Vossloh steht kurz vor Verkauf des Lokomotivgeschäfts
Herr Schuster, ausgehend von einem Zwischenhoch im Herbst 2015 hat die Vossloh-Aktie mehr als 40 % an Wert eingebüßt. Woran liegt das?Was wirklich auf der Aktie lastet, ist der noch nicht vollzogene Verkauf von Vossloh Locomotives. Hier sind wir einfach zu spät. Die Entscheidung, sich auf Bahninfrastruktur zu konzentrieren, war und ist richtig. Dadurch standen drei Einheiten zum Verkauf. Zwei davon haben wir erfolgreich veräußert. Haben Sie nicht auch falsches Erwartungsmanagement betrieben?Im Abschluss 2017 haben wir das Lokomotivgeschäft in die nicht fortgeführten Aktivitäten umgegliedert. Damit haben wir unsere Zuversicht signalisiert, das Geschäft binnen zwölf Monaten zu verkaufen. Seit dem 31.12.2018 sind wir so gesehen im Verzug. Das liegt daran, dass das Geschäft, das seit 15 Jahren Verluste schreibt, ein Nischengeschäft ist und mit erheblichen Garantien verbunden ist. Wir fertigen Rangierloks für einen auch geografisch sehr begrenzten Markt. Wie gehen Sie jetzt weiter vor?Wir haben uns alle vorgestellt, das Geschäft schneller zu verkaufen. Inzwischen sind wir aber weit fortgeschritten und rechnen kurzfristig mit der Unterzeichnung der Verträge. Wir haben einen komplett ausverhandelten Vertrag. Ich freue mich aber erst, wenn die Tinte unter den Verträgen trocken ist. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es ist weder Unwille noch Unvermögen, das Geschäft zu verkaufen, sondern es ist wirklich eine harte Nuss. Haben Sie den Buchwert von Vossloh Locomotives schon auf null abgeschrieben?Nein, wir haben bereits sämtliche langfristigen Vermögenswerte abgeschrieben. Wir gehen beim Verkauf aber von einem weiteren Buchverlust aus. Können Sie dazu eine Hausnummer nennen?Nein. Aber die Buchverluste werden uns nicht in Schieflage bringen. Unsere Bilanz ist stark, wir werden auch das laufende Restrukturierungsprogramm gut verkraften. Wir haben hohe Gewinnvorträge und Rücklagen. Unser Eigenkapital von rund 530 Mill. Euro schmilzt allerdings ein wenig ab. Mit dem Verkauf des Lokomotivgeschäfts trennen Sie sich von Verlusten. Befreien Sie sich darüber hinaus auch von Schulden?Nein. Wir finanzieren unsere Geschäftsfelder überwiegend intern. Wir verkaufen cash- und schuldenfrei. Sie haben im April ein Effizienzprogramm aufgesetzt. Den damit im Zusammenhang stehenden Aufwand wollen Sie 2019 verbuchen. Im ersten Halbjahr belief sich der Aufwand dafür auf 7 Mill. Euro. Was kommt im zweiten Halbjahr dazu?Die Aufwendungen im ersten Halbjahr beziehen sich fast ausschließlich auf den Stellenabbau. Wir hatten kommuniziert, dass wir damit etwa ein Drittel des avisierten Stellenabbaus abdecken. Ist es zulässig, die 7 Mill. Euro hochzurechnen?Das wird ein wenig schwanken, denn es kommt auch auf den Ländermix und die Betriebszugehörigkeit der betroffenen Menschen an. Ich würde sagen, bis zu 25 Mill. Euro ist eine realistische Größenordnung. Was kommt außer dem Stellenabbau noch dazu?Unser Effizienzprogramm hat fünf Stoßrichtungen: den Stellenabbau, die Working-Capital-Optimierung, eine Selbstbeschränkung auf der Investitionsseite, die Reduktion der Gemeinkosten – also ganz klassisch beispielsweise Videokonferenzen statt Flüge in der Business Class. Der fünfte und in meinen Augen wichtigste Punkt ist die Trennung von verlustbehafteten Aktivitäten. Denn auch in unserem Kerngeschäft haben wir eine Reihe von Aktivitäten, mit denen wir seit Jahren zu wenig Geld verdienen. Wir haben vor vielen, vielen Jahren entschieden, in bestimmte Länder zu gehen. Dort wurden Fabriken gebaut und Menschen angestellt oder Unternehmen erworben, zum Teil in Joint Ventures investiert – gutes Geschäft wurde damit jedoch nicht in allen Fällen gemacht. Diese Dinge müssen aufgeräumt werden, sie kosten nämlich jedes Jahr Geld. Was verstehen Sie dabei unter aufräumen?Wir werden uns von einzelnen Gesellschaften trennen. