GastbeitragDieselskandal

VW-KapMuG-Verfahren: Den Richtigen fragen!

Die Beteiligten im Kapitalanleger-Musterverfahren gegen VW und das Braunschweiger Gericht sollten sich auf die für das Verfahren entscheidende Person konzentrieren.

VW-KapMuG-Verfahren: Den Richtigen fragen!

Gastbeitrag

VW-KapMuG-Verfahren: Den Richtigen fragen!

Von Christian Strenger, Professor und Direktor des Corporate Governance Instituts der Frankfurt School of Finance and Management
Von Christian Strenger

Natürlich ist die intensive Aufgeregtheit nachvollziehbar, ob und was Herr Winterkorn als die im Dieselskandal sichtbarste Figur in der morgigen Vernehmung sagen wird. Abgesehen von voraussehbar enttäuschenden Antworten sollten sich aber die Verfahrensbeteiligten und auch das Braunschweiger Gericht schon im Sinne der Prozessökonomie auf die für das Verfahren entscheidende Person konzentrieren. Dies war der für die Kapitalmarktkommunikation seit vielen Jahren und insbesondere in der entscheidenden Zeit vor der Aufdeckung des Skandals durch die US Behörde EPA am 18.9.2015 damalige Finanzvorstand Dr. Pötsch.

Denn er hatte wohl bereits im Mai und Juni 2015 deutliche Hinweise erhalten, dass die US-Behörden die jahrelang von VW veranstalteten Täuschungsmanöver nicht mehr akzeptieren würden. Spätestens aber seit dem im Juli 2015 von Herrn Winterkorn abgehaltenen monatlichen "Schadenstisch" war das von der  US-Behörde geforderte öffentliche Eingeständnis durch VW unausweichlich geworden. Die damit verbundene Frage der "Ad-hoc-Kommunikation" fiel somit dem organisatorisch zuständigen Finanzvorstand zwingend und unmittelbar zu.

Um das durch eine Ad-hoc-Veröffentlichung unvermeidliche mediale Gewitter zumindest bis nach der für die Automobilindustrie hochrelevanten IAA-Ausstellung im frühen September zu verschieben, wurde aber statt der erforderlichen externen Analyse der Strafenhöhe lediglich ein "Regulatory Overview" der Hausanwälte Kirkland & Ellis beauftragt. Dieser Overview zeigte am 6. August anhand von aber final einvernehmlich beendeten Fällen, dass bisher nur Zahlungen von max. 100 Mill. Dollar angefallen waren. Da diese Größenordnung unter der für eine Ad-hoc-Meldung von VW relevanten Aufgriffsgrenze lag, unterblieb diese und wurde von VW als wichtiger Grund für das damalige Nichtmelden angeführt.

Zwar wurden als Ergebnis dann angestellter intensiver VW-interner Überlegungen am 3.9.2015 die Manipulation der Abgaswerte gegenüber der EPA durch VW-Vertreter zugegeben. Die von der EPA geforderte Öffentlichmachung und die damit verbundene Ad- hoc-Meldung erfolgte jedoch immer noch nicht, so dass diese am 18.9. die von VW noch heute als "Dieselthematik" bezeichnete Abgasschwindelei bekanntgab und die hierfür anzusetzende Strafenhöhe mit 18 Mrd. bezifferte.

Der dann am folgenden Börsentag eintretende fast 40-prozentige Kursrückgang der VW-Aktie spiegelt die hohe Diskrepanz zwischen der von VW gerichtlich vorgebrachten Strafenhöhe von lediglich 100 Mill. Dollar und den von dem EPA- Vertreter genannten 18 Mrd. Dollar wider.

Trotz dieser eindeutigen Sachlage wurde die strafrechtliche Verfolgung von Herrn Pötsch im Mai 2020 vom Landgericht Braunschweig gegen Zahlung von 4.5 Mill. Euro aus der VW-Kasse  eingestellt. Angesichts der weiterhin gültigen, so klar definierten mangelhaften Kapitalmarkt-Kommunikation sollte  das KapMuG-Verfahren durch die Konzentration auf den damals erstververantwortlichen Finanzvorstand  abgekürzt werden. Denn dieses ebenso wie alle noch ausstehenden Rechtsverfahren haben durch die letztjährigen Geständnisse der Vorstände Hatz und Stadler und den damit belegten, alle damaligen Vorstände betreffenden Vorsatz-Charakter auch qualitativ eine wesentliche  Änderung erfahren.

Gerade diese juristische Veränderung sollte VW, die Familien Piëch/Porsche und Niedersachsen auch zu einer vergleichsweisen Beendigung der nunmehr im neunten Jahr laufenden Verfahren des Dieselskandals motivieren. Insbesondere für die Familien gibt es hierfür den handfesten Grund, dadurch den auf die Bewertung Ihres Milliarden-Familienvermögens so negativ wirkenden Kapitalmarkt-Malus von mindestens 25% nachhaltig loszuwerden. Für Niedersachsen würde dies die Beendigung der mit der Dieselaffäre verbundenen Interessenkonflikte bedeuten. Und last but not least würde dies die entscheidend auf VW basierende, internationale Mindereinschätzung deutscher Governance positiv verändern.

Christian Strenger

Professor und Direktor des Corporate Governance Instituts der Frankfurt School of Finance and Management