VOLKSWAGEN

Wenn Staatsanwälte übers Ziel hinausschießen

Von Peter Olsen, Frankfurt Börsen-Zeitung, 2.10.2015 Gegen den zurückgetretenen Vorstandschef von Volkswagen, Martin Winterkorn, gibt es weder einen Anfangsverdacht, noch wurden Ermittlungen mit dem Vorwurf des Betrugs gegen ihn eingeleitet. So...

Wenn Staatsanwälte übers Ziel hinausschießen

Von Peter Olsen, FrankfurtGegen den zurückgetretenen Vorstandschef von Volkswagen, Martin Winterkorn, gibt es weder einen Anfangsverdacht, noch wurden Ermittlungen mit dem Vorwurf des Betrugs gegen ihn eingeleitet. So weit, so gut – möchte man beim Lesen der Entschuldigungsversuche der in Sachen VW-Dieselabgasaffäre zuständigen Staatsanwaltschaft Braunschweig meinen.Das wird aber wohl nicht reichen, denn der Umgang mit der Person Winterkorn in den vergangenen Tagen war mehr als ein böses Foul der Behörde gegen den eingefleischten Fußballfan. Denn in der – mittlerweile von der Liste gelöschten – Pressemitteilung vom 28. September hieß es klar, dass die Staatsanwaltschaft gegen Winterkorn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet habe. “Der Schwerpunkt der Ermittlungen liegt auf dem Vorwurf des Betrugs durch den Verkauf von Kraftfahrzeugen mit manipulierten Abgaswerten.”Diese Aussagen waren von Außenstehenden nicht misszuverstehen und dürften letztlich auch den niedersächsischen Wirtschaftsminister Olaf Lies dazu veranlasst haben, in Sachen Krisenbewältigung klare Kante zu fahren: “Diejenigen, die erlaubt haben, dass dies geschehen kann, und die, die entschieden haben, die Software zu installieren, haben kriminell gehandelt. Sie müssen deshalb dafür die persönliche Verantwortung übernehmen.” Das konnte, das musste man nach der Steilvorlage der Staatsanwaltschaft Braunschweig auch auf Winterkorn beziehen.Einen Tag später war die klare Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft durch eine neue, wesentlich mildere Fassung ersetzt worden. Bezüglich Winterkorn hieß es nur noch, da gegen ihn Anzeige erstattet worden sei, “erfolgt auch diesbezüglich die Prüfung eines Anfangsverdachts”. Der Anfangsverdacht als Voraussetzung für Ermittlungen müsse auf “konkreten Tatsachen beruhen, wobei offenkundige Tatsachen des Zeitgeschehens eine Rolle spielen können” – was immer die Braunschweiger mit Letzterem gemeint haben mögen.Nach der heftigen Kritik an dem laxen Umgang der Braunschweiger Behörde mit der Person Winterkorn gab es ein deutliches Zurückrudern: “Gegen Prof. Dr. Winterkorn besteht kein Anfangsverdacht”, heißt es nun. Dass in der ersten Mitteilung “fälschlicherweise” von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Ex-Konzernlenker berichtet worden sei, sei auf ein Missverständnis in der Vorgangsbearbeitung der Behörde zurückzuführen. Man bedauere “Irritationen im Zusammenhang mit der VW-Affäre”. Das niedersächsische Justizministerium erklärte, es habe keinen Einfluss auf die Informationspolitik der Staatsanwaltschaft genommen.Dass auch eingeleitete Ermittlungsverfahren nicht regelmäßig in eine Anklage münden, hat gerade das Statistische Bundesamt festgehalten. Die meisten Ermittlungsverfahren der deutschen Staatsanwaltschaften werden eingestellt, berichtet dpa-afx. Von den 4,7 Millionen Verfahren, die im vergangenen Jahr bearbeitet wurden, endeten 58 % mit Einstellung. Dieser Anteil habe sich seit Jahren nicht verändert. 28 % aller Verfahren wurden mangels Tatverdachts oder wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt, der Rest wegen Geringfügigkeit der Straftat oder gegen Auflagen, etwa gegen Zahlung eines Geldbetrags an eine gemeinnützige Einrichtung.Nur in 21 % der bearbeiteten Verfahren sei Anklage erhoben oder ein Strafbefehl beantragt worden, teilte das Bundesamt mit. Die übrigen 21 % seien auf andere Art erledigt worden – zum Beispiel durch Weitergabe der Akten an andere Staatsanwaltschaften oder an andere Behörden, etwa wenn sich herausgestellt habe, dass es sich um Ordnungswidrigkeiten handelt. ——–Kein Anfangsverdacht, keine Ermittlungen: Winterkorn verfrüht unter Betrugsverdacht.——-