GASTBEITRAG

Wer zahlt die Zeche: Mieter oder Vermieter?

Börsen-Zeitung, 27.11.2020 Nachdem erste gerichtliche Entscheidungen zu Pachten für Gewerbeflächen, die aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen werden mussten, für die eine und die andere Seite ergangen sind, hat kürzlich Bundesjustizministerin...

Wer zahlt die Zeche: Mieter oder Vermieter?

Nachdem erste gerichtliche Entscheidungen zu Pachten für Gewerbeflächen, die aufgrund der Corona-Pandemie geschlossen werden mussten, für die eine und die andere Seite ergangen sind, hat kürzlich Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) verlauten lassen, dass ihr Haus einen Ausgleich im Gewerbemietrecht schaffen will. Ob es aber noch vor der Bundestagswahl im Herbst 2021 dazu kommen wird und was etwaige Neuerungen bringen werden, ist fraglich. Auch OLG-Entscheidungen hierzu wird es vor der Wahl wohl nicht mehr geben.Was tun bis dahin? Stillstand oder einvernehmliche Lösungen? Wenn man sich jetzt einigt, wie soll auf eine spätere gesetzliche Regelung, so sie denn kommt, reagiert werden? Ein krasser KonfliktVermieter beziehungsweise Verpächter im gewerblichen Bereich (Einzelhandel, Hotel, Gastronomie, Fitness, Büro etc.) erwarten aus der Immobilie Rendite. Das ist nur logisch, denn sie stellen die Immobilie zur Verfügung, haben sie also entweder errichtet oder erworben – in jedem Fall in relevantem Maß investiert; ein hinreichender Return on Investment ist das Ziel.Diese Rendite erwirtschaftet der Mieter beziehungsweise Pächter für den Immobilieneigentümer. Hierzu muss die Immobilie betrieben werden. Denn ohne laufenden Geschäftsbetrieb kann ein Mieter beziehungsweise Pächter nicht oder nicht lange die Miete oder Pacht leisten. Also alles ganz einfach: Ohne Betrieb keine Mietzahlung und ohne Mietzahlung keine Rendite? Dies hieße aber, dem Immobilieneigentümer die Last aufzubürden. Oder ganz einfach umgekehrt: Ohne Betrieb trotzdem Miete zahlen und die volle Rendite der Immobilie sicherstellen? Dies hieße, dem Mieter die Krisenauswirkungen aufzuschultern.Was wird der Gesetzgeber tun? Noch ist dies fast völlig offen. Klar ist nur, dass beabsichtigt ist, die Antworten im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter zu finden. Bundesjustizministerin Lambrecht sagte hierzu: “Ich möchte gesetzlich klarstellen, dass dies regelmäßig die Störung der Geschäftsgrundlage für ein Mietverhältnis bedeutet.” Damit verweist sie auf § 313 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Norm berechtigt – so sie auf die aktuelle Krisenfrage anzuwenden ist – den Mieter dazu, vom Vermieter eine Anpassung der Miete zu verlangen. Ohne Nachzahlung, ohne Verzinsung, ohne Besserungsschein oder sonstige Entschädigung.Wenn es dabei bliebe, dass die Grundfrage der Anwendbarkeit des § 313 BGB auf die aktuelle Situation festgeschrieben würde, wäre im ersten Schritt wenig gewonnen. Denn damit bliebe es konkret in jedem Mietverhältnis auszuhandeln, worauf sich zu einigen wäre. In diese Richtung zielt die Ankündigung der Ministerin auch klar ab. Denn eine gesetzliche Regelung zu schaffen, die Kriterien oder Richtlinien für die Höhe der Anpassung enthält, ist aktuell nicht beabsichtigt.Die Gerichte sind also berufen, diese Guidelines zu formulieren. Dies hat das Landgericht München mit Urteil vom 22.9.2020 (Az: 3 O 4495/20 – nicht rechtskräftig) als erstes Gericht getan für unterschiedliche Monate und mit konkreten Zahlen. Es wurde festgestellt für ein Möbelhaus in München, in welchem Maß in den Monaten April, Mai und Juni diesen Jahres die Miete zu reduzieren war. 80 % im April, 50 % im Mai und 15 % im Juni. Das Gericht wägt ab, zu welchem Maß die Mietflächen für welchen Zweck noch nutzbar waren, und bestimmt anhand der