Von einem fairen Zuckermarkt kann keine Rede sein
Südzucker und Nordzucker, die zu Zeiten der EU-Zuckermarktordnung zusammen einen Marktanteil von rund 40 % im Binnenmarkt hatten, machen in ihrem Kerngeschäft Verlust. Der Wegfall des EU-Regelwerks aus Quoten, Zöllen und Subventionen, vor allem aber neue staatliche Hilfen für Wettbewerber bereiten den beiden Zuckerproduzenten mehr Probleme als erwartet.Von Martin Dunzendorfer, FrankfurtDer Verfall der Zuckerpreise, hervorgerufen durch Überkapazitäten in der EU und auf dem Weltmarkt, hat die beiden deutschen Zuckerriesen in eine Krise gestürzt. Die börsennotierte, in Mannheim ansässige Südzucker und die nicht gelistete Nordzucker aus Braunschweig haben im Geschäftsjahr 2018/19 (28. Februar) in ihrem Kerngeschäft operativ (Ebit) jeweils Verlust gemacht, und beide Unternehmen erwarten auch in der laufenden Berichtszeit rote Zahlen.Die Ursache für das gegenwärtige Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ist schnell gefunden: Ende September 2017 lief die Europäische Zuckermarktordnung aus. Blauäugigkeit kann man den größten Branchenvertretern in der EU – Südzucker und Nordzucker hatten zu Zeiten des Quotenregelwerks Marktanteile von etwa 24 % und 15 % – allerdings nicht vorwerfen. Sie hatten sich schon vor Jahren auf schwierige Zeiten eingestellt. Nach dem Wegfall des EU-Regelwerks aus Produktionsquoten, Einfuhrzöllen und Subventionen, die dem Schutz der Produktion aus Zuckerrüben im Binnenmarkt dienten, würden die Preise unter Druck geraten; das war den europäischen Marktführern klar.Nach einigen Jahren aber, so die damalige Einschätzung von Branchenprimus Südzucker, sollten aufgrund einer Marktbereinigung – u.a. durch Ausscheiden nichtkonkurrenzfähiger Wettbewerber – die Ergebnisse wieder steigen. Danach sieht es aber auch gut 20 Monate nach Ende des stark regulierten Zuckermarktes in der EU nicht aus. Ein Grund hierfür sind die staatlichen Subventionen für Zuckererzeuger in anderen EU-Ländern, die dafür sorgen, dass auch wenig bis unrentable Unternehmen im Markt bleiben. Vorstände verärgert Die Vorstände von Südzucker und Nordzucker machten auf den jüngsten Bilanzpressekonferenzen ihrem Ärger über die finanziellen Unterstützungen Luft, die kleinere Anbieter in anderen europäischen Ländern – Nordzucker-Chef Lars Gorissen sprach von elf – in Form gekoppelter Beihilfen erhalten. “Da wird durch die Hintertür der Protektionismus wieder eingeführt”, sagte Gorissen.Zuvor hatten sich im Februar Vertreter der deutschen Zuckerwirtschaft mit der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner (CDU), zu einem Gespräch getroffen. Thematisiert wurden u.a. die Überkapazitäten, der Preisverfall und vermeintliche Verstöße gegen EU-Recht. Im Anschluss sagte Klöckner: “Die Situation darf nicht noch durch wettbewerbsverzerrende Maßnahmen anderer EU- und Drittstaaten, wie gekoppelte Direktzahlungen und Notfallzulassungen für Neonikotinoide, verschärft werden.”Neonikotinoide sind hochwirksame Insektizide, die als bienenschädlich gelten, aber demjenigen, der sie einsetzt, einen höheren Ertrag und damit einen Wettbewerbsvorteil versprechen. In bis zu 13 europäischen Ländern sind Notfallzulassungen für Neonikotinoide erteilt worden.In einigen Mitgliedstaaten werden gekoppelte Direktzahlungen bei Zuckerrüben von über 500 Euro je Hektar gewährt. Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen zulasten der deutschen Zuckerwirtschaft. Dabei sind gekoppelte Zahlungen in der EU nur unter Bedingungen zulässig. “Diese Auffälligkeiten müssen von der Kommission überprüft und angegangen werden”, sagte Klöckner, “denn wer EU-Recht einhält, darf nicht der Benachteiligte sein.”Der Nordzucker-Vorstand kritisierte zudem explizit die durch staatliche Subventionen geförderten Produktionssteigerungen in Indien und Thailand. So sei Indien im Zuckerwirtschaftsjahr 2018 erstmals zum größten Zuckererzeuger der Welt aufgestiegen (siehe Kasten auf dieser Seite). Erst an zweiter Stelle rangiert Brasilien, das dank seiner riesigen Zuckerrohrplantagen über viele Jahre vorn lag.Insbesondere durch die Subventionen in Europa wird ein Teil der Absichten, die mit dem Auslaufen der Zuckermarktordnung in der EU verknüpft waren, konterkariert. So sollte die Diskriminierung außereuropäischer Hersteller und die Einschränkung des internationalen Wettbewerbs enden. Dies wiederum sollte zu niedrigeren Zuckerpreisen führen, was den am Markt verbliebenen Zuckerproduzenten dank höherer Marktanteile aber dann weniger Kopfzerbrechen bereitet hätte. Durch die niedrigeren Preise und den Wegfall der Subventionen sollten zudem private und staatliche Haushalte entlastet werden. Schon vor Jahren hatte der Europäische Rechnungshof ermittelt, dass die Zuckermarktordnung zu einer Belastung der EU-Kasse von jährlich mehr als 6 Mrd. Euro führt.Durch den Wegfall der festgezurrten Quoten und Subventionen sollten mittel- bis langfristig nichtwettbewerbsfähige Zuckerproduzenten sowie unrentable Standorte in der EU aus dem Markt ausscheiden. Übrig blieben dann die effizientesten Erzeuger und Zuckerfabriken, die auch – so die Theorie – stark genug für den Wettbewerb mit außereuropäischen Anbietern wären. Diese haben wegen klimatischer Verhältnisse u.a. den Vorteil, Zucker nicht aus Rüben, sondern aus Zuckerrohr gewinnen zu können, was kostengünstiger ist. Allerdings kann die Qualität dieses Zuckers nicht mit der von Zucker, der aus Rüben gewonnen wurde, mithalten. Bei einem freien Spiel der Marktkräfte hätten die Verbraucher das Urteil darüber gesprochen, was in welchem Maße wichtiger ist: Preis oder Qualität. Angespanntes Verhältnis Mit der Kritik an staatlichen Beihilfen für Zuckerproduzenten in anderen europäischen Ländern enden die Gemeinsamkeiten von Südzucker und Nordzucker allerdings recht schnell – was zum ohnehin angespannten Verhältnis der beiden Konzerne passt. Vor einigen Jahren hatte das Bundeskartellamt wegen des Verdachts auf Preisabsprachen unter den drei großen deutschen Zuckerproduzenten ermittelt und sich dabei auf die Aussagen von Nordzucker gestützt – aus Sicht der Ermittler ein Kronzeuge, aus Sicht der beiden Konkurrenten ein Denunziant.Im Februar 2014 waren gegen Südzucker, Nordzucker und Pfeifer & Langen Bußgelder von insgesamt 280 Mill. Euro verhängt worden, wobei Südzucker mit knapp 196 Mill. Euro den Löwenanteil zu zahlen hatte. Die Mannheimer betonen in diesem Zusammenhang bis heute, dass der Vergleich kein Schuldeingeständnis gewesen sei. Nordzucker kam wegen der besonderen Rolle in der Untersuchung mit einem einstelligen Millionenbetrag davon.Strategisch marschieren die Erzrivalen teilweise in ganz