Von Kartoffel- und Computerchips
Von Stefan Paravicini, New YorkOb man Kartoffelchips oder Computerchips herstellt, macht für die Wirtschaft keinen Unterschied, soll Michael Boskin als Wirtschaftsberater des ehemaligen US-Präsidenten George H.W. Bush einmal gesagt haben. Christina Romer, eine Beraterin des damaligen US-Präsidenten Barack Obama, schlug noch 2012 ähnliche Töne an. Die Industriepolitik dürfe sich nicht von “dem Gefühl” leiten lassen, dass es wertvoller sei “wirkliche Dinge” statt Dienstleistungen herzustellen. Hinter beiden Positionen steckt die Überzeugung, dass Globalisierung und freier Handel auch dann Vorteile für alle schaffen, wenn Länder wie China sich zur Werkbank der Welt wandeln, während andernorts Service- und Wissensarbeiter das Bild bestimmen. Huawei treibt Washington umHeute werden nicht nur im Weißen Haus andere Töne angeschlagen. Die Hackordnung bei Zukunftstechnologien wie Chips für Netzwerktechnologie als Grundlage des neuen Mobilfunkstandards 5G, mit dem die Hoffnung auf Durchbrüche bei Innovationen wie dem autonomen Fahren verknüpft sind, geht vor Kartoffelchips. “America first”, lautet die Losung in Washington, mit der die US-Regierung vor allem China zu Leibe rückt. Statt freiem Handel will US-Präsident Donald Trump fairen Handel, was nach seiner Lesart bedeutet, dass das Handelsdefizit mit China reduziert werden muss. Doch selbst wenn sich die beiden größten Volkswirtschaften nach der jüngsten Annäherung im neuen Jahr soweit verständigen sollten, dass die 2018 eingeführten Strafzölle zwischen ihnen wieder komplett abgeräumt werden, wird der Kampf um die Vorherrschaft im Technologiesektor weitergehen.Anfang Dezember hat der Konflikt zwischen den USA und China auf diesem Feld seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die kanadischen Behörden verhafteten auf Drängen der US-Regierung die Finanzchefin von Huawei, dem weltweit führenden Netzwerkausrüster aus China. Als Grund wurden Verstöße gegen Iran-Sanktionen angeführt. In China wertete man die Festnahme als gezielten Angriff auf einen technologischen Vorzeigekonzern aus der Volksrepublik, der im Regierungsprogramm “Made in China 2025” eine wichtige Rolle spielt und mittlerweile auch US-Chipherstellern wie Intel, Nvidia oder Qualcomm Konkurrenz macht. Wenige Tage vor der Verhaftung hatte das britische Magazin “Economist” mit hellseherischer Klarheit den “Chip-Krieg” auf die Titelseite gehoben. Bereits im Frühjahr war ZTE, ein chinesischer Konkurrent von Huawei, in Washington in Ungnade gefallen und musste eine Milliardenstrafe zahlen sowie das Management umbauen, um den Zugang zum existenziell wichtigen Beschaffungsmarkt USA offen zu halten.Ein Problem im Kampf um die technologische Vorherrschaft mit China ist, dass das Land für viele Unternehmen der Branche längst wichtige Vorleistungen übernommen hat. Eine Rückverlagerung der Wertschöpfungskette, wie sich das die US-Regierung wünscht, ist im Hochtechnologiesektor noch einmal komplizierter als in anderen Bereichen der industriellen Fertigung. Denn China hat längst mehr zu bieten als günstige Arbeitskraft und punktet bei Hardware mit ähnlichen Netzwerkeffekten, wie das Silicon Valley bei Software. Mehr als die Hälfte der Produktionskapazität für Elektronikkomponenten sind nach Einschätzung von Marktbeobachtern heute in China zu finden. Hier werden mehr als die Hälfte aller Smartphones gebaut und fast alle Platinen, die im Herzen jedes elektronischen Gerätes stecken. 357 Produktionsstätten der größten 200 Zulieferer von Apple stehen in der Volksrepublik, während sich 63 in den USA befinden. Das wird sich nicht so bald ändern, weil Asien zu den am schnellsten wachsenden Absatzmärkten gehört.Das Design der leistungsfähigsten Halbleiter kommt zwar immer noch aus den USA und China muss immer noch mehr Computer- als Kartoffelchips importieren. Doch Konzerne wie Huawei holen rasant auf. US-Technologiefirmen haben derweil bereits gewarnt, dass die USA wegen der Importzölle auf Elektronik aus China den größten Schaden nehmen könnten, weil etwa die Kosten für den Aufbau von 5G-Netzen höher ausfallen werden, was den Ausbau verzögern dürfte, während China hier volles Tempo geht. Das gefährdet mittel- und langfristig nicht nur die technologische Vorherrschaft, sondern auch die militärische Alleinstellung der USA.