Vier Energiekonzerne erfinden sich neu
Von Christoph Ruhkamp, DüsseldorfDeutschlands Energiekonzerne erfinden sich neu. Seit der Aufspaltung der beiden großen deutschen Versorger im Frühling – als Folge der Energiewende – und den anschließenden Börsengängen der Eon-Abspaltung Uniper und der RWE-Tochter Innogy im Herbst hat die Branche vier neue Spieler: Auf der einen Seite die Netzbetreiber Eon und Innogy, die neben den weitgehend im Voraus berechenbaren Einnahmen aus den staatlich regulierten Netzen ihr Geld auch mit dem Stromvertrieb und der Ökostromerzeugung verdienen. Auf der anderen Seite die beiden Kraftwerksbetreiber RWE und Uniper, die ganz überwiegend von den ständig schwankenden Preisen für Gas, Kohle und Strom abhängen. Enorme HerausforderungenAlle vier neu entstandenen Energiekonzerne stehen im kommenden Jahr vor enormen Herausforderungen – und nicht zuletzt vor der Frage, ob es angesichts der Dezentralisierung und Dekarbonisierung der Energiewirtschaft zu weiteren Abspaltungen oder dem Niedergang einzelner Unternehmen kommt.Stark unter Druck steht Eon. Der Börsenwert des noch 2008 mit 106 Mrd. Euro wertvollsten deutschen Dax-Konzerns hat sich allein in den letzten eineinhalb Jahren halbiert auf 13 Mrd. Euro. Um rund 23 Mrd. Euro musste das Unternehmen im Zuge der Abspaltung von Uniper vor allem den Wert des Kraftwerksparks nach unten anpassen. Das Eigenkapital schrumpfte zuletzt auf 430 Mill. Euro und könnte im Zuge weiterer Wertberichtigungen unter die Nulllinie sinken.Konzernchef Johannes Teyssen (57) und sein im Frühling 2017 neu antretender Finanzvorstand Marc Spieker (41) müssen nun dringend frisches Geld beschaffen. Bis Mitte 2017 soll Eon knapp 10 Mrd. Euro in bar an den staatlichen Fonds überweisen, der die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls übernimmt. Eine Bezugsrechtskapitalerhöhung, die der überraschend zu Siemens zurück wechselnde Eon-Finanzchef Michael Sen zur Finanzierung des Risikoaufschlags von 2 Mrd. Euro auf die Atommüll-Rückstellungen ins Spiel gebracht hatte, ist inzwischen vom Tisch. Eon erwägt PrivatplatzierungAber Kapitalmaßnahmen wie eine Privatplatzierung an ausgewählte institutionelle Investoren oder Wandelanleihen bleiben Optionen. Viele Alternativen gibt es nicht: Die verbliebene Eon-Beteiligung von 47 % an der abgespaltenen Kraftwerkssparte Uniper im Wert von gut 2 Mrd. Euro kann Eon aus steuerlichen Gründen erst ab 2018 zu Geld machen. Schon fordern aktivistische Investoren die Abtrennung und den Verkauf des Netzgeschäfts. Allerdings könnte das Bundesverfassungsgericht Anfang 2017 entscheiden, dass Eon rund 2,5 Mrd. Euro an bereits gezahlter Brennelementesteuer zurückerhält. Das würde dem Konzern eine finanzielle Atempause verschaffen.Auch der Konkurrent Innogy – im Oktober unter tosendem Applaus an die Börse gegangen – steckt in keiner einfachen Lage. Die Emission des Dividendentitels, der aufgrund des lukrativen und vorhersehbaren Netzgeschäfts üppige Ausschüttungen verspricht, hat zwar in Zeiten des Niedrigzinses viele Großinvestoren begeistert und war mit einem Erlös von 4,6 Mrd. Euro ein Glücksfall für Innogy und den Mutterkonzern RWE – und zugleich der weltweit zweitgrößte Börsengang im Jahr 2016. Doch seit dem Debüt im Oktober hat sich das Bild eingetrübt. Innogy unter KostendruckBesonders unangenehm für Innogy-Vorstandschef Peter Terium (53) ist der Wertverfall. Die Marktkapitalisierung des MDax-Konzerns ist in zwölf Wochen um rund 10 % gefallen – von 20 Mrd. Euro bei der Ausgabe der neuen Aktien auf jetzt zeitweise 18 Mrd. Euro. Auslöser für den Sturz war unter anderem die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Seither werden Zinserhöhungen erwartet – und damit wirkt die Dividendenrendite