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Geschäfte, die wir verkaufen wollen, auch verkaufen werden. Werden wir dabei Buchverluste realisieren? Dies ist nicht auszuschließen, aber auch die können wir in unserer Bilanz sehr gut verkraften. Können Sie die erwarteten Buchverluste schon 2019 realisieren, wenn die Geschäfte erst 2020 veräußert werden?Wir werden die Geschäfte in diesem Jahr entweder verkaufen oder die Aktivitäten einstellen. Um welche Größenordnung geht es dabei? Sie haben ja auch Standortschließungen angekündigt.Wir konsolidieren heute um die 60 Gesellschaften. Im Zentrum der Verkaufsüberlegungen stehen im Wesentlichen Teile des weltweit aktiven Geschäftsbereichs Customized Modules, die seit geraumer Zeit Verluste machen. Können Sie eine Größenordnung nennen?Es geht um eine einstellige Zahl. Es handelt sich zumeist um kleine Gesellschaften, das heißt der Verkauf ist nicht mit riesigen Umsatzeinbußen verbunden. Mit Standortschließungen ist auch Stellenabbau verbunden. Sind diese Stellen in dem angekündigten Abbau von 5 % der Belegschaft schon enthalten?Nein. Unsere Rechnung geht so: Wir starten bei etwa 4 000 Beschäftigten. Wir werden uns von etwa 400 Mitarbeitern über den Verkauf der verlustbehafteten Aktivitäten trennen. Die 5 % beziehen sich auf den Rest, wir sprechen also von einem Abbau von etwa 180 Beschäftigten. Plus die 400.Ein Großteil dieser Stellen fällt nicht weg, sondern besteht idealerweise bei anderen Eigentümern fort. Die Beschäftigten von Locomotives sind in den 400 nicht enthalten. Wie viele Leute sind dort noch beschäftigt?Locomotives hat heute etwa 500 Beschäftigte. Die verlieren aber nicht ihre Arbeit; ihre Arbeitsplätze gehen auf den Erwerber über. Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir das Geschäft in gute Hände geben wollen, die das Geschäft fortführen. Es werden zwar Verluste geschrieben, aber die Gesellschaft hat das beste Produkt, das es im Markt gibt. In Europa ist Vossloh Locomotives nahezu konkurrenzlos. Mangels Größe – Vossloh Locomotives verkauft jährlich nur rund 35 Lokomotiven – fehlt jedoch die finanzielle Kraft, die nächste Technologiegeneration zu entwickeln. Das Asset ist das Know-how auf der Engineering- und auf der Zulassungsseite. Wenn jemand das Geschäft kauft, der jährlich 1 000 oder mehr Lokomotiven baut, dann hat der schon die nächste Technologiegeneration entwickelt und kann dieses Know-how für kleines Geld auf die Kieler Gesellschaft übertragen. Kommen wir noch einmal zu den verlustbringenden Aktivitäten. Wie lange sind diese Geschäfte schon defizitär?Das kann man pauschal nicht beantworten. Schauen Sie sich beispielsweise den Frachtmarkt in den USA an. Dort gibt es seit einigen Jahren eine spürbare Investitionszurückhaltung. Es gibt sieben große Frachtunternehmen, die in der Regel börsennotiert sind. Diese Unternehmen arbeiten rein profitorientiert. Wenn deren Geschäft zurückgeht, bremsen sie sofort auf der Investitionsseite. Über viele Jahre haben diese Unternehmen den Großteil des Geldes mit dem Transport von Kohle verdient. Unter der Obama-Regierung wurde Kohle stark geächtet, zugleich kam das Fracking auf – Gas wird aber in Pipelines und nicht in Güterwaggons transportiert. Das heißt, die Gewinne gingen zurück, und die Investitionen wurden beschnitten. Vorübergehend funktioniert das, langfristig jedoch nicht. Das sehen wir jetzt in den Auftragsbüchern, die sind voll wie lange nicht. Wenn das Geschäft so zukunftsträchtig ist, warum wollen Sie sich dann davon trennen?Das wäre sehr kurzfristig gedacht. Wir erhalten in dem Geschäft nur dann Aufträge, wenn die großen Spieler schon alles abgegrast haben. Im Mittel werden wir dort niemals richtig Geld verdienen. Unsere