Vom Weltraumbahnhof Rostock in den erdnahen Orbit
Von Stefan Paravicini, BerlinDer Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat etwas mehr als 50 Jahre nach der ersten Mondlandung die Raumfahrtindustrie für sich entdeckt. Nachdem die Industrielobby bereits im vergangenen Jahr ein nationales Weltraum-Bergbau-Gesetz angeregt hatte und in diesem Frühjahr ein Grundsatzpapier zur Weltraumpolitik vorlegte, um Investoren und Unternehmen aus dem Sektor neue Impulse zu geben, erhöht der BDI jetzt das Tempo. Beim ersten Weltraumkongress des Industrieverbandes überreichte BDI-Präsident Dieter Kempf in der vergangenen Woche eine Weltraumerklärung mit acht Handlungsempfehlungen an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU).Unter den Top 3 der Empfehlungen aus der Industrie steht eine Erhöhung des nationalen Raumfahrtbudgets von 285 Mill. auf mehr als 700 Mill. Euro, womit sich Deutschland wieder auf Augenhöhe mit den französischen Nachbarn bringen würde. Außerdem regt die Industrie an, Deutschland als führenden Partner der USA bei der für 2024 geplanten Rückkehr zum Mond zu positionieren und bei dieser Gelegenheit eine deutsche Astronautin auf den Erdtrabanten zu bringen. Auf die größte Resonanz des Wirtschaftsministers stieß allerdings der Vorschlag, einen Weltraumbahnhof in Deutschland für den Start kleinerer Raketen zu bauen. “Allein SpaceX will in den nächsten Jahren für Starlink 12 000 Satelliten in den erdnahen Orbit bringen. Warum sollen wir davon nicht auch auf der Erde profitieren und einmal den Finger heben?”, fragte Kempf unter Verweis auf das Raketen-Start-up des US-Unternehmers Elon Musk.Sein portugiesischer Amtskollege sei bereits seit Monaten hinter ihm her, damit er einen “Microlauncher” auf den Azoren unterstütze, antwortete Altmaier. “Mein Haus schreibt mir seit Monaten auf, dass es weltweit zu viele Microlauncher gibt, die sich gegenseitig tottrampeln werden, und andere sagen mir, dass es mit dem Start und vor allem mit der Landung ausgebrannter Trägerraketen leichter wäre, wenn wir noch überseeische Gebiete hätten”, sagte der Minister gut aufgelegt an die Adresse des BDI-Präsidenten. Das alles heiße aber nicht, dass der Vorschlag des Verbandes nicht interessant und gut sein könnte.Die Prüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC zählt derzeit mehr als 100 Projekte, die Pläne für Microlauncher zum Start von kleineren Trägerraketen verfolgen. Zu den am weitesten fortgeschrittenen Projekten zählt die Partnerschaft des US-Rüstungskonzerns Lockheed Martin und des britischen Raumfahrt-Start-ups Orbex, die mit Unterstützung der britischen Regierung bereits 2020 einen Microlauncher in Schottland eröffnen wollen. Das Projekt Azores Micro Launcher (“Azul”) für einen Raumfahrtbahnhof auf der autonomen portugiesischen Inselgruppe wird ebenfalls von Orbex voran- getrieben, die zusammen mit der spanischen Elecnor Deimos im Auftrag der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA eine Machbarkeitsstudie erarbeitet hat und für Azul zu einer positiven Beurteilung gekommen ist. Die spanische PLD Space und die italienische Avio haben ähnliche Studien ausgearbeitet. MT Aerospace aus Augsburg hat ebenfalls im Auftrag der ESA unterschiedliche Konzepte und Standorte für einen Microlauncher gegenübergestellt. In Deutschland gelten der Militärflughafen in Nordholz und der Regionalflughafen Rostock-Laage als potenziell geeignete Standorte.Die wachsende Zahl solcher Projekte ist eng geknüpft an die rasant steigende Nachfrage nach flexiblen und günstigen Transportmöglichkeiten für Kleinsatelliten, die kommerziellen Betreibern zum Beispiel wichtige Daten für die Erdbeobachtung liefern oder wie im Falle von SpaceX und Starlink an jedem Ort der Welt eine Verbindung mit dem Internet sicherstellen sollen. Dafür sind zum Teil Satellitenkonstellationen mit mehreren hundert Satelliten nötig, die im Bedarfsfall auch schnell ersetzt werden müssen. PwC geht deshalb davon aus, dass die Zahl der Kleinsatelliten, die demnächst in den Orbit transportiert werden, bis 2027 auf mehr als 1 000 pro Jahr steigen wird (siehe Grafik). Microlauncher als Ergänzung Nicht alle Kleinsatelliten dürften von Microlaunchern transportiert werden. Gerade für Satellitenkonstellationen seien auch große Trägerraketen geeignet, gibt Andreas Hammer, Leiter Spacecraft Equipment von Airbus Defence and Space zu bedenken. Am Ende werde der Markt entscheiden, sagt auch Bulent Altan, Vorstandsmitglied der Münchner Mynaric, einem Hersteller von Laserkommunikationsgeräten für luft- und weltraumgestützte Kommunikationsnetze, der auch für SpaceX gearbeitet hat. Für die Kommerzialisierung mit schnelleren Starts und kürzeren Laufzeiten bis zur Platzierung im All seien Microlauncher unverzichtbar, sagt Sandra Schmidt aus dem Corporate Lending der Europäischen Investitionsbank (EIB). Mit Blick auf die Kosten pro Kilogramm der ins All transportierten Fracht böten sie gegenüber großen Trägerraketen bislang aber keinen Vorteil. Auch bei der EIB sieht man Microlauncher deshalb vor allem als ein ergänzendes Angebot.