START-UPS DEUTSCHLAND

Viele Start-ups vertrocknen im Tal des Todes

2014 erstmals seit acht Jahren wieder Börsengänge von Biotechnologie-Unternehmen, aber nur im Ausland - Gestörte "Kapitalnahrungskette"

Viele Start-ups vertrocknen im Tal des Todes

Deutschland gilt zwar als Land der Denker und Tüftler. Dennoch kommen Start-up-Firmen schwer an Venture Capital, um zu expandieren. Am schwierigsten ist es für Biotechnologie-Unternehmen, bei denen längere Entwicklungszeiten zu steigenden Risiken führen. Immerhin gelangen in diesem Jahr erstmals seit 2006 wieder Börsengänge – allerdings nur im Ausland.Von Ulli Gericke, BerlinDeutschland lebt vom Erbe seiner Erfinder. Ob Daimler, Siemens, Merck, Porsche oder Henkel, ohne die Gründerväter der hiesigen Industrie wäre der Wohlstand nicht annähernd so groß, wie wir ihn schätzen. Dennoch tun sich heutige Gründer hierzulande schwer. In Europa ist das Land der Denker und Tüftler gerade mal Durchschnitt bei Venture-Capital-Investitionen. – Und Schlusslicht bei VC-Investitionen in Biotechnologie-Unternehmen, wie die Berater von EY (früher Ernst & Young) ermittelt haben. “Wir verfügen über eine exzellente Forschungslandschaft, die staatlich stark gefördert wird. Allerdings kommen Innovationen zu selten auf dem Markt an”, beobachtet Siegfried Bialojan, Leiter des deutschen Life Science Centers bei EY. Als Ursache nennt er die gestörte “Kapitalnahrungskette”, die immer wieder zum Verhungern junger Unternehmen führe. Kein Wunder, wenn immer weniger Gründer nachrückten – trotz der großen Vorbilder von Merck, Henkel & Co.Generell muss bei Biotech grob unterschieden werden zwischen grüner, weißer oder roter Technologie. Die grüne, oder Pflanzenbiotechnologie ist wegen ihrer (vermuteten) Nähe zur Gentechnik “in Deutschland relativ ungeliebt”, weiß Dirk Honold, Professor an der Technischen Hochschule Nürnberg und davor Finanzchef mehrerer junger Unternehmen. Der weiße, industrielle Zweig verwendet biotechnologische Methoden für industrielle Produktionsverfahren. Hier gibt es die unterschiedlichsten Geschäftsmodelle für Start-up-Unternehmer, die sich darin unterscheiden, wie schnell und intensiv ein Gründer mit seiner Idee mit einem etablierten Unternehmen kooperiert. Das sichert im Idealfall die Finanzierung der weiteren Entwicklung und ebnet den Weg an den Markt. Der Partner gewinnt mit diesem Engagement Zugang zu neuen Technologien und die Hoffnung auf “erhebliches Upside-Potenzial” seiner Investition, so Honold. Angesichts dieser Perspektiven und des vielen Cash in den Kassen setzen diverse Konzerne inzwischen auf Corporate Venture Capital – wie beispielsweise Bayer, Boehringer, BASF oder andere.Doch selbst diejenigen Start-ups, die lieber erst einmal selbstständig bleiben wollen, benötigen in der relativ produktionsnahen weißen Biotechnologie nur Bruchteile der Gelder, die in der roten, der medizinischen Biotech erforderlich sind. Selbst bei der Medizintechnik sind aber fünf bis sieben Jahre üblich, bis eine neue Technologie Zugang zum Markt findet, wofür laut Oliver Schacht, CEO des Molekulardiagnostikunternehmen Curetis, zumeist 20 bis 30 Mill. Euro an Kapital benötigt werden. Werden gar neue Medikamente entwickelt, muss ein Forscher mit zehn bis zwölf Jahren Entwicklungs-, Test- und Zulassungszeit rechnen, was nicht selten 100 Mill. Euro verschlingt – finanziell ein unerhörter Kraftakt. Deutschlands Gewicht sinktDabei beginnt der Start meist hoffnungsvoll. Da der Hightech-Gründerfonds in aller Regel gut funktioniert, ist die