Werner von Siemens erhält ein Domizil in München

Von Michael Flämig, München Börsen-Zeitung, 15.6.2016 Wer für den Kontakt mit der Münchner Siemens-Zentrale noch Briefe bevorzugt, der muss sich umgewöhnen: Die Post geht nicht mehr an den Wittelsbacher Platz, sondern an die...

Werner von Siemens erhält ein Domizil in München

Von Michael Flämig, MünchenWer für den Kontakt mit der Münchner Siemens-Zentrale noch Briefe bevorzugt, der muss sich umgewöhnen: Die Post geht nicht mehr an den Wittelsbacher Platz, sondern an die Werner-von-Siemens-Straße. Diese Adresse hat sich der Konzern kurz vor der Eröffnung seines neuen Stammsitzes gesichert, indem die Stadt München am 2. Juni einen 80-Meter-Abschnitt der bisherigen Finkenstraße umtaufte. Zwar werden die meisten der 1 200 Mitarbeiter den Komplex unverändert über den Eingang Wittelsbacher Platz betreten, doch auf dem Briefkopf und in Navi-Geräten erscheint repräsentativ der Mitgründer des Konzerns.Ein Randaspekt, gewiss. Aber kurz vor dem Festakt zur Eröffnung am Freitag nächster Woche hat die Entscheidung jenseits des Fakts, dass nicht jeder Mittelständler einen Wunschstraßennamen erhalten würde, durchaus Symbolgehalt. Der Multi bekennt sich zu München, und die Stadt bekennt sich zu dem globalen Unternehmen. Keine Selbstverständlichkeit, wenn man das Schicksal des Areals rund um die “Siemensallee” im Südwesten der Stadt betrachtet, wo das Duo einst mit einer Straßenbenennung eine ähnliche Verbindung eingegangen ist. Die dortigen Arbeitsplätze sind großteils verschwunden, das riesige Werksgelände ist Wohnungen und anderen Unternehmen gewichen.Die Botschaft des Neubaus dagegen lautet: Wir bleiben. Einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag hat Siemens in der Innenstadt verbuddelt. 40 000 Kubikmeter Beton wurden in die 45 000 Quadratmeter oberirdische Geschossfläche gepumpt. Diese Menge entspricht einem Block mit jeweils zehn Metern Seitenlänge, der 400 Meter hoch ist, hat der Konzern ausgerechnet. 66 Kilometer Rohrleitungen und 250 Kilometer Stromkabel liefern die Versorgung. Sechs Jahre hat Siemens das Projekt betrieben, durchschnittlich waren in der Bauphase 400 bis 600 Arbeiter pro Tag auf dem Areal tätig.Siemens will aber in München nicht nur klotzen, sondern sich integrieren. “Offenheit” ist daher eine Vokabel, die Thomas Braun gerne benutzt. Der Neubau-Projektleiter bei der Konzerneinheit Siemens Real Estate betont bei einem Rundgang mit Journalisten, dass die Bürger durch die zahlreichen Innenhöfe und die hohe Eingangshalle frei wandeln können. Die Folge: Fast das gesamte Erdgeschoss ist zugänglich, ein Café und ein Restaurant locken auch Touristen. Wie es mit der Sicherheit bei so viel Offenheit steht? Braun ist überzeugt, dass moderne Bedrohungen nicht dadurch besiegt werden können, dass ein Zaun gezogen wird. Es seien intelligentere Konzepte notwendig, lässt er durchblicken. Vernetzt und nachhaltigNeben Offenheit sind es zwei Leitmotive, denen die Bauherren sich verschrieben haben: Vernetzung der Beschäftigten und Nachhaltigkeit. “Wir wollen die Mitarbeiter motivieren, sich abteilungsübergreifend zu treffen”, erläutert Braun. Daher gebe es beispielsweise keine Kaffeemaschinen in den Büros, sehr wohl aber allgemein einsehbar auf jeder Etage. Geräumige Lounges sollen den Gedankenaustausch fördern. Einzelarbeitsplätze gelten – außer für die Leitungsebene und damit etwa für die Vorstandsmitglieder – als out, an ihre Stelle treten sogenannte offene Bürolandschaften. Dort sitzen beispielsweise acht Personen verteilt an zwei Schreibtischreihen in einem Raum, der keine Türen aufweist.Ein Foto der Familie auf dem Schreibtisch oder die ersten Malversuche der Kinder an der Wand? Schon die bisherige sogenannte Clean-Desk-Policy sieht das nicht vor – denn abends soll der Schreibtisch so freigeräumt sein, dass er bei Abwesenheit am nächsten Tag durch einen Kollegen genutzt werden kann. Der Trend gehe weg von Individualität hin dazu, dass ein Team gemeinschaftlich seinen Raum gestalte, meint Braun. Das Arbeiten werde zudem papierloser, ist er überzeugt. Ein “Change-Prozess” soll dies auch den Beschäftigten nahebringen.Die Zentrale sei eines der nachhaltigsten Bürogebäude Europas, betont Siemens. Von geneigten Fassaden für eine erhöhte Tageslichteinstrahlung bis hin zu Heiz- und Kühldecken reicht die Palette. Die Folge: Im Vergleich zu den bisherigen Gebäuden verbrauche das Ensemble 90 % weniger Strom und 75 % weniger Wasser. Die Kohlendioxid-Belastung reduziere sich um 90 %. ——–Siemens erhält eine noble Adresse. Die neue Zentrale steht für Offenheit und Nachhaltigkeit.——-