-up-Unternehmen angesiedelt – mehr als in Berlin oder London. Gleichzeitig ist Frankreich in Europa die Nummer 2 nach Großbritannien bei der Finanzierung nichtbörsennotierter Unternehmen durch Kapitalbeteiligungen. So investierten französische Beteiligungsgesellschaften vergangenes Jahr 10,7 Mrd. Euro in mehr als 1 600 Unternehmen.Auf den ersten Blick mag das paradox erscheinen, geben Christophe Bavière und Benoist Grossmann von Idinvest zu. Die Kapitalbeteiligungsgesellschaft ist aus AGF Pivate Equity hervorgegangen, dem früheren Investmentfonds von Allianz. Sie gehört zu den wichtigsten ihrer Branche in Frankreich, verwaltet inzwischen 6,4 Mrd. Euro und hat in so bekannte Start-ups wie Criteo, Dailymotion, Deezer, Meetic und Sarenza investiert. Idinvest-Chef Bavière und Vorstandsmitglied Grossmann haben ein Buch über ihre Erfahrungen veröffentlicht, um zu zeigen, dass Frankreich sehr wohl ein Unternehmerland ist. “Tribulations financières au pays des entrepreneurs”, so der Titel, soll aber auch die wichtige Rolle von Investmentfonds für Mittelständler erklären.Vom Ausland aus betrachtet stehe Frankreich vor allem für die 35-Stunden-Woche, 5,5 Millionen Beamte, viele Streiks und ein relativ unflexibles Arbeitsrecht, schreiben sie. Mit dem Begriff Unternehmensgeist verbinde man deshalb eher die USA. Doch obwohl die Französische Revolution eine antikapitalistische Haltung erzeugt habe, die sich in dem Misstrauen gegenüber Großkonzernen widerspiegele, sei Frankreich ein Land mit Unternehmergeist, meinen Bavière und Grossmann. Die Erneuerung der Struktur an mittleren und kleinen Unternehmen könnte helfen, einen Teil des Problems der hohen Arbeitslosigkeit zu lösen, urteilen sie. Vorausgesetzt, die jungen Firmen erhielten die notwendige Finanzierung und regulatorischen Anreize. Die Mentalität in Frankreich sei in den zurückliegenden Jahrzehnten sehr viel unternehmerfreundlicher geworden, doch es gebe noch immer zahlreiche Behinderungen etwa durch die starke Besteuerung und das komplexe Arbeitsrecht.Frankreich habe große Vorteile in Bereichen wie der Ausstattung von Ballungszentren und Internetapplikationen und verfüge zudem über die unter dem Label French Tech zusammengefasste Gründerszene im Technologiebereich, meint auch der Ökonom und Publizist Nicolas Baverez. “Frankreich hat die knappste Ressource: Seine Ingenieure, die so wettbewerbsfähig sind, dass sich unsere Konkurrenten um sie reißen”, schreibt er in seinem jüngsten Buch “Danser sur un volcan”. “Geben wir ihnen die Mittel, um unsere Industrie wiederzubeleben, anstatt sie dazu zu zwingen, ins Exil zu gehen”, fordert er.Doch abgesehen davon fällt das Urteil von Baverez über sein Heimatland sehr negativ aus. Frankreich sei wegen seiner sehr viel schlechteren Wirtschaftsleistung im Vergleich zu anderen Industrieländern und wegen seiner Unfähigkeit, sich zu modernisieren, inzwischen eine Ausnahmeerscheinung, meint er. Dabei verfüge das Land durchaus über Trümpfe, und auch die Gegenmittel gegen seine Leiden seien bekannt. Doch es fehle Frankreich an dem Wesentlichen: der Kapazität, Reformen durchzuführen. “Frankreich ist so ein Risiko für sich selber und seine europäischen Partner geworden, weil es im Gegensatz zu Griechenland eine systemische Dimension hat”, sagt Baverez. Frankreich stehe bereits am Rande des Chaos. Wenn es nicht bald zu einer tiefgreifenden Modernisierung komme, werde das Land in der Amtszeit des nächsten Präsidenten einen großen Schock erleiden, befürchtet er. Die Franzosen müssten sich nun bei der nächsten Präsidentschaftswahl zwischen Reformen und der Versuchung zu Revolution und Chaos entscheiden.