Wettbewerb ist für Teamviewer "überschaubar"
Herr Steil, Herr Gaiser, gut ein Jahr nach dem Börsengang und ein knappes Jahr vor der Umsetzung der Dax-Reform, bei der der MDax, dem Teamviewer derzeit angehört, als Verlierer gilt: Nehmen Sie Kurs auf den Dax?Steil: Wir haben die Reform mit Interesse verfolgt. Die qualitativen Kriterien der Reform erfüllen wir, es bleiben noch die entscheidenden Aufnahmekriterien: Streubesitz und Marktkapitalisierung. Der Streubesitz liegt nicht in unserer Hand, aber im Hinblick auf die Zeitspanne, die bis zur Entscheidung noch aussteht, kann es natürlich sein, dass es da noch Änderungen gibt. Warten wir mal ab, ob der Dax dann ein Thema wird. Wie bewerten Sie die Reform? Ist der Finanzplatz Deutschland der richtige für einen Technologiewert wie Teamviewer?Gaiser: Wir fühlen uns sehr wohl mit der Notierung in Frankfurt. Für internationale Investoren ist der Ort der Notiz auch zunehmend zweitrangig, sie können ohnehin global investieren. Hier hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel geändert. Es wäre gut, wenn mehr Technologieunternehmen im Dax abgebildet wären. Das wäre auch ein positives Zeichen für den Standort Deutschland.Steil: Tatsächlich könnte dem Dax eine diversere Zusammensetzung durchaus zugutekommen. Sie gehören zu den klaren Corona-Gewinnern, wie sich besonders in der ersten Jahreshälfte gezeigt hat. Ist das eine steile Vorlage für das nächste Jahr, müssen Sie die Erwartungen bremsen?Gaiser: Unter Analysten herrscht weitgehende Einigkeit, dass Teamviewer mit 30 % weiterwachsen kann – diese Einschätzung teilen wir und fühlen uns damit auch wohl. Daher haben wir uns dieses Ziel für das kommende Jahr gesetzt, ganz unabhängig von der Entwicklung rund um Corona.Steil: Die grundsätzlichen Megatrends zu mehr internetgestützter Interaktion, weniger physischen Meetings und Geschäftsreisen sind durch Corona vielleicht verstärkt worden, halten aber generell an. Diese Entwicklung stützt unser Geschäftsmodell. Wir rechnen damit, dass sich für das Jahr 2021 unsere Wachstumsraten saisonal wieder normal entwickeln werden. Für wie nachhaltig halten Sie die zentrale Triebfeder Homeoffice?Steil: Das spielt für uns generell keine so große Rolle. In der Pandemie hatten einige Unternehmen schlicht Nachholbedarf bei der Software- und der Infrastrukturausstattung. Wir sehen aber unabhängig davon einen wachsenden Trend, mehr aus der Ferne zu arbeiten. Unternehmen setzen Prozesse neu auf und arbeiten insgesamt digitaler. Damit steigt naturgemäß der Bedarf an “Fernwartung”, also dem Zugriff auf und der Steuerung von Geräten oder der Unterstützung von Prozessen aus der Ferne. All das wird anhalten. Was Homeoffice betrifft, wird es künftig in den meisten Unternehmen hybride Arbeitsformen geben, aber unser Wachstum wird von anderen Digitalisierungsprozessen getrieben, wie zum Beispiel in der Produktion und der Logistik. Ihre Aktie hat nach dem Hoch zur Jahresmitte zuletzt wieder etwas nachgegeben. Was hören Sie dazu im Kontakt mit Investoren?Gaiser: Im Zuge der Corona-Pandemie und des starken Wachstums der Billings in der ersten Jahreshälfte sind auch einige Anleger auf den “schnell fahrenden Zug” aufgesprungen. Sie hatten die Hoffnung, dass die hohe Zusatznachfrage, die wir in den Monaten März und April verzeichnen konnten und die im ersten Halbjahr zu einem 50-prozentigen Billings-Wachstum geführt hatte, länger anhalten würde, obwohl wir die