ANSICHTSSACHE

Warum es sich lohnt, Mitarbeiter maßgeblich zu beteiligen

Börsen-Zeitung, 15.5.2015 In den vergangenen 30 Jahren hat der Voestalpine-Konzern einen dramatischen Wandel durchlaufen. Mitte der 1980er Jahre - auf dem Höhepunkt der europäischen Stahlkrise und zu 100 % in Staatsbesitz - noch pleite, entwickelte...

Warum es sich lohnt, Mitarbeiter maßgeblich zu beteiligen

In den vergangenen 30 Jahren hat der Voestalpine-Konzern einen dramatischen Wandel durchlaufen. Mitte der 1980er Jahre – auf dem Höhepunkt der europäischen Stahlkrise und zu 100 % in Staatsbesitz – noch pleite, entwickelte sich das Unternehmen über Umstrukturierungen, mehrere Privatisierungsschritte und eine fokussierte strategische Neuausrichtung zum heute profitabelsten stahlbasierten Technologie- und Industriegüterkonzern in Europa. Zentralen Anteil an diesem Erfolg hatten die Mitarbeiter, und zwar nicht nur aufgrund ihrer Kompetenz und Einsatzbereitschaft, sondern auch als überzeugte Aktionäre im Rahmen eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms, das wir im Jahr 2000 in enger Abstimmung mit dem Konzernbetriebsrat entwickelt haben. Stabile EigentümerstrukturDie Geschichte dieser strategischen Mitarbeiterbeteiligung lässt sich bei Voestalpine auf eine zentrale Frage zurückführen: Wie kann nach der vollständigen Privatisierung weiterhin eine stabile Eigentümerstruktur gewährleistet und gleichzeitig zusätzliches unternehmerisches Potenzial gehoben werden? – Der Staat würde als Ankeraktionär ausfallen, und die Stahlbranche war nach etlichen Krisen damals weltweit im Begriff zu konsolidieren. Die Voestalpine-Strategie sah dagegen keine aktive Rolle gemäß dem Motto “big is beautiful” vor, sondern vielmehr eine Entwicklung zu einem Technologiekonzern.Die Antwort ergab sich nach intensiven und sehr konstruktiven Gesprächen zwischen dem Management und dem Betriebsrat. Die zentrale Idee war, trotz Vollprivatisierung die existierenden Standorte bei gleichzeitig offensiver Entwicklung des Konzerns möglichst langfristig abzusichern. Am Ende der Diskussionen war ein Modell entstanden, das bis heute in Österreich – und vermutlich auch weit darüber hinaus – einmalig ist: eine signifikante und damit strategische Beteiligung der Mitarbeiter, die über eine Privatstiftung gehalten wird und in der die Aktionärsstimmrechte von über 23 000 Mitarbeitern gebündelt sind.Nach der jüngsten Kapitalerhöhung im März dieses Jahres hält die Stiftung eine Beteiligung von 14,9 % am Unternehmen, das entspricht einem aktuellen Gegenwert von rund 1 Mrd. Euro. Damit sind die Mitarbeiter mit nur sehr geringem Abstand zur Nummer 1 heute der zweitgrößte Shareholder des Konzerns. Das bringt Stabilität und Ruhe in die Gruppe, denn sollte ein anderes Unternehmen oder ein Finanzinvestor die Voestalpine übernehmen wollen, käme er an dem mächtigen Minderheitsaktionär Privatstiftung nicht vorbei.Wir haben zur Umsetzung des Modells das österreichische System der Kollektivverträge (in Deutschland Tarifverträge) genutzt. Heute wird allen österreichischen Mitarbeitern bei etwa jeder zweiten Bezugserhöhung ein Teil ihres jeweiligen Entgelts in Aktien ausbezahlt. Die Stimmrechte übertragen sie während der Beschäftigungsdauer per Treuhandvertrag an die Stiftung, die kollektiv für alle Beschäftigten das Stimmrecht ausübt und deren Gremien paritätisch mit Vertretern des Managements und des Betriebsrats besetzt sind. Wie auf der Hauptversammlung abgestimmt werden soll, verabredet der Betriebsrat auf europäischer Ebene und stimmt sich dann mit den Managementvertretern in der Stiftung ab.Darüber hinaus entsendet die Stiftung auch einen Vertreter in den Aufsichtsrat und ist so frühzeitig in die wesentlichen Konzernentscheidungen eingebunden. Das Unternehmen unterstützt das Eigeninvestment der Mitarbeiter im Übrigen auch über Bonusaktien, deren Umfang anlässlich der jährlichen Prämienverhandlungen festgelegt wird.Hinzu kommen steuerliche Anreize. Aktuell fördert Österreich die Mitarbeiterbeteiligung mit einem jährlichen Steuerfreibetrag von 1 460 (Deutschland: 360) Euro. Durch die jüngst beschlossene Steuerreform wird sich der Betrag auf 3 000 Euro verdoppeln – ein gutes Signal an Unternehmen und Mitarbeiter. Erfolg wird im Depot sichtbarAuf Mitarbeiterseite hat sich durch die Einführung des Modells nicht nur der Umgang mit den Themen Aktien und Kapitalmarkt verändert. Vielmehr ist das Bewusstsein, wie ein Unternehmen funktioniert, heute unvergleichlich ausgeprägter als vor 15 Jahren. In Betriebsversammlungen wird deutlich, dass ein viel besseres Verständnis im Hinblick auf die Zusammenhänge zwischen strategischen Entscheidungen, Unternehmenserfolg und Aktienkurs, ganz besonders aber attraktiven Arbeitsplätzen besteht. Erfolg, aber auch Misserfolg werden für die Mitarbeiter direkt im Depot sichtbar.Natürlich hat uns zur nachhaltigen Akzeptanz des Modells geholfen, dass sich der Aktienkurs trotz teilweise großer Schwankungen im Langfristtrend deutlich nach oben entwickelt hat. Darüber hinaus bekommen die Mitarbeiter die Dividende trotz der Verfügungssperre über ihre Aktien immer direkt ausgezahlt. Dass wir uns selbst in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise eine Dividende leisten konnten, hat ihr Vertrauen in das Programm und in ihr Unternehmen weiter gestärkt, zumal wir seit Jahren zu den größten Dividendenzahlern im österreichischen ATX-Index gehören.Kapitalbeteiligungen am eigenen Unternehmen stärken die persönliche Motivation und Identifikation der Mitarbeiter genauso wie ihr unternehmerisches Verständnis enorm. Dies hängt ursächlich mit dem Perspektivenwechsel durch ein verändertes Rollenverständnis zusammen – verbunden mit der Möglichkeit, direkt am Unternehmenserfolg zu partizipieren. Gerade in einem historischen Niedrigzinsumfeld und nicht zuletzt im Hinblick auf die sich europaweit immer mehr auftuende Einkommens- und Vermögensschere wäre es wünschenswert, wenn Mitarbeiterbeteiligungsmodelle darüber hinaus von Seiten der Politik auch stärker als zusätzliche Säule der Altersvorsorge gefördert würden.—-Dr. Wolfgang Eder ist Vorstandsvorsitzender des österreichischen Industriekonzerns Voestalpine AG.In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.——–Von Wolfgang EderEine maßgebliche Beteiligung von Mitarbeitern am Kapital bietet für Unternehmen und Belegschaft eine Win-win-Situation.——-