Marktposition in Teilen unseres Geschäfts ist einfach nicht stark genug. Mit dicken Auftragsbüchern in der Tasche ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um den Markt zu verlassen. Welches Einsparpotenzial verbinden Sie mit dem Effizienzprogramm, und bis wann sollen die Einsparungen erzielt werden?Das haben wir ganz bewusst noch nicht kommuniziert. Angesichts der verbesserten Visibilität insbesondere unseres China-Geschäfts haben wir aber bereits einen Ausblick auf 2020 gegeben. Damit zeigen wir den Investoren künftige Perspektiven auf. Die Einsparungen einfach auf diesen Ausblick draufzupacken, wäre jedoch unseriös. Die Welt hat sich inzwischen weitergedreht. Inwiefern?Gehen Sie davon aus, dass wir allein auf der Personalkostenseite um die 10 Mill. Euro jährlich sparen. Zudem fallen Verluste weg. An diesem Punkt ist aber Vorsicht geboten. Denn die wegfallenden Verluste einfach auf die Prognose 2020 draufzusatteln ist falsch, weil wir dort bereits mit Verlusten in einer ganz anderen Größenordnung kalkuliert haben. Mit der Prognose für 2020 werden wir die Effekte näher quantifizieren. Vossloh hat das Eigenkapital im Juni um 10 % erhöht. Den Mittelzufluss wollen Sie “zur Verbesserung der finanziellen Flexibilität” einsetzen. Was meinen Sie damit?Neben der finanziellen Flexibilität für zukünftiges Wachstum sind folgende drei Aspekte zu berücksichtigen. Zum einen haben wir Ende letzten Jahres zwei kleinere Akquisitionen getätigt. Zum anderen sehen wir Verzögerungen beim Verkauf von Vossloh Locomotives, die wir so nicht erwartet hatten. Das Geschäft macht Verluste. Und drittens kostet das Restrukturierungsprogramm Geld. Vor diesem Hintergrund war es sehr sinnvoll, sich finanziell etwas Beinfreiheit zu verschaffen, damit wir das tun können, was für das Unternehmen wichtig ist. Dennoch hört sich die Kapitalmaßnahme, nicht zuletzt, weil Ihr Hauptaktionär 80 % der Emission gezeichnet hat, nach Notmaßnahme an. Sie hatten im ersten Halbjahr einen Liquiditätsabfluss von 9 Mill. Euro, damit ist ein Fünftel der Kapitalerhöhung schon wieder ausgegeben.Der frühe Mittelabfluss ist Standard in unserem Geschäft. Wir gehen schon im ersten Quartal für das ganze Jahr in Produktion, verkaufen aber kaum etwas, weil in den Wintermonaten weniger gebaut wird. Die Situation ändert sich schlagartig mit dem zweiten Quartal. Allein im Juni hatten wir aus dem Abbau von Working Capital einen positiven CashEffekt von fast 50 Mill. Euro. Darin enthalten sind auch erste Auswirkungen aus dem Maßnahmenprogramm. Das wird sich im weiteren Jahresverlauf noch verbessern. Die Nettoverschuldung ist im Vergleich zum Vorjahr aber auch deutlich gestiegen.Wir haben gerade Dividende gezahlt und die Akquisitionen getätigt. Außerdem haben wir immer noch Vossloh Locomotives. Der Finanzierungsbedarf des Geschäftsfelds ist in unserer Nettofinanzverschuldung enthalten. In der Gewinn-und-Verlust-Rechnung ist Vossloh Locomotives dagegen nur noch als nicht fortgeführtes Geschäft aufgeführt. Mit dem Verkauf wird die Nettoverschuldung aber nicht geringer, wie Sie gerade erläutert haben.Es kommt darauf an, was Sie spekulativ als Verkaufspreis ansetzen. Doch um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich gehe davon aus, dass wir nur einen geringen Netto-Cash-Effekt sehen werden. Wie wollen Sie den Rückbau der Verschuldung vorantreiben?Wir haben, wie gesagt, das Working Capital im Juni um 50 Mill. Euro reduziert. Wir sparen gegenüber unseren Planungen allein auf Seite der Sachanlageinvestitionen 20 Mill. Euro, ohne uns wirklich zu beschneiden. Wir sparen ab 2020 die genannte Zahl auf der Personalkostenseite. Gemessen an unserem Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit, Anm. d. Red.), wären Einsparungen von rund 10 Mill. Euro richtig viel. Wir haben die Nettoverschuldung allein