von Innogy weniger attraktiv auf Investoren als bisher. Auch das operative Geschäft ist schwieriger geworden: Gerade erst hat der Regulierer, die Bundesnetzagentur, den Netzbetreibern die Rendite ab 2018 gekürzt. Bei Innogy wird der operative Gewinn aus diesem Kerngeschäft, das 60 % der Profite liefert, deshalb um immerhin jährlich 80 Mill. Euro – von insgesamt 1,2 Mrd. Euro – geschmälert. Das verschärft den Sparzwang.Und in der Ökostromerzeugung werden die Aussichten ebenfalls schlechter: Ab 2017 kommt in der von Staatshilfe verwöhnten Branche erstmals das klassische Instrument der Marktwirtschaft zum Einsatz – die Ausschreibung. Wer einen neuen Wind- oder Solarpark betreiben will, muss neuerdings sagen, wie viel Aufschlag auf den Börsenstrompreis er benötigt. Der billigste Anbieter gewinnt die Auktion: In Dänemark bekam der schwedische Energiekonzern Vattenfall kürzlich den Zuschlag für einen Windpark in der Nordsee – mit weniger als 5 Cent pro Kilowattstunde Abnahmepreis. Damit können die wenigsten Unternehmen überhaupt noch Geld verdienen – ein schlechtes Zeichen für Innogy und andere Ökostromerzeuger.Noch weitaus düsterer sieht es jedoch für den Innogy-Mutterkonzern RWE aus. Der Börsenwert hat sich seit Frühling 2015 halbiert auf 6,6 Mrd. Euro – obwohl allein die Innogy-Beteiligung rund 13 Mrd. Euro wert ist. Das lässt nur einen Schluss zu: Die Investoren sehen den RWE-Kraftwerkspark einzig und allein als milliardenschwere Last an. Wie Eon muss auch RWE dringend Geld auftreiben für den staatlichen Atomfonds: Bis Mitte 2017 muss der Konzern 6,8 Mrd. Euro einzahlen. Zur Finanzierung steht RWE-Chef Rolf Martin Schmitz die 77 %-Beteiligung an Innogy zur Verfügung. Allerdings soll RWE langfristig die Mehrheit an Innogy behalten. Demnach können nicht mehr als weitere 27 % der Anteile verkauft werden. RWE vor BraunkohleausstiegDabei droht schon der nächste Kostenblock: der langfristig – wegen des Klimaschutzplans 2050 der Bundesregierung – unvermeidliche Ausstieg aus der Braunkohle. Wie teuer dies wird, darauf hat der Abschied von Vattenfall aus dem Tagebau in der Lausitz einen Vorgeschmack gegeben. Der schwedische Staatskonzern musste dem tschechischen Finanzinvestor EPH, der die Braunkohleaktivitäten erworben hat, noch einen Milliardenbetrag mit auf den Weg geben, damit der Deal zustande kam. Angeblich soll der RWE-Aktionär BlackRock, der größte Vermögensverwalter der Welt, schon den Verkauf der Braunkohleaktivitäten samt Tagebau im Rheinischen Revier vom RWE-Vorstand gefordert haben. Uniper hilft KapazitätsmarktFür RWE gibt es – ebenso wie für den von Eon abgespaltenen und im MDax notierten Konkurrenten Uniper – langfristig nur eine Hoffnung: Die Strompreise an der Börse müssen wieder steigen. Bisher konnten RWE und Uniper kaum ihre Kosten so schnell senken, wie die Preise fielen. Erst seit Februar 2016 sind die Preise von niedrigem Niveau um die Hälfte gestiegen – aber der “Dark Spread”, also das, was dem Erzeuger nach Abzug der Brennstoffkosten übrig bleibt, verbesserte sich nicht.Zusätzlich zu künftig wieder steigenden Strompreisen könnte die Einführung von Kapazitätsmärkten, wie es sie in England und Russland schon gibt, eine neue Erlösquelle für die alten Kraftwerke erschließen: Die Bereithaltung von Reservekraftwerken zum Ausgleich der Schwankungen in der Ökostromerzeugung aus Sonne und Wind wird dann vom Staat fest vergütet. Uniper-Chef Klaus Schäfer war gerade bei einer solchen Ausschreibung in Großbritannien erfolgreich. Der Börsenwert von Uniper ist seit dem Debüt im September auch schon um fast ein Viertel auf gut 4,5 Mrd. Euro geklettert. Bis es in Deutschland zur Einführung eines Kapazitätsmarkts kommt, ist aber noch eine längere Durststrecke zu überwinden.