IM GESPRÄCH: STEFFEN SALVENMOSER

"Von wem soll das Geld kommen?"

Experte für Wirtschaftsstrafsachen macht klagenden Wirecard-Geschädigten wenig Hoffnung auf hohen Schadenersatz

"Von wem soll das Geld kommen?"

Geschädigte Aktionäre und Anleihegläubiger von Wirecard erhoffen sich eine Kompensation ihrer Verluste auf dem Klageweg. Steffen Salvenmoser, Anwalt und viele Jahre Experte für forensische Untersuchungen beim Prüfungs- und Beratungsunternehmen PwC, sieht wenig Chancen für hohe Entschädigungen. Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung erläutert er seine Einschätzung zum Wirecard-Skandal und brandmarkt die Mandantensuche mancher Kanzlei als unseriös.Von Sabine Wadewitz, FrankfurtDie Klagewelle baut sich auf. Unmittelbar nach der Pleite von Wirecard infolge mutmaßlicher Bilanzfälschungen haben die ersten Kanzleien rechtliche Schritte gegen den Zahlungsdienstleister angekündigt und Anleger umworben, sich “Sammelklagen” auf Schadenersatz anzuschließen. Rasch wurden die Vorwürfe auf die verantwortlichen Mitarbeiter des Abschlussprüfers EY und die frühere Vorstandsriege des Dax-Konzerns ausgeweitet. Inzwischen sind die ersten Amtshaftungsklagen gegen die BaFin eingereicht worden. Die Kanzlei Tilp unterstellt einen “jahrelangen Amtsmissbrauch der BaFin” und hat beim Oberlandesgericht Frankfurt Antrag auf Einleitung eines Kapitalmusterverfahrens gestellt.Steffen Salvenmoser sieht berechtigte Interessen der Anleger, hält das Vorgehen verschiedener Kanzleien jedoch für eigennützigen Aktionismus und teilweise sogar für unseriös, wie er im Gespräch mit der Börsen-Zeitung erläutert. Der Anwalt arbeitet inzwischen in eigener Kanzlei und war in der Vergangenheit Richter und Staatsanwalt für Wirtschaftsstrafsachen, bevor er mehr als 20 Jahre als Partner im Prüfungs- und Beratungsunternehmen PwC für forensische Untersuchungen zuständig war. Unter anderem hat er den Insolvenzverwalter einst dabei unterstützt, den Betrug beim Spezialbohrmaschinen-Konzern Flowtex aufzuklären.Im Zivilprozess müssen die Kläger ihren Anspruch selbst beweisen, juristisch gilt der Beibringungsgrundsatz. Die Parteien sind gefordert, alle relevanten Tatsachen vorzubringen, auf deren Grundlage das Gericht dann entscheidet. Dies ist aus Sicht von Salvenmoser beim jetzigen Informationsstand über Wirecard noch nicht möglich. “Um vor Gericht darzulegen, welche Ansprüche gegen wen bestehen, sind viel mehr Einblicke in die Vorgänge bei Wirecard nötig”, meint der Anwalt. Auf dem derzeitigen “volatilen” Kenntnisstand könne eine Klage nicht fundiert formuliert werden. “Steile Aussage” des PrüfersNach seiner Einschätzung sind zuletzt viele Nebenkriegsschauplätze eröffnet worden, wenn zum Beispiel im Kreis der Bundesregierung Verantwortliche gesucht würden. Damit werde von zentralen Punkten abgelenkt. Für Salvenmoser steht vor allem die Frage im Raum, weshalb der Wirtschaftsprüfer über viele Jahre nichts von den mutmaßlichen Betrügereien gemerkt haben will. Er wundert sich über Äußerungen aus der Branche, wonach es nicht zur Aufgabe des Abschlussprüfers gehöre, Betrug aufzudecken. EY hatte in einem Statement zu Wirecard bekundet, “auch mit umfangreich erweiterten Prüfungshandlungen ist es unter Umständen nicht möglich, diese Art von konspirativem Betrug aufzudecken”. “Das ist eine steile Aussage”, findet Salvenmoser. Ein eigener Prüfungsstandard schreibe vor, was der Prüfer zu tun habe, um Unregelmäßigkeiten aufzudecken.Er zieht Parallelen zum Skandal-Fall Comroad, dem hoch gehypten Telematikanbieter im Neuen Markt, der zeitweise fast 100 % des Umsatzes erfunden hatte: “Hätte man damals richtig hinter die Kulissen geguckt, hätte man merken müssen, dass es alles Fantasie war.”Er kann das Verhalten der Abschlussprüfer aber in gewissem Umfang nachvollziehen, denn der Prüfer habe sich bei Wirecard immer in der Gefahr sehen müssen, womöglich den “Tech-Star Deutschlands zu killen”. Das wage man nur, wenn man sich absolut sicher über mögliche Vergehen sei. Mancher Prüfer drücke bei einem autokratisch agierenden Mandanten womöglich ein Auge zu und zügle sich mit allzu kritischen Fragen, wenn es ein Dax-Mandat zu verlieren gilt. Ein