mangelnden Nutzbarkeit das Maß der Mietminderung.Stolze Beträge, fraglos. Für den Vermieter sicherlich problematisch. Für manchen Mieter aber ein wesentlicher Baustein, die Existenz zu sichern. Ebendiese Existenz des Betriebes, der die Rendite des Vermieters erwirtschaften soll.Die Argumente des LG München sind sehr gut auf alle anderen Bundesländer und auch auf andere Branchen übertragbar. Wenn im Frühsommer zwar unterschiedlich gravierende Einschränkungen in den jeweiligen Bundesländern galten, so kann vereinfacht doch gesagt werden: zumindest so wie in Bayern im Mai (jedenfalls im Juni) war es in allen anderen Bundesländern. Was in einem Möbelhaus zu mangelnder Nutzbarkeit geführt hat, gilt sicherlich ebenso in unterschiedlichen Abstufungen für Hotels, Gastronomie, Clubs, Fitness und viele mehr.An der Übertragbarkeit der sehr gut ausgearbeiteten Grundsätze ändert sich auch nichts, wenn man dem LG München entgegenhalten möchte, dass die Entscheidung rechtlich mit dem Instrument der Mietminderung (statt § 313 BGB) begründet worden ist. In beiden Gedankenwelten muss letztlich abgewägt werden anhand der Auswirkungen der behördlichen Maßnahmen. Ähnlich wurde zwei weitere Male entschieden (LG München in einem anderen Fall und LG Mönchengladbach), die jeweils 50 % Mietreduktion über § 313 BGB ausgeurteilt haben; allerdings war in beiden Fällen nur über die Zeit des Lockdowns zu entscheiden, und die Übertragbarkeit auf alle Bundesländer und alle betroffenen Monate scheint darunter zu leiden. Sharing is caringNatürlich darf nicht unerwähnt bleiben, dass mehrere Gerichte die Last allein dem Mieter auferlegt haben (LG Heidelberg, LG Frankfurt am Main, LG Zweibrücken); ob die jeweiligen Kammern ebenso entscheiden würden, nachdem nun die ministeriale Anwendungsanordnungsreglung angekündigt worden ist, bleibt natürlich offen.Sharing is caring – nicht nur im Frühjahr 2020, sondern auch im aktuellen und in künftigen Lockdowns. Ratsam scheint es für gewerbliche Mieter und gewerbliche Vermieter, einvernehmliche Regelungen zu treffen, die auch im Lichte der Rechtsprechung und einer späteren gesetzlichen Regelung Bestand haben werden. Beide Seiten haben Rechtssicherheit verdient. Planbarkeit ist aktuell ein rar gewordenes Gut.Wie könnte eine solche Regelung aussehen? Modelle sieht der Markt derzeit viele. Wohl allen gemeinsam ist, dass sie unterschiedliche Bausteine enthalten. Wir sehen häufig diese drei “Tortenstücke”: ein Teil der Miete bzw. Pacht wird gezahlt (auch angesichts der Krise), ein weiterer Teil wird gestundet und dritter Teil entfällt ersatzlos und ohne Nachzahlung und Verzinsung. Dabei kann dieses Drei-Punkte-Modell für jeden Fall gut angepasst werden und auch unterschiedlich für die jeweiligen Zeiträume (z. B. Monate). Die Torte kann noch mit Besserungsscheinen oder anderen Recovery-Mechanismen verziert werden. Jedenfalls gibt ein solches Modell den verhandelnden Partnern ein Instrumentarium an die Hand, die Dinge in den Griff zu bekommen. Dabei können auch weitere Aspekte aus dem laufenden Vertragsverhältnis (nicht selten laufen solche Verträge über Jahrzehnte) mit in die wirtschaftliche Gesamtlösung einbezogen werden, wenn beispielsweise Renovierungsfragen offen sind oder andere Themen zur Klärung anstehen.Auch die Finanzierungsseite kann mithelfen, das Gesamtproblem zu verkleinern und beherrschbar zu machen. Wenn die Bank des Vermieters beispielsweise Konditionen anpasst, kann der Vermieter dies an den Mieter weitergeben. Wenn die Bank des Mieters (z. B. zur Finanzierung von Mieterausbauten etc.) ebenfalls einen Beitrag leistet, ist die Gesamtlast nicht mehr nur auf zwei Parteien verteilt. Clemens Engelhardt, Partner der Kanzlei Trustberg und Professor für Wirtschaftsrecht in München