Wie ABB an der autonomen Fabrik arbeitet
Von Daniel Schauber, FrankfurtMit dem Schlagwort Industrie 4.0 werfen viele große Konzerne um sich. Wie genau aber soll sie kommen, die vierte industrielle Revolution? Lassen sich Fabrikanlagen wirklich allein mit künstlicher Intelligenz steuern? Etwas Licht ins Dunkel brachte nun der Industrieausrüster ABB, der Einblick gewährte in sein Forschungszentrum im baden-württembergischen Ladenburg. Dort wurde vor allem deutlich: Der Weg zur autonomen Fabrik ist weiter als der Schritt zum selbstfahrenden Auto. Und ABB, die Elektrotechnik, Robotik und Automation unter einem Dach vereint und im Februar 2020 mit Björn Rosengren einen neuen CEO bekommt, will bei Industrie 4.0 kräftig mitverdienen.Der Reiz der autonomen Fabrik für den schwedisch-schweizerischen Siemens-Konkurrenten besteht in der Komplexität der Aufgaben, die noch zu lösen sind. Denn die vollautomatische Produktion ist erst der Anfang. “Eine Chemieanlage läuft erst dann autonom, wenn sie sich auch selbst optimiert und repariert”, sagt Martin Hoffmann, Forschungsgruppenleiter künstliche Intelligenz (KI) bei ABB. Auch die Lieferkette müsse autonom sein. “Das heißt konkret: Ist das Lager leer, bringen Lkw das Kunststoffgranulat automatisch. Und ist etwas kaputt, dann fliegt eine Drohne hin und repariert.”Im Vergleich zur großen Vision der autonomen Fabrik sind die Anfänge bescheiden. ABB, die 8 500 Menschen weltweit in Forschung und Entwicklung beschäftigt und 1,5 Mrd. Dollar jährlich in F&E investiert, hat beispielsweise ein Gerät entwickelt, das die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Elektromotors vorhersagen kann. Der unscheinbare weiße Plastikkasten namens “ABB Ability Smart Sensor”, der gerade mal 260 Gramm wiegt, wird an den Kühlrippen eines Elektromotors angebracht und misst dort unter anderem ständig Temperatur, Vibration, Magnetfeld und Geräusche. Die Messwerte werden per Funk in die Cloud übertragen und dort analysiert. Die Forschungsleistung steckt für ABB weniger in der Sensorik, sondern in der Interpretation der erhobenen Daten, wie Hoffmann erläutert. Denn es gelte, die charakteristischen Muster in dem anfallenden Datenwust zu erkennen, die zuverlässig anzeigten, dass der Motor bald einen Schaden habe.Auch ein Großkonzern wie ABB hat allein nicht die Ressourcen, um Produktionsanlagen intelligent zu machen. Der 130 Jahre alte Elektrotechnikpionier kooperiert dazu intensiv mit Start-ups und Universitäten, wie Jan-Henning Fabian, Leiter des ABB-Forschungszentrums Ladenburg, erklärte. “Die Start-ups bringen auch eine andere Kultur rein”, sagt er. Hinzu kommen Partnerschaften mit internationalen IT-Konzernen. Für die Digitalisierungsplattform namens ABB Ability arbeitet man mit Microsoft, HPE und IBM zusammen, denn es ist viel Datenkompetenz nötig, damit sich eine Anlage über künstliche Intelligenz steuern lässt. Hype und RealitätWie viel ist bei Industrie 4.0 purer Hype, wie viel wird Realität? Da ist auch ABB-KI-Experte Hoffmann ratlos. Die Begeisterung für KI-Konzepte sei stets in Wellen verlaufen, seit der Begriff in den 50er Jahren erstmals aufkam, sagt er. “Vielleicht kommt irgendwann wieder die große Ernüchterung, aber es kann auch sein, dass wir noch viele weitere fantastische Entwicklungen sehen.” Um mit autonomen Anlagen Geld zu verdienen, braucht auch ABB mehr als Sensorik, Daten, Rechenpower, 5-G-Mobilfunknetze, brillante Forscher und einen ordentlichen Schuss Start-up-Kultur. Ohne Business-Case beim Kunden läuft gar nichts. Denn auch die kühnsten Ideen müssen sich am Ende rechnen.——Der Weg zu Industrie 4.0 ist weiter als der Schritt zum selbstfahrenden Auto. ——