Warum Bonn manchmal Brüssel bei der Fusionskontrolle aussticht
– Herr Prof. Meyer-Lindemann, der beabsichtigte Zusammenschluss O2 /E-Plus scheint sowohl das Bundeskartellamt in Bonn als auch die Europäische Kommission in Brüssel zu interessieren. Wann wird ein solcher Fall fusionskontrollrechtlich auf europäischer und wann auf nationaler Ebene geprüft?Die Zuständigkeit der Fusionskontrollbehörden richtet sich nach der Höhe und der geografischen Verteilung der Umsätze, die die beteiligten Unternehmen im jeweils letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr erzielt haben. Allerdings hat das Bundeskartellamt als nationale Behörde die Möglichkeit, für einen Fall, der eigentlich der europäischen Fusionskontrolle unterliegt, die Verweisung nach Deutschland zu beantragen.- Wann ist das möglich?Das ist zum Beispiel möglich, wenn eine erhebliche Bedrohung des Wettbewerbs auf einem gesonderten deutschen Markt zu erwarten ist. Umgekehrt ist es möglich, dass die Zusammenschlussbeteiligten die Verweisung eines Falles nach Brüssel beantragen, der nur die nationalen Aufgreifkriterien erfüllt. Das geht jedoch nur, wenn der Fall von mindestens drei Mitgliedstaaten geprüft werden könnte.- Löst denn schon jeder Beteiligungserwerb die Fusionskontrolle aus?Nach europäischem Recht und dem Recht der meisten Mitgliedstaaten der EU findet die Fusionskontrolle nur Anwendung, wenn der Erwerb von Kontrolle über ein Unternehmen beabsichtigt ist, das heißt die Möglichkeit angestrebt wird, die zukünftige Strategie des Zielunternehmens zu bestimmen. In Deutschland und Österreich kann jedoch bei entsprechenden Umsätzen schon der Erwerb einer bloßen Kapitalbeteiligung in Höhe von 25 % oder von Stimmrechten in gleicher Höhe, in Deutschland sogar der Erwerb erheblichen wettbewerblichen Einflusses, die Pflicht einer fusionskontrollrechtlichen Anmeldung auslösen. So kann es sein, dass Großunternehmen, die beim Kontrollerwerb aufgrund ihrer Umsätze ein europäisches Verfahren durchlaufen müssten, bei einem Erwerb unterhalb der Kontrollschwelle vor den nationalen Behörden landen. Dies wird manchmal übersehen, was angesichts des Vollzugsverbotes, das vor der fusionskontrollrechtlichen Genehmigung zu beachten ist, zur Unwirksamkeit des Erwerbs und einer Bebußung führen kann.- Macht es einen großen Unterschied, ob ein Fall durch die Europäische Kommission oder nationale Behörden geprüft wird?Der auf einen Fall anzuwendende materielle Test ist seit Inkrafttreten der 8. GWB-Novelle Ende Juni dieses Jahres in der EU grundsätzlich überall der gleiche. Sind jedoch in einem konkreten Fall nur ein paar wenige nationale Anmeldungen vorzunehmen, so wird dieser auch nur im Hinblick auf die Auswirkungen in jenen Jurisdiktionen geprüft. Die für die Fälle auf EU-Ebene zuständige EU-Kommission hat dagegen die Auswirkungen auf alle EU-Mitgliedstaaten zu prüfen.- Das heißt?Dadurch können wettbewerbsrechtliche Probleme auch in Ländern relevant werden, in denen an sich keine Anmeldung vorzunehmen wäre. Auch gibt es erhebliche Unterschiede bei den Verfahren. Dies gilt insbesondere für die einschlägigen Fristenregelungen und den Katalog der bereitzustellenden Informationen. In vielen Fällen sprechen gerade diese Gesichtspunkte dafür, mehrere nationale Verfahren einem EU-Verfahren vorzuziehen. In einem Fall allerdings, der Wettbewerbsprobleme allein in einem Land erwarten lässt, mag es für die Parteien günstiger sein, wenn die Europäische Kommission darüber als eine Behörde entscheidet, die nicht nur allein die jeweilige nationale Wettbewerbslandschaft im Auge hat.- Kann man, wenn die zuständige Wettbewerbsbehörde den Zusammenschluss genehmigt, darauf vertrauen, dass es für immer bei diesem Ergebnis bleibt?Normalerweise schon. Es ist jedoch nicht gänzlich auszuschließen, dass Dritte die fusionskontrollrechtliche Genehmigung gerichtlich angreifen. Sind sie, wie etwa die Deutsche Telekom und Netcologne im kürzlich durch das Oberlandesgericht Düsseldorf entschiedenen Fall Unity Media/Kabel BW, erfolgreich, so kann das in letzter Konsequenz sogar eine Entflechtung nach sich ziehen.—-Prof. Hans Jürgen Meyer-Lindemann ist Partner bei Dechert in Brüssel. Die Fragen stellte Daniel Schauber.