Vollvergrünter Fernverkehr

Von Ulli Gericke, Berlin Börsen-Zeitung, 24.10.2017 Um das Klima ging es gestern bei der Deutschen Bahn und um deren neue ehrgeizige Ziele. Doch mit keinem Wort wollte sich Bahn-Chef Richard Lutz zum innerbetrieblichen Klima äußern oder zum Klima...

Vollvergrünter Fernverkehr

Von Ulli Gericke, BerlinUm das Klima ging es gestern bei der Deutschen Bahn und um deren neue ehrgeizige Ziele. Doch mit keinem Wort wollte sich Bahn-Chef Richard Lutz zum innerbetrieblichen Klima äußern oder zum Klima zwischen Bahn und Politik, nachdem erst wenige Tage zuvor wegen politischer Streitigkeiten schon der zweite Versuch gescheitert war, den ausgedünnten Vorstand wieder auf Normstärke zu besetzen.Stattdessen ehrenwerte Werbung in eigener Sache: “Die Schiene ist per se immer grün”, lautet das Selbstverständnis der Bahner – und nach Lutz’ Plänen soll sie in den nächsten Jahren noch grüner werden. Den Anfang macht der Staatskonzern beim Fernverkehr, wo die Bahn ab 2018 auf “Vollvergrünung” setzt. Soll heißen: Ab Jahresbeginn fährt jeder der gut 140 Millionen Fernreisenden mit 100 % Ökostrom, ist also komplett klimaneutral unterwegs. Bisher galt dieses Versprechen nur für Bahncard-Kunden. In toto will die Bahn ihren klimaschädlichen CO2-Ausstoß bis 2030 um mindestens die Hälfte des 2006er Werts reduzieren, versprach Lutz wenige Wochen vor dem Weltklimagipfel in Bonn. Dort, wie auch hierzulande steht der Verkehrssektor kräftig in der Kritik, da Autos, Busse, Lkw, Bahnen und Schiffe im Vergleich zu 1990 so gut wie kein Treibhausgas eingespart haben.Selbst die global tätige Spedition Schenker mit ihren wenig umweltfreundlichen Lkws und Schiffs- und Flugzeugtransporten soll ihre CO2-Emissionen bis dahin um 40 % kappen. Zudem soll der Logistiker im nächsten Jahrzehnt nur noch CO2-frei wachsen. “Das ist ein großer Schritt auf dem Weg zum komplett klimaneutralen Konzern, der wir 2050 sein werden”, sagte der Bahn-Chef – womit dem Eigentümer Bund Vollzug signalisiert wird, will doch Berlin gemäß dem Pariser Klimaabkommen seine Wirtschaft bis 2050 dekarbonisieren. Es gehe um nichts weniger “als die Zukunft unserer nachfolgenden Generationen und den Schutz von Mutter Erde”, beteuerte Lutz.Aber nicht nur der Schienenfernverkehr soll vollgrün werden. Auch Regional- und Güterverkehr sollen zumindest grüner werden. Statt heute 42 % des genutzten Stroms sollen 2030 rund 70 % der elektrischen Energie aus erneuerbaren Energien stammen. Alle langlaufenden Verträge zum Bezug von Kohlestrom, die zum Teil bis über das Jahr 2030 hinweg gültig seien, sollen bei Fälligwerden durch Ökostrom ersetzt werden, lautet die Bahn-Strategie.Zugleich betont Lutz, dass dieser Schwenk zu dunkelgrün immer bezahlbar bleiben muss. Die bisherige Erfahrung zeige jedoch, dass viele Energiesparprogramme sich innerhalb kürzester Zeit amortisierten. “Ich bin überzeugt, dass Ökonomie und Ökologie zusammenpassen.”Tatsächlich sind die absoluten Zahlen weit weniger imposant, als der künftig vollvergrünte Fernverkehr vermuten ließe. Alle bisherigen Anstrengungen summierten sich seit 2013 auf rund 100 Mill. Euro Mehrkosten für Grünstrom aus Wind und Wasser, listet die Bahn auf. Pro Jahr schlägt dieser Zusatzaufwand also mit 25 Mill. Euro zu Buche – bei einer jährlichen Stromrechnung des Fernverkehrs von gut 360 Mill. Euro. Umgerechnet auf den Umsatz der weißen ICE- und IC-Flotte von knapp 4,2 Mrd. Euro im vergangenen Jahr machen die Stromkosten beachtliche 9 % aus. Die Mehrkosten für das gute grüne Gewissen bescheiden sich dagegen auf minimale 0,6 % – ziemlich wenig Aufwand für ziemlich viel gute Presse. Zudem schlägt die EEG-Umlage bei der Bahn mit jährlich 150 Mill. Euro ins Kontor – die bürokratische Förderung von Wind- und Solarstrom kostet also ein Vielfaches dessen, was die Bahn selbst praktisch umsetzt. ——–Die Deutsche Bahn mit der Tochter Schenker will bis zum Jahr 2050 klimaneutral sein.——-