Anfangsfinanzierung gesichert. Schwierig wird es bei der klinischen Entwicklung mit dem immer größer werdenden Probandenkreis. Da es in Deutschland zu wenig VC-Kapital gebe, seien selbst Anschlussfinanzierungen im mittleren einstelligen Millionenbereich “echt schwierig”, urteilt Schacht. Mit der Folge, dass Biotech-Unternehmer mit Hilfe staatlicher Gelder zwar innovative Therapeutika hervorbringen, diese dann aber im Ausland marktreif gemacht werden, wo es finanzstarke Partner gebe, beobachtet Bialojan. “Deutschlands Bedeutung für die Medikamentenentwicklung nimmt ab.” Altinvestoren stützen IPOUmso wichtiger, dass die wenigen auf den Gründerfonds aufbauenden Finanzierungshilfen weiter existieren. Hier jedoch schwant dem Biotech-Verband BIO Deutschland Böses. So übernimmt das Bildungs- und Forschungsministerium (BMBF) die Auszahlung der Ausbildungsförderung BAföG zum Jahresbeginn in Gänze, erhält die dafür notwendigen Gelder aber nur zum Teil von Finanzminister Wolfgang Schäuble ersetzt. Mit der Folge, dass eine Kürzung der staatlichen Förderprogramme KMU-innovativ und GO-Bio droht, listet das dieser Tage erschienene Jubiläumsjahrbuch von BIO Deutschland auf. Diese Förderungen seien jedoch wichtig, um die Wertschöpfungskette innovativer Arzneimittel aufrechtzuerhalten. “Es bleibt zu hoffen, dass durch die Bafög-bedingte Umschichtung im BMBF-Budget nicht auf Kosten der etablierten und sehr erfolgreichen Fördermaßnahmen GO-Bio und KMU-Innovativ gehen”, heißt es zweifelnd.Zugleich berichtet die Branche, dass in den ersten neun Monaten nahezu 125 Mill. Euro durch Finanzierungsrunden und fast genauso viel durch Kapitalerhöhungen eingeworben wurden – zusammen knapp 250 Mill. Euro, nur minimal weniger als vor Jahresfrist. Während aber im Vorjahr Morphosys und andere Firmen merkliche Beträge über Kapitalerhöhungen besorgen konnten, gewannen im bisherigen Jahresverlauf die VC-Finanzierung deutlich an Gewicht.Diese ist dennoch nicht ansatzweise vergleichbar ist mit den Summen im US-amerikanischen Markt, wo Geld ohne Ende zur Verfügung zu stehen scheint. Kein Wunder, dass die einzigen deutschen Biotechs – Innocoll, der Krebsspezialist Affimed aus Heidelberg und Probiodrug aus Halle -, denen erstmals seit 2006 ein Börsengang gelang, an die Nasdaq bzw. die Euronext gingen. Und selbst dort haben die Börsengänge nur deshalb geklappt, weil die Altinvestoren jeweils einen Großteil der neuen Aktien erworben haben, um sich über diesen Umweg einen künftigen Ausstieg über die Börse zu eröffnen, beobachtete Bialojan. Insgesamt hat die Biotech-Branche damit in den ersten neun Monaten 2014 mit gut 360 Mill. Euro schon etwas mehr Geld eingesammelt wie in den zwölf Monaten des Vorjahres. Nach A kommt kein BVerglichen mit anderen Ländern ist dieser Erfolg dennoch bescheiden. Obwohl es im Markt Geld genug gebe, sei es erste Aufgabe eines Start-up-Gründers, eine Finanzierung zustande zu bekommen, urteilt Honold. “Ob die Finanzierungsbedingungen dann gut sind, ist eine andere Frage.” Geld einsammeln sei hierzulande “mühsam und teuer”. In diesem Zusammenhang lobt Schacht zwar den Hightech-Gründerfonds als marktgerecht. “Doch wer A sagt, muss auch B sagen”, kritisiert er die dann fehlenden staatlichen Hilfen für die schwierigen Anschlussfinanzierungen. Die Regierung springe hier zu kurz, weshalb viele Unternehmen im berühmt berüchtigten Death Valley (Tal des Todes) “vertrocknen” oder ins Ausland gehen (müssen). Wie Innocoll, Affimed und Probiodrug. Wohingegen andere Firmen darauf hoffen, dass ein