Wenn der Familienaktionär wegbricht
Ein Ankeraktionär im Allgemeinen, ein Familienaktionär im Besonderen, ist Garant für Stabilität. Ausnahmen bestätigen die Regel, und der Fall Sika in der Schweiz wirft ein grelles Schlaglicht darauf, in welche Governance-Probleme ein Konzern stürzen kann, wenn mächtige Gründererben das Sagen haben.Von Daniel Schauber, FrankfurtEin Familienaktionär sorgt dafür, dass das Denken in Generationen statt bloß in Quartalen auch in börsennotierten Gesellschaften verankert ist. Vor allem aber bietet er Schutz gegen feindliche Übernahmen. Davon profitieren auch die Streubesitzaktionäre. Es geht auch anders: Gelähmt werden kann ein familiendominiertes Unternehmen nicht nur, wenn es Streit gibt unter den Familiengesellschaftern – wie etwa zwischen den Familienstämmen Porsche/Piëch bei Volkswagen. Der Fall Sika zeigt, dass auch Einigkeit unter Erben zu Streit führen kann.Das ist bei Sika bislang passiert: Gut 100 Jahre stand die Familie hinter dem 1910 von Kaspar Winkler gegründeten Schweizer Bauchemiespezialisten, der mit gut 17 000 Menschen 5,5 Mrd. sfr umsetzt. Die vierte Generation – die fünf Geschwister der Familie Burkard-Schenker, zwei Brüder, drei Schwestern – sind sich seit zwei Jahren einig, dass die Zeit für den Ausstieg gekommen ist. Im Dezember 2014 gaben sie bekannt, ihr Aktienpaket für 2,75 Mrd. sfr an den französischen Baustoffhersteller Saint-Gobain verkaufen zu wollen.Für die Streubesitzaktionäre und womöglich auch das Schweizer Unternehmen selbst ist der geplante Verkauf an einen soliden strategischen Investor gleichwohl brisant. Dank zweier Aktienkategorien bei Sika hält die Familie über die Schenker-Winkler Holding AG 53 % der Stimmrechte, jedoch nur 16 % des Aktienkapitals. Der Streubesitz – darunter auch ein Anlagevehikel von Microsoft-Gründer Bill Gates – erhält bei dem geplanten Verkauf kein Übernahmeangebot, sieht sich über den Tisch gezogen, fürchtet eine schleichende Enteignung durch den neuen Großaktionär und opponiert. Die Prämie zum damaligen Aktienkurs für die Familie belief sich auf 80 %, der Streubesitz hätte davon nichts. Auch die Sika-Beschäftigten sind gegen den Verkauf – müssen sie doch fürchten, dass für einen französischen Konzern nicht unbedingt die Interessen von Beschäftigten in der Schweiz an erster Stelle stehen. Shareholder und StakeholderDer Verwaltungsrat von Sika mit Paul Hälg an der Spitze, der sich den Interessen aller Aktionäre und der übrigen Stakeholder verpflichtet zu fühlen hat, wehrt sich derweil juristisch gegen die Verkaufspläne der Familienaktionäre. Auf einer Aktionärsversammlung im Jahr 2015 hatte Sika die Stimmrechte der Burkards auf 5 % beschnitten. Damit gelang es der Familie nicht, die Mehrheit im Verwaltungsrat zu bekommen – was Voraussetzung ist, damit die Transaktion über die Bühne gehen kann. Gegen die Stimmrechtsbeschränkung hatte die Familie geklagt.Nun hat das Unternehmen beim Kampf mit dem eigenen Großaktionär einen wichtigen Etappensieg errungen: Die Richter am Kantonsgericht Zug kamen zum Schluss, dass die Stimmrechtsbeschränkung zu Recht erfolgte. Der seit zwei Jahren erbittert ausgefochtene Streit ist damit jedoch nicht beendet. Die Familie kündigte umgehend Berufung gegen das Urteil an. Sika-Präsident Paul Hälg bemühte sich nach dem Urteil sichtlich um eine Annäherung. Er bekräftige den bisherigen Vorschlag, dass Sika selbst das Aktienpaket der Familie kauft, um den Übernahmestreit beizulegen. Ein konkreter Preis wurde nicht benannt, aber die Lösung solle “finanziell attraktiv und schnell” sein.Frühere Äußerungen der Familie deuten allerdings darauf hin, dass die Chancen einer Einigung beschränkt sind. Die Familie besteht darauf, dass Saint-Gobain in die Gespräche einbezogen werden müsse. Saint-Gobain bekräftigte unterdessen, an der Übernahme festzuhalten.Falls eine der Parteien auch das Urteil der nächsten Instanz anfechten sollte, käme der Fall vor das Schweizer Bundesgericht. Bis zu einem letztgültigen Entscheid könnten nach Einschätzung von Juristen nochmals rund zwei Jahre verstreichen. Käme es so, hätte der Familienaktionär für vier Jahre Streit gesorgt – auch eine Form von Stabilität.—– Wertberichtigt Seite 6