AnsichtssacheAufsichtsratsstudie

Vom Ehrenamt zum Professional

Wachsende Pflichten und Anforderungen setzen Aufsichtsräte zunehmend unter Zugzwang, ihre Arbeit so zu organisieren, dass sie ihren Aufgaben gerecht werden können. Daher wird die Professionalisierung des Aufsichtsrats wichtiger denn je für den Unternehmenserfolg. Vieles von dem, was möglich wäre, wird noch nicht genutzt.

Vom Ehrenamt zum Professional

Ansichtssache

Vom Ehrenamt zum Professional

Daniela Favoccia

Die Arbeit des Aufsichtsrats befindet sich im Umbruch. Von Aufsichtsräten wird immer mehr gefordert; längst sind sie nicht mehr nur Kontrolleure, sondern zugleich Berater und Sparringspartner des Vorstands. Verschärfte Umweltgesetze, Compliance- und Qualitätsrichtlinien, immer schnellere Entwicklungszyklen, zunehmende Komplexität, disruptive Ereignisse in schneller Folge und damit einhergehende Haftungsrisiken werfen ein Schlaglicht auf die vielen Herausforderungen, mit denen Aufsichtsräte (ebenso wie Vorstände) heute wie selbstverständlich im Normalbetrieb konfrontiert sind.

Dieses Umfeld prägt die Arbeit der Aufsichtsräte und bestimmt ihre Agenda. Das unterstreicht die diesjährige Aufsichtsratsstudie von Hengeler Mueller in Zusammenarbeit mit dem Arbeitskreis Deutscher Aufsichtsrat (AdaAR e.V.).

ESG und Digitalisierung als zentrale Themen

Insgesamt ist festzustellen, dass drei Top-Themen für die Aufsichtsratsarbeit (Nachhaltigkeit / ESG, Digitalisierung und Geopolitische Unsicherheiten) in diesem Jahr mit marginalen Unterschieden in der Gewichtung gleichermaßen relevant sind und über den langfristigen Unternehmenserfolg entscheiden werden. 85% der befragten Aufsichtsräte erachten in diesem Jahr ESG und Nachhaltigkeitstransformation als das zentrale Thema auf ihrer Agenda. Mit 84% ordnen die befragten Aufsichtsräte jedoch auch weiterhin die Digitalisierung bzw. die digitale Transformation als bedeutsames Thema ein. Daneben bestimmen die weltweit fortbestehenden geopolitischen Unsicherheiten laut 82% der Befragten zufolge nach wie vor die Agenda. Das Thema Lieferketten bleibt 2023 ebenso relevant. Wenngleich diese inzwischen wieder stabiler sind und das Thema dementsprechend im Vergleich zum vergangenen Jahr geringfügig an Bedeutung verloren hat, beschäftigt es die Aufsichtsräte angesichts von Lieferengpässen und der Energiepreisentwicklung auch weiterhin (70% Relevanzquote im Jahr 2023 versus 79% in 2022).