Entwicklung selbst von Anfang an als Sonderkonjunktur bezeichnet hatten. Der dadurch entstandene Hype hat sich nun wieder normalisiert. Eine wichtige Zielgruppe für Ihr Wachstum sind große Unternehmenskunden. Wie kommen Sie dort voran?Steil: Wir kommen sehr gut voran. Es war unser Ziel, Teamviewer in immer mehr Anwendungsbereichen zu etablieren, damit die Software für Großkunden im Entreprise-Bereich noch mal deutlich relevanter wird und die durchschnittliche Deal-Größe und Durchdringung von Großunternehmen erhöht wird. Bei der Internationalisierung des Geschäfts adressieren wir Asien und Amerika, wobei Amerika insbesondere auch ein Entreprise-Markt ist. Wir sind selbst positiv überrascht, wie schnell sich unser Entreprise-Geschäft, in dem wir mit dem Produkt Tensor erst 2018 gestartet sind, entwickelt hat. Können Sie das schon quantifizieren?Steil: Wir haben bei der jüngsten Quartalsberichterstattung unsere größten 50 Deals zusammengestellt, um unsere Erfolge bei Großunternehmen zu messen. Der Bereich hat sich sehr gut entwickelt Die kumulierte Summe unserer 50 größten Deals der letzten zwölf Monate lag zum Ende des dritten Quartals bei etwa 7,7 Mio. Euro und ist im letzten Jahr um 174 % gewachsen.Gaiser: Eine weitere Zahl, die sich seit 2018 fast vervierfacht hat, sind die Kunden mit Auftragsgrößen über 10 000 Euro. Ende 2018 hatten wir rund 420 davon. Inzwischen ist dies ein sehr substanzieller Bereich des Neugeschäfts. Hier werden wir künftig auch etwas granularer berichten. Stichwort Neugeschäft: Bei anderen Software-Unternehmen ist zu hören, dass die Neukundengewinnung durch die Corona-Pandemie stockt und mehr Neugeschäft mit bestehenden Kunden abgewickelt wird. Wie läuft es bei Ihnen?Steil: Das ist bei uns anders. Wir haben kontinuierlich einen signifikanten Anteil an echten Neukunden, die die Software vorher kostenlos im privaten Umfeld oder zum Testen genutzt haben und dann irgendwann eine Lizenz kaufen. Unser Entreprise-Geschäft basiert meist darauf, dass wir schon irgendwo im Unternehmen präsent sind. Das läuft unverändert. Wie wirkt sich denn ein höherer Anteil von Großkundengeschäft auf Ihre Marge aus?Steil: Ich denke, dass wir die Marge gut halten können. Dabei kommt uns zugute, dass das Kernprodukt unserer Software im Prinzip ohne kostenintensive Professional Services auskommt. Der Integrationsaufwand ist gering. Dem steht entgegen, dass die Vertriebsaufwendungen im Entreprise-Bereich höher sind. Allerdings haben wir einen Großteil der Investitionen in zusätzliche Mitarbeiter hier in den vergangenen drei Jahren schon gestemmt. Diese Investitionen zahlen sich heute schon aus und wirken sich positiv auf die Marge aus. Außerdem weiten große Unternehmen ihren Bedarf aus und binden sich auch länger. Das wiegt höhere Anfangsaufwendungen auf. Wie sieht es im Großkundenbereich mit der Konkurrenz aus?Steil: Der Wettbewerbsdruck ist immer noch überschaubar, zumal es nicht viele oder oft gar niemanden gibt, der genau das leistet, was wir mit der Software anbieten: also eine Verbindung von allen Geräten aus Europa heraus mit den entsprechenden Security- und Datenschutzmaßgaben. Es gibt zwar viele kleinere Office-Collaboration-Anwendungen per Video oder Audio, aber bei großen Projekten kommen wir mit unserem Angebot zu einem Preispunkt, der schon ein Alleinstellungsmerkmal ist. Gibt es bei Großkunden das Ansinnen, vom Lizenzmodell zu anderen nutzungsbezogenen Gebührenmodellen