europäischer Fonds einsteigt, der in Paris oder Amsterdam beheimatet ist und – unter anderem – Pensionskassen zu seinen Investoren zählt.Das alles überschattende Grundproblem hierzulande sei jedoch die fehlende Eigenkapitalkultur, stimmen die Vertreter der Biotech-Branche in den allgemeinen Chor der Start-up-Firmen ein. Zudem fehlten gesetzliche Möglichkeiten – wie es sie im Ausland vielfach gibt -, wo Pensionskassen nicht nur in Start-up-Fonds investieren können, sondern sogar sollen. “Wenn es keine IPOs gibt, gibt es auch keine Pre-IPO-Finanzierungen und keine Later-Stage-Finanzierungen oder private Engagements – und so feiern wir, wenn der Investitionszuschuss von 250 000 Euro von Business Angel steuerfrei gestellt wird – auch wenn das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist”, resigniert Schacht. “Markt 2.0 totaler Unsinn”In diesem Zusammenhang kritisiert Honold den Widerstand der Deutschen Börse gegen ein spezielles Gründersegment “Markt 2.0”, wie es die Koalition als Exit-Möglichkeit für Investoren gerne hätte zur Finanzierung von Start-ups. “Wenn das fliegt wie die AIM, der Alternative Investment Market in London, bekämen wir Wasser unter den Kiel”. Eine Hoffnung, die EY-Experte Bialojan als “totalen Unsinn” abqualifiziert. Die Börse funktioniere, es fehlten die Investoren. Ein spezieller Markt 2.0 wäre “zweite Klasse und schreckt eher ab”. Statt dessen müssten Investoren motiviert werden, das zweifelsohne hohe Risiko einzugehen, in der Hoffnung auf künftig hohe Gewinne. Hier sei die Politik gefordert, die die Rahmenbedingungen für Finanzierungen verbessern müsse, was oftmals nur kleiner Schritte bedürfe: Angefangen von der Möglichkeit, Verluste vortragen zu können, über die Befreiung von der Abgeltungsteuer, die in ihrer derzeitigen Ausgestaltung laut Schacht “total wachstumsfeindlich” sei, bis hin zu neuen Anlagechancen für Pensionskassen. Der große Wurf wäre freilich ein neu zu gründender Innovationsfonds, wie es ihn schon in Großbritannien und Frankreich gebe (vgl. BZ vom 5. Dezember). “1 % für die Zukunft” lautet ein ähnlicher Vorschlag der Berater von EY, mit dem sie erreichen wollen, dass private und institutionelle Investoren in offene Hightech-Eigenkapitalfonds anlegen – um im Gegenzug beim erhofften Gewinn von der Kapitalertragsteuer befreit zu werden. Für Versicherungen wären Ausnahmeregelungen denkbar. Zertifiziert würden die Fonds durch die KfW. Hopp, Oetker & CoDoch nicht immer sind nur andere schuld: “Wir brauchen in Deutschland Erfolgsstorys”, gibt sich Schacht selbstkritisch. “Da müssen wir uns auch an die eigene Nase fassen.” Morphosys etwa sei eine “Riesenerfolgsgeschichte. Das im TecDax gelistete und inzwischen fast 2,3 Mrd. Euro schwere Biotech-Unternehmen vervierfachte seinen Kurs in den vergangenen zweieinhalb Jahren – nach einer langen Durststrecke zuvor.Diese lange Geduld haben hierzulande aber nur ganz wenige. Ohne den SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp oder die Hexal-Gründer Strüngmann ginge in Deutschland noch weniger. Allein diese beiden Familien hätten zusammen geschätzte 1,5 Mrd. Euro in Biotech-Unternehmen investiert, heißt es in der Branche – und damit die hiesige Biotechnologie “geprägt”, lobt Schacht. In kleinerem Umfang, aber dennoch wichtig, engagieren sich auch die Familie Putsch, der der Sitzhersteller Recaro gehört, sowie Roland Oetker, ein Neffe des Backpulver- und Pudding-Patriarchen Rudolf August Oetker.—-Zuletzt erschienen: – Fordern und fördern, 5.12.- Start-ups der Energiewende, 3.12.