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Wachstumsgeschichten "made in Germany"

Börsen-Zeitung, 14.12.2018 Vor 20 Jahren diskutierten Studenten der WHU Otto Beisheim School of Management über den Unterschied zwischen Invention und Innovation. Einer der Dozenten erklärte die Begriffe so: Invention bedeute "eine Idee haben",...

Wachstumsgeschichten "made in Germany"

Vor 20 Jahren diskutierten Studenten der WHU Otto Beisheim School of Management über den Unterschied zwischen Invention und Innovation. Einer der Dozenten erklärte die Begriffe so: Invention bedeute “eine Idee haben”, Innovation dagegen “eine Idee groß machen”. Wobei das Letztere, die erfolgreiche Umsetzung, deutlich mehr wertzuschätzen sei als die Idee selbst.Es war die Zeit, als Oliver Samwer ebenfalls an der WHU an seiner Diplomarbeit saß und sich wahrscheinlich überlegte, welche US-Invention er in Deutschland groß machen könnte. Später wurden die Samwer-Gründungen vielfach nur als “Copycats” (“keine Idee haben”) kritisiert, anstatt dass deren beeindruckende Fähigkeiten, Unternehmen zu skalieren (“Idee groß machen”), wertgeschätzt wurde, wie beispielsweise bei Zalando oder Delivery Hero. Geschäftsideen importiertIn der Tat hat sich Deutschlands Gründerszene in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem großen Teil sehr erfolgreich darauf konzentriert, Geschäftsideen zu importieren und zu skalieren. Die Liste der erfolgreichen Beispiele ist lang: Wirecard, Stepstone (Axel Springer), Xing, Trivago, Scout24, Zalando, Hellofresh, Delivery Hero, Parship, Verivox (beide ProSiebenSat.1), Hybris (SAP), Teamviewer, Check24, Westwing, Loyalty Partner und andere. Jede dieser Firmen ist mehr als 500 Mill. Euro wert, einige mehrere Milliarden.In den vergangenen Jahren hat sich die deutsche Start-up-Kultur merklich weiterentwickelt. Wir sehen heute eine ganze Reihe Innovationen “made in Germany”. Beispiele sind Flixbus, Go Euro, N26, Auto 1, Konux, Sonnen, EOS, Babbel oder Celonis. Deutschland holt aufAuch traditionelle Unternehmen wie Axel Springer, Klöckner, Trumpf, Otto, ProSiebenSat.1, aber auch Daimler und Bosch stechen hervor, wenn es um digitale Transformation geht. Diese und andere Konzerne haben nicht nur spannende Geschäftsideen, sondern sie zeigen auch Mut, diese umzusetzen – organisch oder über Zukäufe. Zudem schaffen sie innerhalb ihres Unternehmens ein Klima für unternehmerisches Denken und Handeln. Dass dies häufig aufgrund von hohem Wettbewerbsdruck auf das angestammte Kerngeschäft passiert, sollte irrelevant bei der Beurteilung der unternehmerischen Leistung sein.Der Blick ins Silicon Valley, den ja viele Politiker und Manager in Deutschland gerne werfen, zeigt: Das Valley als lange Jahre weltweit führender Innovationshub ist ausgezeichnet darin, Ideen zu generieren und dann auch groß zu machen. China ist seit ein paar Jahren dabei, dem Valley die führende Position streitig zu machen. Weder Deutschland noch Europa sind aktuell in der Lage, in dieser Liga mitzuspielen. Dennoch passiert auch in Deutschland einiges und das mit zunehmender DynamikLeider ist die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland zu häufig eine andere. Es werden eher Probleme herausgestellt und mit dem Finger auf das gezeigt, was nicht gut läuft. Positive Beispiele, wie Unternehmer die digitale Transformation meistern und Start-ups groß werden lassen, geraten aus dem Blick. Und, wie wir mit Blick in die USA sehen, ist das (Selbst-)Marketing ein sehr wichtiger Baustein des unternehmerischen Erfolgs. Hier haben die Medien eine große Verantwortung, die sie wahrnehmen sollten. Das gilt auch für eine positive Fehlerkultur, die in Deutschland leider nicht besonders ausgeprägt ist.Ebenfalls in der Pflicht stehen die Schulen beziehungsweise Kultusministerien der Länder. Im gymnasialen Unterricht beispielsweise scheinen Themen wie der Brandrodungswanderfeldbau in Südamerika immer noch stärkere Beachtung zu finden als wirtschaftliche oder rechtliche Themen. Ebenfalls gilt es bei der Ausstattung der Schulen einiges aufzuholen. Hier ist es notwendig, sich nicht nur auf die Hardware zu fokussieren. Die Software ist in den meisten Fällen noch wichtiger und wird häufig vergessen. Gründerhubs an den UnisAn den Hochschulen hat sich in viel Positives getan. Es gibt erfolgreiche Initiativen wie die UnternehmerTUM an der TU München. Sie bietet ein breites Angebot an Gründungsberatung, Forschung, Qualifizierung, Finanzierung sowie ein Netzwerk für Gründer. Ähnliche Gründerhubs findet man beispielsweise an der RWTH Aachen oder der WHU Vallendar. Diese Entwicklungen würde man gerne gestärkt sehen. Hier ist vor allem eine bessere Zusammenarbeit zwischen den betriebswirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Fakultäten sowie der Max-Planck- und Fraunhofer-Institute gefordert.Die Gründerszene sollte sich lokal und national besser vernetzen als bisher. Kommunikation ist der Schlüssel, damit Erfinder und Unternehmer, Wachstumsfinanzierer, Medien und andere zusammenfinden. Eine erfreuliche Rolle spielen hierbei Konferenzformate wie Noah in Berlin oder Bits & Pretzels in München. Digitaler EU-BinnenmarktBeim Standortmarketing muss die föderale Struktur der Bundesrepublik als Stärke herausgestellt werden. Deutschland kann neben Berlin mit einer Vielzahl weiterer attraktiver Standorte punkten, die es etwa in Großbritannien oder Frankreich so nicht gibt. In den vergangen drei Jahren flossen 8 Mrd. Euro an Venture Capital nach Deutschland, davon nur knapp die Hälfte nach Berlin. Last, but not least: Die Regulierung in den verschiedenen Sektoren ist leider alles andere als gründerfreundlich. Darüber könnte man einen eigenen Artikel schreiben. Kurz gesagt: Es muss ein Umfeld geschaffen werden, das Innovation fördert und nicht behindert oder gar blockiert – und das Ganze nicht nur auf nationaler, sondern auf EU-Ebene. Wir brauchen dringend einen digitalen europäischen Binnenmarkt.—-Jörn Nikolay ist Managing Director des Wachstumskapitalinvestors General Atlantic (GA) und leitet seit 2012 das Münchner Büro. In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.—–Von Jörn NikolayUm die Gründerkultur in Deutschland steht es besser, als viele denken.