unterschiedliche Richtungen. Vor dem Hintergrund der bestehenden Überkapazitäten und des Preisverfalls hat der Südzucker-Vorstand seine Strategie für das Segment Zucker angepasst. So schließt Südzucker fünf Fabriken und nimmt damit rund 700 000 Tonnen Zucker aus dem Markt. Der Einsparungseffekt könne sich in Abhängigkeit vom Weltmarktpreis auf bis zu 100 Mill. Euro jährlich belaufen.Ziel von Südzucker sei eine weiter hohe Auslastung der übrigen Zuckerfabriken. Zudem trage Südzucker durch die Schließung der Fabriken zum Abbau der Überproduktion bei, wie Vorstandschef Wolfgang Heer bei der Bilanzvorlage sagte. “Die anhaltend schwierige Situation zwingt uns zu drastischen Entscheidungen”, heißt es im Geschäftsbericht. “Weiteres Abwarten wäre im Interesse des Gesamtunternehmens nicht zu verantworten gewesen.”Zudem wurden Expansionsbestrebungen nach Nordafrika, den Nahen und Mittleren Osten sowie Brasilien aufgegeben. Südzucker werde ihre Produktion künftig stärker am europäischen Bedarf ausrichten, heißt es. Wenn die Nordbadener kaufen bzw. expandieren, dann vor allem im Konzernsegment Spezialitäten, zu dem mit der Tochter Freiberger einer der größten Pizzabäcker Europas gehört.Dagegen hält Nordzucker Kapazitäten vor und expandiert außerhalb Europas. Im Februar wurde mit dem Zuckererzeuger Mackay Sugar Limited (MSL) der Erwerb einer Beteiligung von 70 % vereinbart. Diese sichere Nordzucker einen substanziellen Anteil am australischen Markt – auf dem MSL der zweitgrößte Produzent sei – und den Zugang zum südostasiatischen Wachstumsmarkt.Nordzucker wird für die Beteiligung ein Eigenkapital von umgerechnet rund 38 Mill. Euro einbringen und ein Gesellschafterdarlehen in gleicher Höhe zur Verfügung stellen. Die Rohrzuckerproduktion ist wegen der Kostenstrukturen auch bei niedrigeren Zuckerpreisen profitabel, betont der Vorstand. MSL, ein nicht-börsennotiertes Unternehmen, ist für Nordzucker das erste Engagement im Zuckerrohrgeschäft, welches “konsequent ausgebaut werden” soll.Darüber hinaus hat auch der Nordzucker-Vorstand seine Strategie angesichts der Marktlage neu ausgerichtet. Wesentliche Elemente sind eine veränderte Vertriebsstrategie sowie die Anpassung von Prozessen und Strukturen. So werde mit einem lokalen Ansatz, der den besonderen Anforderungen der Kunden, die auf regional unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten beruhen, Rechnung getragen. Zudem sollen bis 2022/23 die Verwaltungskosten um 40 Mill. Euro gesenkt werden.Unterschiedlich ist auch die Dividendenpolitik von Südzucker und Nordzucker. Während die Mannheimer trotz des Nettoverlusts im Zuckergeschäft Dividendenkontinuität beweisen und immerhin 20 (i.V. 45) Cent pro Aktie auskehren, verzichten die Niedersachsen auf eine Ausschüttung (siehe Grafik). Wenig ZuversichtFür 2019/20 erwartet Südzucker im Kernsegment einen moderaten Umsatzrückgang, nach 2,59 (3,02) Mrd. Euro im letzten Geschäftsjahr. Operativ wird mit einem Verlust von 200 Mill. bis 300 Mill. Euro gerechnet. Nordzucker geht für das Gesamtjahr von einem “erheblichen negativen Ebit” im Konzern aus. CEO Gorissen betonte jedoch, dass der stetig wachsende Weltzuckermarkt mittelfristig wieder bessere Preise verspreche. Auch da unterscheidet man sich von Südzucker: Die Mannheimer verbreiteten zuletzt auch auf mittlere Sicht wenig Optimismus.