von Mai auf Juni um 100 Mill. Euro reduziert. Sind diese kurzfristigen Veränderungen nachhaltig?Das, was wir jetzt an Working-Capital-Reduktion sehen, ist durchaus nachhaltig. Es adressiert aber noch nicht die wirklich komplexen Working-Capital-Themen. Diese Themen betreffen in der Regel das Vorratsvermögen. Um das Vorratsvermögen zu optimieren, müssen Prozesse verändert werden. Das lässt sich nicht in wenigen Wochen machen. Da geht es beispielsweise um die bessere Vernetzung von Bestell- und Produktionsprozessen oder um die Verringerung der Portfoliokomplexität. Das sind alles Dinge, die wir im Rahmen des Restrukturierungsprogramms in unseren Geschäftsbereichen realisieren, die Effekte werden wir aber erst in ein, zwei Jahren sehen. Ein Leuchtturmprojekt ist dabei die Fabrik der Zukunft mit voll automatisierten Prozessen an unserem Standort für Schienenbefestigungen in Werdohl. Das ist auch ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur nachhaltigen Senkung des Working Capital. Mit dem Effizienzprogramm soll auch die operative Marge verbessert werden. Wo soll diese mittelfristig liegen?In unseren Geschäftsbereichen bei 10 % und darüber. Im Konzern sollten wir damit zwischen 8 % und 10 % liegen. Wir werden 2020 einen Riesensprung nach vorne machen. Wir können gar nicht anders, weil unsere Auftragsbücher voll sind. Insbesondere bei dem überdurchschnittlich profitablen Geschäft mit Schienenbefestigungen in China quellen uns die Bücher über. Dann ist der Weg in Kombination mit dem Effizienzprogramm auch nicht mehr weit, um 2021 die 10 % zu knacken. Damit ist Vossloh dann plötzlich finanziell gesehen ein ganz anderes Unternehmen. Die Deutsche Bahn hat kürzlich angekündigt, in den nächsten zehn Jahren 86 Mrd. Euro zu investieren. Werden Sie davon profitieren, der auf Deutschland entfallende Umsatzanteil von Vossloh beläuft sich auf lediglich 10 %?Wir werden partizipieren, weil wir eine wesentliche Rolle beim Langschienenschweißen und der entsprechenden Logistik spielen. Das ist Teil unseres Servicegeschäfts. Bei den Schienenbefestigungssystemen erwarte ich dagegen nicht viel. Im Weichenmarkt sind wir nunmehr in der Lage, aus unserer Tochtergesellschaft in Polen den deutschen Markt zu beliefern. Das Thema Klimawandel ist derzeit in aller Munde. Gewinnt dadurch das Thema Bahninfrastruktur in Europa an Bedeutung?Absolut. In Europa stehen Nachhaltigkeit und Umweltschutz oben auf der Agenda, und Bahn ist per se nachhaltig. Was in Europa und anderen dicht besiedelten Industrieregionen dieser Welt passiert, ist Folgendes: Der Bedarf an schienengebundener Mobilität steigt. Es ist offensichtlich, dass Güter von der Straße auf die Schiene gehören. Wenn der Güterverkehr auf der Schiene aber um 30 % wachsen soll, kann man die Schienennetze nicht im gleichen Umfang ausbauen. Das ist a) nicht finanzierbar und dauert b) viel zu lange. Daher muss die vorhandene Schieneninfrastruktur effizienter genutzt werden. Genau hier liegt die Zukunft von Vossloh. Wir tragen dazu bei, die Verfügbarkeit vorhandener Schienennetze zu erhöhen. Wie machen Sie das?Verfügbarkeit hat zwei Stellschrauben. Einerseits kann ich durch Innovation auf der Material- oder der Designseite Hardware-Komponenten langlebiger machen. Andererseits kann ich die Instandhaltung des Fahrwegs Schiene optimieren. Das Stichwort heißt hier Digitalisierung. Nur das präzise Verständnis des genauen Zustands der Hardware ermöglicht deren maßgeschneiderte Instandhaltung. Im Idealfall gelingt es, die Instandhaltung so zu optimieren, dass Probleme erkannt werden, bevor sie den Verkehr behindern – also präventive Instandhaltung. Die Digitalisierung ist für uns das Bindeglied zwischen unserem Hardwaregeschäft und dem Servicegeschäft. Dieses Potenzial macht uns einzigartig.Das Interview führte Annette Becker.