Villeroy & Boch stemmt größte Übernahme in 275-jähriger Firmengeschichte
Villeroy & Boch übernimmt belgische Ideal Standard
Kaufpreis bei 430 Mill. Euro – Pro-forma-Umsatz steigt von knapp 1 Mrd. auf 1,7 Mrd. Euro – Kurs gibt um fast 7 Prozent nach
md Frankfurt
Der Badausstatter und Geschirrhersteller Villeroy & Boch stemmt die größte Übernahme in seiner 275-jährigen Firmengeschichte. Das Unternehmen mit Sitz im saarländischen Mettlach übernimmt für 428 Mill. Euro alle operativen Gesellschaften des Wettbewerbers Ideal Standard Group und verdoppelt dadurch den Umsatz im Geschäftsbereich Bad & Wellness (Waschbecken, Toiletten, Badarmaturen und -möbel, Bade- und Duschwannen) auf 1,4 Mrd. Euro. Inklusive des zweiten Geschäftsbereichs, Dining & Lifestyle (Geschirr, Bestecke, Vasen etc.), bedeute dies eine Steigerung der konzernweiten Erlöse auf mehr als 1,7 Mrd. Euro, teilt das Unternehmen mit. Im Geschäftsjahr 2022 waren rund 995 Mill. Euro umgesetzt worden. Der Kaufpreis, der sich nach Aussage des Vorstands in begrenztem Maße noch in beide Richtungen verändern kann, beruhe auf einer Unternehmensbewertung von rund 600 Mill. Euro.
Anchorage und CVC verkaufen
Verkäufer der Ideal-Standard-Anteile sind von der Anchorage Capital Group und von CVC Credit verwaltete Gesellschaften; auf Anchorage entfallen dabei 80%, auf CVC 20%. Villeroy & Boch wird die Transaktion eigenen Angaben zufolge aus vorhandenen liquiden Mitteln sowie mit Fremdkapital in Höhe von rund 250 Mill. Euro finanzieren. Eine entsprechende Brückenfinanzierung sei mit zwei Banken vereinbart worden, sagte Finanzvorstand Markus Warncke in einem Pressegespräch.
„Mit dem Zusammengehen werden wir nun im Badbereich auch umsatzmäßig zu den größten Akteuren auf dem europäischen Markt aufschließen“, sagte Frank Göring, Vorstandsvorsitzender von Villeroy & Boch, und nannte konkret die Firmen Grohe, Hansgrohe, Geberit und Roca. Beide Unternehmen ergänzten sich optimal in ihrer regionalen Präsenz, ihren Vertriebsstrategien und hinsichtlich ihres Produkt- und Markenportfolios, heißt es.
Wie aus einer Präsentation hervorgeht, sind sowohl Villeroy & Boch als auch Ideal Standard im Westen Kontinentaleuropas stark. Während aber die Saarländer darüber hinaus in der Schweiz, in Nordeuropa und Polen gut Geschäfte machen, hat Ideal Standard Standbeine auch in Großbritannien, Italien sowie in Saudi-Arabien und Ägypten. Außerdem "ist und bleibt Villeroy & Boch ein Dreistufler", wie Göring betonte; das heißt, das Unternehmen wird kein Direktgeschäft mit dem Endverbraucher – dem "gehobenen Privatkunden" – einführen. Dagegen ist Ideal Standard stark im Projektgeschäft (u. a. Gesundheitswesen, Hotel- und Gewerbeimmobilien) engagiert. „Durch unsere komplementären Stärken steigern wir unsere Wettbewerbsfähigkeit und verbessern unsere Ausgangsposition für zusätzliches Wachstum deutlich.“
Frank GöringIch freue mich schon auf den Wettbewerb mit Grohe und Hansgrohe.
Die Ideal-Standard-Gruppe bietet u. a. Armaturen für Küche und Bad an, die allein für einen Umsatz von 280 Mill. Euro sorgen. Bei Villeroy & Boch macht dieses laut Göring margenstarke Geschäft nur etwas über 50 Mill. Euro aus. Der künftige Produktmix werde deshalb deutlich ausgewogener sein als bisher, schloss Göring. „Ich freue mich schon auf den Wettbewerb mit Grohe und Hansgrohe.“ Einen Job-Abbau bei den weltweit etwa 7.000 Mitarbeitern von Ideal Standard werde es nicht geben. 2022 hatte das Unternehmen laut der Präsentation 737 Mill. Euro umgesetzt und ein bereinigtes Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 74 Mill. Euro erzielt.