überzugehen?Steil: Unsere Preismodelle sind ohnehin schon flexibel, um auf die Bedürfnisse des Kunden einzugehen und ihn so auch langfristig zu halten. Wir haben auch produktbezogen verschiedene Preismodelle, so geht es etwa bei unserem Augmented-Reality-Produkt darum, wie viele Experten das Produkt nutzen. Für unsere Kunden zeichnet sich Teamviewer dadurch aus, dass der Return on Invest in Summe sehr gut ist, angefangen beim Produktpreis über den niedrigen Implementationsaufwand bis zu den Ersparnissen, die unmittelbar eintreten bei Reisekosten und dergleichen.Gaiser: Wir können außerdem auch mit einem sehr niedrigen Integrationsaufwand punkten. Es ist für viele Kunden wichtig, dass die Produkte mit einem geringen Anteil an Professional-Services-Kosten einhergehen. Und das ist bei uns der Fall. Geringe Implementierungskosten und schneller Return on Invest: Müssten Sie da nicht auch ein geeigneter Partner für öffentliche Auftraggeber sein?Gaiser: Die öffentliche Verwaltung hat sich historisch gesehen eher skeptisch gegenüber Cloud-Anwendungen gezeigt. Aber mit dem Tensor-Produkt haben wir insbesondere im ersten und zweiten Quartal, als alle während der Pandemie auf Remote Work umstellen mussten, hier wie auch im Sparkassensektor Kunden gewonnen. Da sind wir zwar noch am Anfang, aber das ist für uns eine spannende Möglichkeit, unser Lösungsportfolio in dieser Gruppe anzubieten. Wir überlegen sogar, spezialisierte Vertriebsmitarbeiter für genau diesen Sektor an Bord zu holen, um die Bedürfnisse dieser Kunden besser adressieren zu können. Sind Sie mit Ihrem Portfolio gerüstet, um gerade auch im Entreprise-Bereich weiter zu wachsen, oder haben Sie noch Aufrüstungsbedarf, durch Zukäufe?Steil: Unser eigenes Unternehmensprodukt Tensor war schon an sich ein großer Wurf, der die Vielzahl der Anwendungsmöglichkeiten von Teamviewer deutlich machte. Der nächste Schritt war unsere Neuentwicklung im Bereich Augmented Reality, wo wir das Produkt Teamviewer Pilot entwickelt haben. Dabei geht es um die Unterstützung von Technikern oder Vertrieblern im Feld. In beide Produkte haben wir deutlich investiert. Das ist ein riesiges Wachstumsfeld, wie wir festgestellt haben. Deshalb haben wir hier unsere erste Akquisition in diesem Bereich gemacht und die Firma Ubimax gekauft. Damit sind wir in Logistik und Fertigung sehr gut verankert. Wir investieren signifikant in eigene Entwicklung. Ich will aber nicht ausschließen, dass wir im nächsten Jahr die eine oder andere Akquisition angehen, um unsere Plattform an den Rändern zu erweitern. Sie hatten sich einen schnellen Schuldenabbau verordnet. Also ist das nicht in Stein gemeißelt?Gaiser: Wir hatten zum Börsengang einen Verschuldungsgrad in Höhe des 4-fachen des bereinigten operativen Gewinns. Bis Ende 2020 wollten wir das zügig zurückführen, auf das 2-fache. Nun sind wir aufgrund des starken Cash-flows dabei sogar noch schneller gewesen, trotz der Ubimax-Akquisition. Von daher sind wir jetzt in der Position, uns kleinere Zukäufe leisten zu können, ohne das Leverage-Ziel aufzugeben. Sollten sich größere Targets auftun, wäre es auch in Ordnung, über die Zielgröße eines Faktors 2 zum operativen Ergebnis hinauszugehen, weil wir gezeigt haben, dass wir sehr schnell entschulden könnten. Welche Kriterien legen Sie an? Können die Unternehmen noch defizitär sein? Müssen sie einen bestimmten Kundenstamm und Umsatz mitbringen?Steil: Für uns ist vor allem wichtig, dass