Was das neue Gesetz für das Vergaberecht bedeutet
Am 22. Juli 2021 wurde das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten“ (Lieferkettengesetz) im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Das Gesetz tritt allerdings für Unternehmen nicht sofort in Kraft. Die neuen Verpflichtungen gelten erst ab dem 1. Januar 2023, zunächst für große Unternehmen mit mehr als 3000 Beschäftigten und ab 2024 für Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten. Diese Übergangszeit benötigen die betroffenen Unternehmen auch. Denn die neuen Verpflichtungen, die entsprechenden Sanktionen sowie die Rechtsdurchsetzungsmechanismen haben es in sich.
So werden die Unternehmen grundsätzlich verpflichtet, in ihren Lieferketten die neuen menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Den Aufsichtsbehörden steht dann zur Durchsetzung dieser neuen umfangreichen Pflichten ein ungewöhnlich breites Instrumentarium zur Verfügung: von weitreichenden Anordnungsrechten zur Informationsbeschaffung über extensive Duldungs-, Auskunfts- und Herausgabepflichten der Unternehmen bis zur Festsetzung von hohen Zwangs- und Bußgeldern.
Als weiteres Instrument zur Durchsetzung der Sorgfaltspflichten nach dem Lieferkettengesetz steht auch das Vergaberecht zur Verfügung. Dies kann für Unternehmen, die von öffentlichen Aufträgen abhängig sind, massive Auswirkungen haben, denn Verstöße gegen das Lieferkettengesetz landen als negativer Eintrag im Wettbewerbsregister – und gerade dieses sehen sich öffentliche Auftraggeber vor Beginn eines Vergabeverfahrens genau an. Bei einem rechtskräftig festgestellten Verstoß mit einem Bußgeld in bestimmter Höhe sollen sie das Unternehmen nach § 22 des Lieferkettengesetzes vom Vergabeverfahren ausschließen. Dieser Ausschluss gilt bis zu drei Jahre und kann auch Unternehmen treffen, die sich bereits in einem laufenden Vergabeverfahren befinden.
Das Lieferkettengesetz entfaltet durch diese „Soll“-Formulierung (anstelle von „kann“) eine besondere Schlagkraft, da Behörden hier im Vergleich zur bisherigen Rechtslage bei ermessensabhängigen Ausschlusstatbeständen einen deutlich geringeren Spielraum haben. Dadurch schränkt der Gesetzgeber die sonst bei Ausschlusstatbeständen umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung zulasten der Unternehmen ein. In der Konsequenz entsteht die Gefahr, dass öffentliche Auftraggeber sich bei einem festgestellten Verstoß sofort für einen Ausschluss des Unternehmens aus dem Vergabeverfahren entscheiden und sich ein entsprechender Automatismus einstellt.
Offene Rechtsfragen
Als Ausweg bleiben betroffenen Unternehmen dann nur Selbstreinigungsmaßnahmen. Wenn ein Unternehmen glaubhaft darlegen kann, dass es den Grund für den Verstoß gegen das Lieferkettengesetz beseitigt und gegebenenfalls auch eingetretene Schäden behoben hat, kann der Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren verkürzt werden. Das Problem dabei: diese Selbstreinigung darzustellen, kann im Einzelfall schwierig sein. Denn Unternehmen müssen bei den Sorgfalts- und Dokumentationspflichten ihre gesamte Lieferkette beachten, und dazu gehören neben dem eigenen Geschäftsbereich eben auch die unmittelbaren und die mittelbaren Zulieferer.
Doch während das Lieferkettengesetz eigene Regelungen mit Blick auf vergaberechtliche Konsequenzen bereithält, sind die Auswirkungen eines Verstoßes auf das ebenso relevante Fördermittelrecht nicht eindeutig bestimmt. Feststehen dürfte nur: Künftig kann die Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel von der Einhaltung der Sorgfaltspflichten abhängig gemacht werden. Behörden stellt sich dann die Frage, ob Fördermittel noch gewährt oder sogar zurückgefordert werden müssen, wenn Sorgfaltspflichten verletzt wurden. Oder was zu tun ist, wenn kein Verstoß festgestellt wurde, sondern nur ein entsprechender Verdacht besteht – darf dieser eine Zuwendungsentscheidung negativ beeinflussen? Für Unternehmen mit Bedarf an staatlichen Zuwendungen kann sich daraus ein existenzielles Risiko ergeben. Solche und weitere Rechtsfragen mit bedeutenden wirtschaftlichen Folgen müssen im Detail erst noch die zuständigen Gerichte klären.
Signifikante Risiken
Mit dem Lieferkettengesetz hat der Gesetzgeber den Versuch unternommen, eine Balance zwischen den Zielen des Menschenrechts- und des Umweltschutzes und den realistischen Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen zu finden. Herausgekommen ist dabei eine Mischung von anspruchsvollen Zielen, breiten Sorgfaltspflichten und umfangreichen behördlichen Überwachungs- sowie Sanktionsmöglichkeiten. Unternehmen sollten ihr internes Risikomanagement rechtzeitig so effektiv wie möglich organisieren. Ihnen drohen sonst nicht nur erhebliche Bußgelder und unkontrollierbare Reputationsverluste, sondern auch empfindliche vergabe- und fördermittelrechtliche Nachteile.