Finanzchef Warncke führte aus, dass bereits die Unternehmensbewertung mit dem 8,1-Fachen des bereinigten Ebitda attraktiv sei. Bei den jüngsten vergleichbaren Übernahmen in der Branche habe das Multiple bis zu 12 betragen. Durch Synergieeffekte werde das Vielfache auf 5,5 sinken, so der CFO. Die Kosten- und Wachstumssynergien gibt Villeroy & Boch mit über 35 Mill. Euro an. Die Pro-forma-Verschuldung des Konzerns werde nach der Transaktion bei 1,8 liegen (Nettoverschuldung zu Ebitda). „Solange der Verschuldungsgrad unter 3 liegt, fühlen wir uns gut aufgehoben“, sagte Warncke.
Zweiter Anlauf
Villeroy & Boch war schon einmal nahe daran gewesen, Ideal Standard zu übernehmen. Anfang 2020 hatte das Unternehmen mitgeteilt, dass man den Erwerb des Herstellers von Badkeramik und Armaturen prüfe. Ein Jahr später, im März 2021, kam dann allerdings das vorläufige Aus des Übernahmeversuchs: Man habe den Plan, Ideal Standard zu übernehmen, aufgegeben, hieß es. Grund sei die Corona-Pandemie bzw. die damit verbundene große Unsicherheit im Markt gewesen, erklärte Göring nun, der betonte, dass Ideal Standard ihre Restrukturierung abgeschlossen habe und insofern der jetzige Zeitpunkt für eine Übernahme sogar günstiger sei. Unter anderem sei die Zahl der Produktionsstandorte von Ideal Standard in den vergangenen fünf Jahren von 15 auf acht reduziert worden.
Die Transaktion stehe unter dem Vorbehalt der üblichen regulatorischen Prüfungen und Genehmigungen sowie der erfolgreichen Ablösung der von Ideal Standard ausgegebenen Anleihe über 325 Mill. Euro, an der laut CFO Warncke aber kein Zweifel besteht. Im Gegensatz zu den üblichen Pensions- und weiteren Verpflichtungen aus dem operativen Geschäft sind die Anleihe und verschiedene Finanzverbindlichkeiten nicht Bestandteil der Transaktion. Das Closing werde für das erste Quartal 2024 erwartet.
Prognosen im Juli gesenkt
Mitte Juli hatte Villeroy & Boch wegen der rückläufigen Baukonjunktur in Europa die Umsatz- und Ergebnisprognose für 2023 gesenkt. Zuletzt war ein Erlösrückgang um 3 bis 6% (zuvor: „auf Vorjahresniveau“) im Vergleich zum Jahr 2022 avisiert worden, in dem 994,5 Mill. Euro erwirtschaftet worden waren. Beim operativen Gewinn (Ebit) wird nun ein Minus von 5 bis 10% (zuvor: „auf Vorjahresniveau“) gegenüber 96,8 Mill. Euro vorausgesagt.
Im ersten Halbjahr war der Umsatz den Angaben nach um 10,7% auf 437,8 Mill. Euro gefallen, das Ebit ging um 6,3% auf 38,7 Mill. Euro zurück. Das Marktumfeld bleibe weiter „von außergewöhnlich hoher Unsicherheit geprägt“, hatte Villeroy & Boch vor zwei Monaten mitgeteilt. „Dies betrifft vor allem die weitere Baukonjunkturentwicklung und die negativen Auswirkungen der weiter steigenden Zinsen auf die Investitionsbereitschaft.“ An dieser Einschätzung des Managements hat sich nichts geändert.
Von Villeroy & Boch in die Transaktion eingebundene Beratungshäuser waren gemäß der Mitteilung J.P. Morgan und Freshfields Bruckhaus Deringer.
Nur anfangs im Plus
Der Kurs der Villeroy-&-Boch-Vorzugsaktie schloss am Montag auf dem Tagestief von 16,90 Euro; ein Minus von 6,9%, dabei hatte die Notierung zu Handelsbeginn auf Xetra noch um 3% auf 18,70 Euro angezogen.