wir eine technologische Ergänzung oder Digitalisierungswissen gewinnen und dann einen besseren Zugang zu bestimmten Branchen durch entsprechende Expertise. Zweitrangig ist die Kundenzahl, die mitgebracht wird. Was das finanzielle Profil angeht, ist ohnehin klar, dass ein Zukauf uns meist leicht verwässern wird. Allerdings sind Investoren bei hoch bewerteten Software-Unternehmen in der Regel ziemlich sensibel, was eine Verwässerung der Marge angeht. Das können Sie nicht außer Acht lassen, oder?Gaiser: Das stimmt schon. Allerdings ist Ubimax ein gelungenes Beispiel für eine Akquisition: eine kleine Firma mit Branchenexpertise und starkem Wachstum, deren Profitabilität zwar nicht an die von Teamviewer heranreicht, die wir aber integrieren können, ohne unserer Marge zu schaden. Wir werden in diesem Jahr eine Rendite von 56 % erreichen.Steil: Trotzdem werden wir das im Blick haben. Wir haben ein attraktives margenstarkes Geschäftsmodell. Die Anleger haben in Teamviewer investiert, weil sie diese Ertragsstärke wollen. Deshalb wird der verwässernde Effekt immer auch ein wichtiges Kriterium sein. Welche Größenordnung wäre denn vorstellbar für das kommende Jahr?Gaiser: Als kapitalmarktnotiertes Unternehmen haben wir eine Verschuldung in Höhe des 4-fachen operativen Gewinns als zu hoch angesehen, 2-fach war das Ziel. Ich glaube aber, dass wir einen transaktionsbedingten Netto-Leverage in Höhe des 3-bis 3,5-fachen aufgrund unseres starken Cash-flows durchaus abfedern könnten. Es hängt natürlich auch immer von der Profitabilität des Zielobjekts ab. Grundsätzlich haben wir aber auf der Passivseite ordentlich Spielraum, um auch größere Zukäufe darzustellen.Steil: Um auf das Beispiel Ubimax zurückzukommen. Das ist eine Transaktion in einer Größenordnung im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich, die bei unseren langfristigen Investoren sehr gut verstanden und gut aufgenommen wurde, weil sie das Wachstumspotenzial dahinter sehen. Gibt es denn generell Themen, die Ihnen mit der Krise serviert wurden und deretwegen Sie umsteuern mussten?Steil: Ich würde sagen, eher im Gegenteil. Wir hatten eine sehr gute Vorstellung, wo wir investieren wollen, als wir vergangenes Jahr für den Börsengang auf Roadshow gegangen sind. Und diese Themen sind im Prinzip so geblieben. An unserer Strategie und wo wir hinwollen, hat sich im Prinzip nichts geändert. Wir entwickeln unseren Unique Selling Point weiter, laufen keinen Trends hinterher und haben in diesem Feld auch noch genug Ideen, wie wir uns weiterentwickeln können. Nicht jede Transaktion wird sich aus dem Cash-flow finanzieren lassen. Welche Finanzierungs-instrumente kommen für Sie in Betracht – auch ganz allgemein jenseits des profanen Bankkredits?Gaiser: Das Schöne ist, dass uns verschiedene Mittel am Kapitalmarkt zur Verfügung stehen. Bankkredite sind profan, das ist richtig, aber sie sind günstig, flexibel und bei den Eigenkapitalgebern sehr beliebt, weil Aktionäre mit einer solchen Finanzierung nicht verwässert werden. Das gilt für einen Bond natürlich ebenso. Der Bond-Markt ist sehr tief, und wir hatten dieses Instrument bei Teamviewer unter der Führung von Permira ja auch bereits eingesetzt. Würden Sie ein Rating anstreben?Gaiser: Ich sehe aktuell nicht, dass wir eins benötigen würden. Ich denke, unsere Historie und unsere finanzielle Performance sind aussagekräftig genug. Das Interview führten Heidi Rohde und Sebastian Schmid.