Prüferwechsel, ein neuer unverstellter Blick ins Unternehmen hätte nach Meinung von Salvenmoser indes durchaus die Chance geboten, dem Treiben von Wirecard früher Einhalt zu gebieten. Doch das hat der Aufsichtsrat nicht veranlasst. “Plumpe Methode”Natürlich sei man hinterher immer schlauer. Aber dass der Prüfer “die erstaunlich plumpe Methode” durchgehen ließ, dass Wirecard mutmaßlich 1,9 Mrd. Euro Cash kreierte, indem ein Treuhandkonto eingerichtet wurde, sei kaum nachzuvollziehen. Im Sonderbericht der KPMG seien von außen betrachtet “so viele unglaubliche Implausibilitäten zutage getreten, dass sie viel früher hätten ins Auge fallen müssen”, meint Salvenmoser. “An Vermögenswerten, also Assets zu drehen” sei im Übrigen ein gängiges Betrugsmuster und in diesem Fall relativ einfach, wenn man dafür als Nachweis nur Saldenbelege von Treuhandkonten benötige.Schon 2018 habe Wirecard 1 Mrd. Euro als Guthaben auf Treuhandkonten angegeben. Der Abschlussprüfer habe sich zu vergewissern, dass diese Assets, die einen Großteil des Vermögens ausmachten, tatsächlich vorhanden sind, mahnt Salvenmoser. “Je mehr Hinweise es auf zweifelhafte Buchungen gibt, umso genauer muss der Prüfer hinschauen.” Wenn EY als Abschlussprüfer ähnlich unbefriedigende Antworten von Wirecard erhalten habe, wie KPMG es für sich in der Sonderuntersuchung darstellt, müsse man fragen, wieso der Abschluss 2018 testiert worden sei.Schadenersatzansprüche von Anlegern gegen EY hält Salvenmoser insgesamt für wenig erfolgversprechend. Er verweist auf zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach eine Haftung des Wirtschaftsprüfers gegenüber Dritten für das Ergebnis einer Pflichtprüfung im Normalfall ausscheide. Nur wenn vom Prüfer gerade im Interesse eines Außenstehenden eine besondere Leistung erwartet werde, die über die gesetzlich vorgeschriebene Pflichtprüfung hinausgehe, komme laut BGH eine Haftung in Betracht (BGH III ZR 256/04 vom 6. April 2006 und BGHX ZR 283/02 vom 8. Juni 2004). Anleger hätten in den Fällen den Abschlussprüfer verklagt, weil die Ertragskraft eines Unternehmens aufgrund von Scheingeschäften zu günstig dargestellt worden sei. “Der BGH hat eine Haftung mit dem Verweis auf die gesetzliche Haftungsbeschränkung in diesen Fällen verneint.” Gegenüber dem Unternehmen gibt es überdies eine gesetzliche Haftungsbeschränkung des Prüfers von 4 Mill. Euro. Eine andere Situation könnte sich ergeben, wenn der Prüfer nachweislich an dem mutmaßlichen Betrug mitgewirkt hätte. “Daraus ergäbe sich ein direkter Anspruch gegen den Abschlussprüfer”, erklärt der Anwalt.Salvenmoser macht klagenden Investoren insgesamt wenig Hoffnung auf hohe Entschädigungszahlungen. “Von wem soll das Geld kommen?”, fragt er. Von der Gesellschaft werde kaum etwas zu holen sein, im Insolvenzverfahren seien die Aktionäre als nachrangige Gläubiger sowieso ganz hinten angesiedelt. Auch von den handelnden Personen bei Wirecard sei wenig zu erwarten, sofern sie überhaupt alle wieder auftauchten. Druckmittel aus StrafprozessUm sich zu munitionieren, rät der Anwalt den Klägern im Zivilprozess, die Akten aus dem Strafverfahren einzusehen. Daraus ergäben sich vermutlich zahlreiche neue Informationen, um die Anspruchsgrundlage für die Schadenersatzforderungen zu untermauern. Sobald die Staatsanwaltschaft die Klage eingereicht habe, gebe es mehr Klarheit über die Beschuldigungen. Es sei zudem oft in Strafverfahren zu beobachten, dass Angeklagte Wiedergutmachung versprechen, um das Strafmaß zu reduzieren. Auch das gebe den Zivilklägern mehr Macht, ihre Schadenersatzforderungen durchzusetzen. Denn nur mit einer tatsächlichen Zahlung lässt sich die Reumütigkeit belegen.Viele Kanzleien sind im Fall Wirecard aus seiner Sicht mit Anlegerklagen “wie im Windhundrennen” losgeprescht – “vor allem aus Marketinggründen, um möglichst viele Mandanten anzuwerben und Anwaltsgebühren einzusammeln”. Es sei zwar nicht vergleichbar mit den USA, denn dort würden Anwälte in Sammelklagen erfolgsabhängig vergütet, aber auch hierzulande erkennt Salvenmoser die Anfänge einer Klageindustrie. “Es macht auch in Deutschland einen Unterschied, ob ich 100 Mandanten eine Rechnung schicke oder 2 000.”