KOHLEKOMPROMISS

Vor Kohleausstieg kommt für Bahn der Kohleeinstieg

Von Stefan Paravicini, Berlin Börsen-Zeitung, 17.1.2020 Die Deutsche Bahn (DB) wirbt offensiv damit, dass ihre Züge im Fernverkehr innerhalb Deutschlands zu 100 % mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden. Erst vor wenigen Tagen hat...

Vor Kohleausstieg kommt für Bahn der Kohleeinstieg

Von Stefan Paravicini, BerlinDie Deutsche Bahn (DB) wirbt offensiv damit, dass ihre Züge im Fernverkehr innerhalb Deutschlands zu 100 % mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden. Erst vor wenigen Tagen hat Infrastrukturvorstand Ronald Pofalla stolz verkündet, dass der Anteil der Erneuerbaren am Strommix über alle Verkehrssparten der Bahn im vergangenen Jahr erstmals oberhalb von 60 % gelegen hat. Im Vergleich mit 2018 ist das noch einmal eine Steigerung um rund 3 Prozentpunkte. Im Jahr 2017 hatte der Anteil noch bei 44 % gelegen. Bis 2038 soll der gesamte Bahnstrom grün sein. Im Jahr 2050 will der Staatskonzern im Einklang mit den Klimazielen der Bundesregierung über alle Unternehmensbereiche hinweg klimaneutral unterwegs sein.Mit dem Kompromiss über den Kohleausstieg zwischen Bund, Ländern und Energiekonzernen steht der betont klimafreundlichen Bahn jetzt allerdings erst einmal eine Art Wiedereinstieg bevor. Denn Uniper, der Betreiber des Steinkohlekraftwerks Datteln 4, das im Rahmen des Kohlekompromisses nun doch noch ans Netz gehen und erst 2038 abgeschaltet werden soll, kann auf einen langfristigen Abnahmevertrag mit der Bahn pochen und dürfte ab dem Sommer rund 400 Megawatt (MW) Leistung für den Zugverkehr bereitstellen. Der Anteil der Steinkohle am Energiemix der Bahn, der 2018 bei rund 18 % lag, dürfte damit auf Jahre hinaus hoch bleiben. Die Braunkohle stand nach Angaben der Bahn zuletzt für 7 %, Erdgas und Atomenergie für 8 % und 9 % des Strommix.Im Bahntower in Berlin hält man dennoch an den bisherigen Zielen fest. Der Anteil der erneuerbaren Energien werde in den kommenden Jahren weiter erhöht und bis 2038 auf 100 % steigen, heißt es auf Anfrage. Datteln 4 wirft dennoch einen Schatten. So sollen die Erneuerbaren im nächsten Jahr im Vergleich zu 2019 nur 1 Prozentpunkt auf 61 % des Strommix zulegen, wie die Bahn mitteilt. Für 2020 wird kein konkretes Ziel genannt.Der Fahrgast im ICE muss sich um Datteln 4 keine Sorgen machen. Der Ökostromanteil des DB-Fernverkehrs sei davon nicht berührt und bleibe bei 100 %, heißt es bei der Bahn. Um diesen Bedarf mit Ökostrom zu decken, strukturiere die Tochter DB Energie das Kraftwerks- und Vertragsportfolio der Bahn um. Auslaufende Kraftwerksverträge, die auf konventionellen Energieträgern basieren, würden durch “grüne Verträge” ersetzt. Auch Fotovoltaik und Windenergie sollen künftig eine größere Rolle spielen. So wurde erst kürzlich eine Vereinbarung über die Lieferung von grünem Strom aus dem Offshore-Windpark Nordsee Ost unterzeichnet, der ab 2024 Ökostrom an die Bahn liefert.Trotz der Bemühungen um einen grüneren Strommix basiert das Versprechen einer komplett mit Ökostrom betriebenen ICE-Flotte schon heute auf einer buchhalterischen Größe. So kauft die Bahn den grünen Bahnstrom in den für den Fernverkehr erforderlichen Mengen zu. Färbt sich der Strommix zum Beispiel wegen der Inbetriebnahme von Datteln 4 ein, bedeutet die Werbekampagne für den grünen ICE im Umkehrschluss aber, dass der Regionalverkehr klimaschädlicher als bisher unterwegs sein muss. Datteln 4 könnte nach Schätzungen demnächst bis zu ein Viertel des Bahnstroms für die DB liefern.——Die klimafreundliche Schiene gehört künftig zu den größten Kunden von Datteln 4.——