Verändertes Anforderungsprofil

Die Aufstellung des Unternehmens für die Zukunft in einem sich rasch wandelnden Umfeld bedingt zudem ein verändertes Anforderungsprofil an die Gremiumsmitglieder. Besonderes Augenmerk wurde durch das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) und die Neufassung des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) 2022 auf die Erhöhung und Präzisierung der erforderlichen Finanzexpertise gelegt. Mit 81% sieht die Mehrheit der befragten Aufsichtsräte die erforderliche Finanzexpertise vor allem bei einer Berufserfahrung als Finanzvorstand als gegeben an. Auch wird im Hinblick auf das Fokusthema Nachhaltigkeit, das auch in den Kodex Einzug gefunden hat, die besondere Sachkunde hierzu im Aufsichtsratsgremium zunehmend zu einem festen Bestandteil. Während im vergangenen Jahr erst eine knappe Mehrheit mit 51% der Befragten das Kriterium in ihrem Unternehmen als erfüllt ansah, sind es in diesem Jahr bereits 69%. Insoweit kommt auch der Erarbeitung und Veröffentlichung einer entsprechenden Qualifikationsmatrix zur Umsetzung der Kompetenzprofile eine maßgebliche Bedeutung zu, wobei 56% angeben, hierbei bereits Erfahrungen zu haben. Dies ist ein positiver Trend und hilfreich. Bei der Besetzung von Aufsichtsräten sollte jedoch weiterhin nicht nur auf formale, in einer Qualifikationsmatrix darstellbare Kriterien geachtet werden. Ebenfalls berücksichtigt werden sollten Fähigkeiten, die einer tabellarischen Darstellung nicht oder nur eingeschränkt zugänglich sind (wie etwa Teamfähigkeit, unabhängiges Urteilsvermögen, unternehmerisches Denken, Fähigkeit zum Umgang mit Risiken etc.). Hierbei wird dem Nominierungsausschuss eine wichtige Rolle zukommen. Noch schlägt sich dies allerdings nicht in einer höheren Relevanzquote nieder: Nur knapp 30% der befragten Aufsichtsräte gaben an, dass die Bedeutung des Nominierungsausschusses zugenommen hat. Es ist deshalb zu begrüßen, dass immerhin 52% angaben, dass die Tätigkeit des Nominierungsausschusses vergütet wird, sei es durch eine klassische Vergütung oder jedenfalls durch Sitzungsgeld. Denn das ist ein Ausdruck dessen, dass die Arbeit ernst genommen wird.

Effizienzprüfung angeraten

Darüber hinausgehende Professionalisierungsaspekte, wie etwa die regelmäßige Überprüfung der Arbeits- und Entscheidungsprozesse der Aufsichtsräte, geraten aktuell ein wenig in den Hintergrund, wenngleich der Effizienzprüfung von den durchführenden Aufsichtsräten mit 72% Zustimmung eine hohe Bedeutung beigemessen wird. Der Umstand, dass diese erst nachgelagert den Weg auf die Agenda der Aufsichtsräte findet, mag auch damit zusammenhängen, dass in vielen Fällen gerade erst im entsprechenden Zyklus eine Selbstevaluierung des Aufsichtsrats stattgefunden hat.

Wachsende Pflichten und Anforderungen setzen Aufsichtsräte zunehmend unter Zugzwang, ihre Arbeit so zu organisieren, dass sie ihren Aufgaben gerecht werden können. Daher wird die Professionalisierung des Aufsichtsrats wichtiger denn je für den Unternehmenserfolg. Die Studie zeigt, dass hier vieles von dem, was möglich wäre, noch nicht genutzt wird. Die organisatorische Unterstützung des Aufsichtsrats durch das Einrichten eines eigenen Aufsichtsratsbüros wird bislang nur von rund einem Drittel genutzt. Ein Grund hierfür mag das fehlende Bewusstsein für die Vorteile eines solchen Aufsichtsratsbüros jenseits der Erledigung rein administrativer Aufgaben sein. Dazu passt es, dass trotz gewachsener Aufgaben für den Aufsichtsrat mit 76% eine deutliche Mehrheit noch über kein eigenes Budget verfügt.

Große Herausforderung

Es wäre zu begrüßen, wenn bei all diesen Punkten eine höhere Professionalisierung Einzug hielte. Denn das, was Investoren und Regulatoren von den Aufsichtsräten heute erwarten, und das, was so mancher Aufsichtsrat im aktuellen Set-up leisten kann, passt nicht mehr in vollem Maße zueinander. Das Aufsichtsratsamt ist längst kein reines Nebenamt mehr; benötigt werden sehr leistungsfähige und gut funktionierende Aufsichtsrats-Teams. Diese Transformation wird sicherlich eine der größten Herausforderungen für die Aufsichtsräte bleiben.

Dr. Daniela Favoccia ist Partnerin bei Hengeler Mueller in Frankfurt am Main, Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex sowie Mitglied des Aufsichtsrats der Sartorius AG.

Daniela Favoccia

Dr. Daniela Favoccia ist Partnerin bei Hengeler Mueller in Frankfurt am Main, Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex sowie Mitglied des Aufsichtsrats der Sartorius AG.

Wachsende Pflichten und Anforderungen setzen Aufsichtsräte zunehmend unter Zugzwang.